Das Gespür für Wachstum : Ajiva - Die Elemente, denen kein Lebensimpuls innewohnt

Autor*in:  Image of Hermann KuhnHermann Kuhn
Veröffentlicht: 10.06.2014
Aktualisiert: 25.06.2014

Die Elemente, denen kein Lebensimpuls innewohnt (ajiva)

stellen die (materielle) Umgebung unseres Bewußtseins - des jiva - dar. Dies sind Materie, Raum, Zeit und die beiden Medien, die Bewegung und Ruhe unterstützen.

All diese Elemente verfügen nicht über Bewußtsein:

  • Materie (pudgala)

    ist uns bestens bekannt. Sie ist die materielle Substanz aller Arten von Körpern, ständig in Bewegung durch die ihr innewohnenden Eigenschaften von Anziehung und Abstoßung und aus energetischen Partikeln von extrem kleinen Dimensionen zusammengesetzt.

    Die Jains beschreiben darüberhinaus noch subtilere Materieformen, die der heutigen Wissenschaft unbekannt sind.
  • Raum (akasha)

    Die Jains verwenden zur Beschreibung von Raumdimensionen die Einheit pradesha, die meist als 'Raumpunkt' übersetzt wird und die 'kleinstmögliche Ausdehnung des Elementes Raum' bezeichnet[15]. Andere Elemente (z.B. Materie) haben jedoch Manifestationsformen, die weit subtiler sind als das Element Raum. Deren Partikel können daher auch weit kleiner sein, als ein Raumpunkt.

    Nach den Jains kann Raum sich weder ausdehnen, noch kontrahieren, sondern ermöglicht durch seine Anwesenheit die Ausdehnung und Kontraktion der anderen Elemente.

  • Zeit (kala)

wird von den Jains von zwei Perspektiven aus beschrieben:

Aus der Perspektive des praktischen, alltäglichen Gebrauchs (vyavahara-naya) gesehen, ist Zeit in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft unterteilt.

Aus der Perspektive der umfassenden, übergeordneten Realität (nischaya-naya) hat Zeit jedoch keine Ausdehnung dieser Art. Von dieser Perspektive aus existiert Zeit in jedem Raumpunkt (pradesha), besitzt keine eigene Ausdehnung und reagiert und verbindet sich nicht miteinander oder mit anderen Elementen.

Zeit ist das Medium, das den anderen Elementen ermöglicht in Kontinuität zu existieren oder in der Manifestation ihrer Eigenschaften Veränderungen zu unterlaufen. Zeit unterstützt die Bewegung der Elemente und macht ein Aufeinanderfolgen bei deren Auftreten in Abläufen möglich.

  • Das Medium, das Bewegung unterstützt (dharma),
hört sich ungewöhnlich an, läßt sich aber leicht durch ein Bild illustrieren:
Wasser ist das Medium, das den Fischen die Bewegung ermöglicht, ist aber selbst nicht deren Bewegung.

  • Das Medium, das Ruhe unterstützt (adharma)
wird ebenfalls durch ein Bild illustriert:
Es entspricht einem Baum, dessen Schatten zur Ruhe einlädt, nicht aber selbst Ruhe ist.

Kapitel 5 des Tattvarthasutra enthält eine genaue Beschreibung der unbelebten (ajiva) Elemente. Deshalb wird an dieser Stelle nicht ausführlicher auf deren Eigenschaften eingegangen.

Materie, Raum und Zeit sind die einzigen drei Elemente der Wirklichkeit, mit denen sich die westliche Wissenschaft beschäftigt.[16] Sie beschränkt sich dabei hauptsächlich auf die Erforschung und Beschreibung unserer materiellen Umgebung und ist in wesentlichen Teilen darauf ausgerichtet, diese nach ihren Vorstellungen bestmöglich zu gestalten. Das westliche Modell gibt jedoch keine Auskunft darüber, in welche Richtung wir uns nach Erreichen optimalen materiellen Komforts entwickeln könnten.

Die Grundelemente jiva (Bewußtsein) und ajiva (die unbelebten Elemente) bilden das Universum. Würden sie getrennt voneinander existieren, wäre keine weitere Beschreibung erforderlich.

In uns und um uns beobachten wir jedoch ständig Interaktionen zwischen Bewußtsein und den unbelebten Elementen. Diese Interaktionen und die Folgen, die sich daraus ergeben, sind daher ebenfalls Teil unserer Realität. Die Elemente jiva (Bewußtsein) und ajiva (Materie, Raum etc.) allein können diese Interaktionen jedoch nicht beschreiben.

Eine vollständige Darstellung der Realität muß daher auch aussagen,

  • auf welche Weise Bewußtsein (jiva) und Materie etc. (ajiva) miteinander in Kontakt kommen,
  • wie aus diesem Kontakt die Bindung zwischen Bewußtsein und Materie etc. erwächst, die wir in der Welt beobachten,
  • was das ständiges Wachsen der Bindung stoppt, bzw. was verhindert,  daß die Intensität der Bindung immer stärker wird,
  • wodurch die Bindung zwischen Bewußtsein und Materie etc. aufgelöst wird und
  • welche Erfahrungen ein Bewußtsein macht, das von jeder  Bindung durch Materie, Raum, Zeit, etc. befreit ist.

Das Bindeglied zwischen diesen fünf Mechanismen ist unser Handeln.

Unter 'Handlung‘ versteht das Tattvarthasutra jedoch nicht nur die Bewegung von materiellen Dingen und Lebewesen, sondern auch ein 'interaktives Feld', das jede Handlung in und um ein Lebewesen erzeugt. Dieses interaktive Feld wird im wesentlichen von unseren Wünschen, Intentionen, Motivationen, dem emotionalen Gehalt und dem 'Drive', mit dem wir unsere Handlungen durchführen, gesteuert.

Das Tattvarthasutra bezeichnet die Mechanismen, die dieses interaktive Feld beeinflussen, mit dem Begriff 'Karma'.

Nun hat das Wort 'Karma' in den letzten zwanzig Jahren im Westen eine eher dubiose Bedeutung angenommen. Es wird mit einem nebulösen Gefühl der Vergeltung längst vergangener Handlungen assoziiert und mit Schuld, die sich in zukünftigen Inkarnationen entladen soll.

Die Tatsache, daß dieses Wort im Westen mißverstanden und falsch eingesetzt wird, schränkt die Bedeutung, Klarheit und Gültigkeit des ursprünglichen Konzeptes des Karma - wie es im Tattvarthasutra beschrieben wird - jedoch nicht im geringsten ein.

Das ursprüngliche indische Konzept hat nicht die Absicht, uns an Ereignisse früherer Inkarnationen zu ketten, wie es das vage westliche Verständnis fälschlicherweise annimmt. Und es versteht Karma auch weder als etwas Geheimnisvolles, noch als eine negative Last.

Das Streben nach Erfüllung (Umsetzung, Realisierung) der im Inneren gefühlten Werte und Ideen ist eins der grundlegenden Merkmale unserer Existenz. Wir wollen, daß unsere Handlungen Früchte tragen, wir möchten diese Früchte erfahren und wir haben normalerweise auch recht konkrete Vorstellungen davon, wie diese aussehen sollen. Das emotionale Engagement, mit dem wir unsere Vorstellungen verfolgen, wirkt dabei wie ein Magnet, der all die Komponenten anzieht, die zur Erfüllung dieser Vorstellungen notwendig sind.

Karma[17] ist der Mechanismus, der diesen Vorgang ermöglicht. Karma läßt uns die Themen unseres Lebens solange erfahren, bis wir optimale Erkenntnis daraus gewonnen haben und unsere emotionale Anhaftung an den (erledigten) Themen fortfällt. Es ist ein wertneutraler Wachstumsprozeß, der nicht negativ interpretiert zu werden braucht. Je besser wir verstehen, wie sich dieser Prozeß steuern läßt, desto weniger werden wir uns ihm ausgeliefert fühlen, - und je schneller die von uns erwünschten Ergebnisse eintreten, desto weniger werden wir die Erscheinungsformen dieses Prozesses negativ auslegen.

Nach Bewußtsein (jiva) und dessen Umgebung (ajiva) beschreibt der Sutrentext daher die Mechanismen, die unser Handeln steuern, - d.h. wie unser interaktives karmisches Feld wirkt, was es beeinflußt und wie es aufgelöst werden kann.

Sinn der Beschreibung ist als erstes, uns die Mechanismen unseres eigenen Handelns grundlegend bewußt zu machen. Dadurch können wir unsere Kräfte geschickter und erfolgreicher einsetzen.

Die Reihenfolge der beschriebenen Mechanismen läßt darüberhinaus aber noch eine grundlegende Dynamik erkennen, die letztendlich auf die Freiheit von allen karmischen Beschränkungen gerichtet ist.[18]

Fußnoten
15:

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16:

Zum Vorkommen im Text springen

17:

Zum Vorkommen im Text springen

18:

Zum Vorkommen im Text springen

Quellen
Titel: Das Gespür für Wachstum Ausgabe: 1999, 2000 Verlag: Crosswind Publishing, 31505 Wunstorf ISBN: 3-9806211-7-0 HN4U Online Edition: 2014

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