Karma: Der Mechanismus: Text der Sutren: Bindung an Karma

Autor*in:  Image of Hermann KuhnHermann Kuhn
Veröffentlicht: 21.05.2014
Tattvarthasutra, Kapitel 8
  1. Fünf Faktoren veranlassen die Bindung eines Lebewesens (jiva) an karmische Mechanismen:
    1. das Mißverstehen der Weltmechanismen (mithyadarsana),
    2. die Tendenz, diesen Zustand der fehlerhaften Konzepte, der Täuschung und des Irrtums fortdauern zu lassen (und nicht zu beenden, obwohl sich Gelegenheiten dazu ergeben) (avirati),
    3. Nachlässigkeit des Handelns, Sprechens und Denkens (pramada),
    4. ungezügeltes Ausleben der Leidenschaften (ksaya),
    5. die drei Arten des Handelns iyoga - d.h. die Aktivitäten des Körpers, der Sprachorgane und des Geistes).

  2. Durch Leidenschaften (Ärger, Stolz, Falschheit und Gier) zieht jiva - Bewußtsein - subtile Materie an sich, die die Eigenschaft hat, karmische Mechanismen in sein Bewußtsein einzubinden. Dieser Vorgang wird 'Bindung' (bandha) genannt.

  3. Die Bindung (eines Lebewesens - jiva - an karmische Materie) ist charakterisiert durch:
    1. die Natur (die Art) des Karmas,
    2. die Dauer (die Zeit), für die karmische Moleküle an einen jiva gebunden sind,
    3. die Intensität, mit der sich Karma bei seiner Aktivierung manifestiert und
    4. die Anzahl karmischer Moleküle, die sich im interaktiven karmischen Feld eines jiva einlagern.

  4. Die Natur (die Art) des Karmas läßt sich in acht Haupt gruppen unterteilen:
    1. Karma, das Wissen (jnana) verschleiert,
    2. Karma, das Erkenntnis (Wahrnehmung) (darshana) behindert,
    3. Karma, das das Lebensgefühl (vedaniya) bestimmt,
    4. Karma, das Täuschung (mohaniya) verursacht,
    5. Karma, das Dauer und Ort der nächsten Verkörperungen) festlegt (ayu),
    6. Karma, das Form und Eigenschaften des Körpers bestimmt (nama),
    7. Karma, das das Ansehen des jiva in seinem sozialen Umfeld bestimmt (gotra),
    8. Karma, das Behinderungen (antaraya) im Leben veranlaßt.

  5. Die acht Hauptgruppen, die die Natur des Karmas beschreiben, enthalten die folgende Anzahl Karma-Arten:
    1. Karma, das Wissen (jnana) verschleiert - 5 Arten,
    2. Karma, das Erkenntnis (Wahrnehmung) (darshana)behindert - 9 Arten,
    3. Karma, das das Lebensgefühl (vedaniya) bestimmt - 2 Arten,
    4. Karma, das Täuschung (mohaniya) verursacht - 28 Arten,
    5. Karma, das Dauer und Ort der nächsten Verkörperungen) (ayu) festlegt - 4 Arten,
    6. Karma, das Form und Eigenschaften des Körpers (nama) bestimmt - 42 Arten,
    7. Karma, das das Ansehen des jiva in seinem sozialen Umfeld (gotra) bestimmt - 2 Arten,
    8. Karma, das Behinderungen (antaraya) im Leben veranlaßt - 5 Arten.

  6. Karma, das Wissen (jnana) verschleiert, behindert folgende fünf Bereiche:
    1. Sinneswahrnehmung (mati),
    2. die Wissensgewinnung aus den Schriften (sruti),
    3. die Wissensgewinnung durch Hellsicht {avadhi),
    4. die direkte Aufnahme von Wissen aus dem Geist eines anderen {manah paryaya),
    5. Allwissenheit (kevali jnana).

  7. Karma, das Erkenntnis (darshana) behindert, äußert sich durch folgende neun Mechanismen:
    1. die Behinderung oder Blockade von Erkenntnis, die durch visuelle Wahrnehmung gewonnen wird (chaksu),
    2. die Behinderung oder Blockade von Erkenntnis, die durch andere Sinnesorgane gewonnen wird (achaksu),
    3. die Behinderung oder Blockade von Hellsicht (avadhi),
    4. die Behinderung oder Blockade von Allwissenheit (kevali jnana),
    5. Schlaf (nidra),
    6. Tiefschlaf (nidranidra),
    7. Müdigkeit (prachala),
    8. schwere Schläfrigkeit (Schlaf in sitzender Stellung) (prachalaprachala),
    9. Schlafwandeln (styangriddhi).

  8. Karma, das das Lebensgefühl bestimmt (vedaniya), äußert sich durch angenehme oder unangenehme Gefühle.
  9. Karma, das Täuschung (mohaniya) verursacht, blockiert teilweise oder vollständig
      1. das Entstehen von nicht-irrendem, intuitivem Verstehen und
      2. eine Ausrichtung des Handelns auf die Befreiung (moksa).

        Dabei äußert sich Karma, das das Entstehen von nicht-irrendem, intuitivem Verstehen behindert, durch
        1. Irrtum und Mißverstehen,
        2. die Vermischung von Irrtum und wahrem Verständnis der Weltmechanismen,
        3. die (geringfügige) Beeinträchtigung des Verstehens der wahren Weltmechanismen durch Irrtum und falsche Auslegung.

          Karma, das eine Ausrichtung des Handelns auf die Befreiung behindert, äußert sich durch
          1. das Auftreten der vier Leidenschaften (Ärger, Stolz, Falschheit und Gier), von denen es jeweils vier Intensitätsgrade gibt und
          2. die neun Quasi-Leidenschaften, d.h.:
          3. übermäßiges Lachen,
          4. übermäßigen Genuß,
          5. Langeweile, Unzufriedenheit, Erschöpfung,
          6. Sorgen,
          7. Angst und Unsicherheit,
          8. Abscheu, Entrüstung, Widerwille,
          9. den Zwang, ständig nach (neuen) weiblichen Sexualpartnern suchen zu müssen,
          10. den Zwang, ständig nach (neuen) männlichen Sexualpartnern suchen zu müssen,
          11. den Zwang, ständig nach (neuen) Sexualpartnern beiderlei Geschlechts suchen zu müssen.

  10. Karma, das Dauer und Ort der nächsten Verkörperung(en) (ayu) festlegt, äußert sich durch Manifestation des Körpers eines jiva in folgenden Lebensbereichen:
    1. als naraka - d.h. als Wesen, das sich in höllischen Bereichen aufhält,
    2. als deva - d.h. als Wesen, das sich in himmlischen Bereichen aufhält,
    3. als Mensch, und
    4. als Tier oder Pflanze.

  11. Karma, das Form und Eigenschaften des Körpers bestimmt (nama), manifestiert folgende Merkmale im Körper eines jiva:
    1. die Bedingungen seiner Existenz (gati),
    2. die Klasse (d.h. die Anzahl der Sinne, mit denen ein Körper geboren wird) (jati),
    3. die Funktionsebene(n) des Körpers (sharira),
    4. die Ausformung und Fähigkeiten der Glieder in den entsprechenden Körpern (angopanga),
    5. die Verbindung der einzelnen Körper untereinander (bandhana),
    6. die Verbindung der einzelnen Körper zu dem Bewußtsein - jiva -, das sich darin aufhält (sanghata),
    7. die Form des Körpers (samsthana),
    8. den Aufbau und die Beweglichkeit der Gelenke (samhanana),
    9. die   Empfindung  bei   der  Berührung   des Körpers (sparsha), den Geschmack des Körpers (rasa), den Geruch des Körpers (gandha), die Farbe des Körpers (varna),
    10. den Grad der Fähigkeit, die Körperform von einer Inkarnation in die nächste beizubehalten (anupurvi), die Beweglichkeit (Schwere) eines Körpers in Relation zu seiner Umgebung (agurulaghu),
    11. die Verursachung des Todes aus sich selbst heraus (upagatha),
    12. die Verursachung des Todes durch externe Gründe (paragatha),
    13. die Wärme, die ein Körper ausstrahlt (atapa), den Grad des Leuchtens eines Körpers (udyota), die Fähigkeit eines Körpers zu atmen (uchchhvasa), die Art, in
    14. der sich ein Körper durch den Raum bewegt (vihayogati),
    15. die Zahl der Bewohner eines Körpers (pratyekasharira), die Mobilität eines Körpers (trasa),
    16. den Grad der Fähigkeit, anderen Lebewesen zu gefallen (subhaga),
    17. den Grad der Attraktivität der Stimme (susvara), den Grad der Schönheit des Körpers (shubha), den Grad der Anmut des Körpers (shuksma), die
    18. Entwicklungsfähigkeit der Eigenschaften des Körpers (paryapti),
    19. den Grad der Zirkulation und des Austausches materieller Bauelemente des Körpers (sthira), die psychische Ausstrahlung (adeya), die Möglichkeit, Bekanntheit
    20. zu erlangen und die Art der Bekanntheit (yashakirti),
    21. das Wirken eines tirthankaras, d.h. eines Weltenlehrers, der vom Zustand der Erleuchtung aus lehrt.

  12. Karma, das das Ansehen des jiva in seinem sozialen Umfeld bestimmt (gotra), äußert sich auf zwei Arten:
    1. durch Geburt in einem (Familien-) Umfeld, das einen geachteten Status im Leben veranlaßt,
    2. durch Geburt in einem (Familien-) Umfeld, das einen einfachen, ungeachteten Status im Leben veranlaßt.

  13. Karma, das Behinderungen im Leben veranlaßt (antaraya), beeinträchtigt
    1. das Ausüben von Mildtätigkeit und das Geben von Geschenken und Anerkennung (dana),
    2. das Erlangen von Gewinn, Erwerb, Profit (labh),
    3. die Freude an Dingen, die konsumiert werden können (bhoga),
    4. die Freude an Dingen, die Annehmlichkeit bringen (aber nicht konsumierbar sind) (upabhoga),
    5. das Ausbilden oder Ausüben der eigenen Fähigkeiten, Kraft und Vitalität.

  14. Die ersten drei Karma-Arten, d.h.
    1. Karma, das Wissen (jnana) verschleiert,
    2. Karma, das Erkenntnis (Wahrnehmung) (darshana) behindert,
    3. Karma, das das Lebensgefühl (vedaniya) bestimmt, und
    4. Karma, das Behinderungen (antaraya) veranlaßt
  15. können für maximal 30 sagaropamas (ca. 3000 Jahre) an einen jiva gebunden bleiben.

  16. Karma, das Täuschung (mohaniya) verursacht, kann maximal 70 sagaropamas (ca. 7000 Jahre) an einen jiva gebunden bleiben.

  17. Karma,
    1. das Form und Eigenschaften des Körpers bestimmt (nama) und
    2. das das Ansehen des jiva in seinem sozialen Umfeld bestimmt (gotra),

      kann maximal 20 sagaropamas (ca. 2000 Jahre) an einen jiva gebunden bleiben.

  18. Karma, das Dauer und Ort der nächsten Verkörperung(en) festlegt (ayu), kann maximal 33 sagaropamas (ca. 3300 Jahre) an einen jiva gebunden bleiben.

  19. Die kürzeste Zeit, die Karma, das das Lebensgefühl (vedaniya) bestimmt, an einen jiva gebunden sein kann, beträgt zwölf muhurtas (9 Std. 36 Min.).

  20. Die kürzeste Zeit, die
    1. Karma, das Form und Eigenschaften des Körpers bestimmt {nama) und
    2. Karma, das das Ansehen des jiva in seinem sozialen Umfeld bestimmt (gotra),
    an einen jiva gebunden sein kann, beträgt acht muhurtas (6 Std. 24 Min.).

  21. Die kürzeste Zeit, die die übrigen Karma-Arten, d.h.
    1. Karma, das Wissen (jnana) verschleiert,
    2. Karma, das Erkenntnis (Wahrnehmung) (darshana) behindert,
    3. Karma, das Täuschung (mohaniya) verursacht,
    4. Karma, das Dauer und Ort der nächsten Verkörperungen) festlegt (ayu),
    5. Karma, das Behinderungen (antaraya) im Leben veranlaßt

      an einen jiva gebunden sein können, reicht von einem avali (ca. 1 Sek.) bis zu einem muhurta (ca. 48 Min.).

  22. Karma wird aktiviert, sobald die Bedingungen dafür vorhanden sind.

  23. Intensität und Charakter einer karmischen Aktivierung entsprechen der Natur des gebundenen Karmas.

  24. Nach der Aktivierung ist die Bindung an Karma aufgelöst (nirjara).

  25. Zu jeder Zeit koexistiert eine unendliche Anzahl karmischer Moleküle mit dem Körper (den Körpern) des jiva (d.h. in dem Raum, den der Körper eines jiva einnimmt, existiert gleichzeitig auch eine unendliche Menge karmischer Moleküle).

    Die Aktivität eines jiva veranlaßt, daß sich - je nach Natur und Intensität der Aktivität - eine Anzahl dieser karmischen Moleküle in das interaktive karmische Feld des jiva einlagert und dort mehr oder weniger lange bleibt. Dieser Vorgang ist nicht von den Sinnen wahrnehmbar.

  26. Die positiven Varianten der Karma-Art,
    1. die das Lebensgefühl bestimmt (vedaniya),
    2. die Dauer und Ort der nächsten Verkörperung(en) festlegt (ayu),
    3. die Form und Eigenschaften des Körpers bestimmt (nama) und
    4. die das Ansehen des jiva in seinem sozialen Umfeld bestimmt (gotra),
  27. sind positives Karma (punya).

  28. Alle übrigen Arten von Karma sind negatives Karma (papa).
Quellen
Titel: Karma: Der Mechanismus Ausgabe: 1998 Verlag: Crosswind Publishing, 31505 Wunstorf ISBN: 3-9806211-9-7 HN4U Online Edition: 2014

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  5. Angopanga
  6. Antaraya
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  12. Bandhana
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