4 - In der vierten Ebene (avirata-samyaktva)
erreichen wir ein klares, intuitives und wahres Verständnis (samyaktva) der Weltmechanismen. Wir sind der stärksten - uns völlig überschattenden - Form leidenschaftlich negativer Emotionen nicht mehr unterworfen, unser Lebensgefühl kann von den drei verbleibenden (weniger intensiven) Formen negativer Emotionen aber immer noch erheblich beeinträchtigt werden. Wir unternehmen einige Anstrengungen, unser Leben in Richtung auf die Freiheit von allen karmischen Beschränkungen zu steuern, sind damit aber nicht so erfolgreich, daß wir die fünfte Ebene (desavirata) erreichen.
Auch auf der vierten Stufe sind wir noch Zweifeln und der Anziehung oder Ablehnung von Lebewesen und materiellen Objekten unterworfen. In den ersten beiden Phasen dieser Stufe können wir das klare Verständnis (unser Gespür für Wachstum) auch wieder verlieren. Sobald dies eintritt, fallen wir auf die dritte Ebene (misra - Vermischung von Wahrheit und Täuschung) herab, von der wir entweder erneut in die vierte Ebene aufsteigen oder über den Zwischenschritt der zweiten Stufe wieder auf der ersten Ebene vollständiger Täuschung landen.
Das vierte gunasthana wird von Stufe eins aus direkt - d.h. ohne Zwischenschritte - erreicht.
Wir erfahren diese Ebene in drei Phasen, die sich durch die Qualität der erfahrenen Klarheit voneinander unterscheiden. Der unterschiedliche Charakter dieser Phasen entsteht durch die Länge der Zeit, die wir uns auf der vierten Stufe aufhalten.
- Die erste Phase ist durch Flüchtigkeit charakterisiert.
Beim ersten Auftreten dieser Phase tritt alles Karma, das unseren Aufstieg in Ebene vier behindert (d.h. alle emotionale Bindung an einschränkende Mechanismen der Ebene 1), für die Dauer des Einblicks in einen inaktiven (latenten) Zustand. Unser Gespür für Wachstum wird aktiv.
Wir erfahren dies als kurze Augenblicke, in denen unsere Aufmerksamkeit plötzlich und unerwartet nicht mehr von all den Gefühlen, Wünschen, Sehnsüchten, Vorstellungen, Vorurteilen und Anhänglichkeiten überschattet wird, die uns in die hypnotische Umhüllung der Ebene eins einbinden. Diese Öffnung fühlt sich an als ob wir unvermittelt aus dem langen, tiefen Tagtraum aufwachen, den das Leben ununterbrochen um unser Bewußtsein webt.
Obwohl wir dieses 'Aufwachen' mit außergewöhnlicher Klarheit erfahren, ist unsere Sehnsucht nach der tiefen emotionalen Vereinnahmung der Stufe eins so stark, daß wir schon nach kurzer Zeit (anfangs nach Bruchteilen von Sekunden, maximal nach 48 Minuten) wieder auf die Entwicklungsstufen drei, zwei oder eins herabfallen. Solange wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf diese Augenblicke des Aufwachens richten, bleiben sie so kurzlebig, daß nur eine vage Erinnerung daran zurückbleibt.
Sobald wir jedoch anfangen, diese Einblicke bewußt zu erleben, verlieren sie ihre Flüchtigkeit. Wir empfinden nach einiger Zeit dann zwar nicht mehr den anfänglichen starken Kontrast zu der vertrauten hypnotischen Einbindung in Ebene eins, doch erfahren wir unser
verstärken. Dadurch nimmt deren Macht über uns immer mehr ab, bis wir schließlich völlig frei davon sind Leben insgesamt klarer und können es auch bewußter steuern. Schließlich überschreiten wir die maximale Zeit, die in dieser Phase möglich ist, und gehen damit automatisch in Phase zwei über.
- In der zweiten Phase löst sich ein Teil des Karmas, das in Phase eins nur inaktiv (latent) war, vollständig auf. Wir fangen an zu verstehen, wie sehr einige unserer Wünsche, Ideen, Sehnsüchte etc. uns einengen und auf Ebene eins festhalten. Wir hören auf, diese Einflüsse weiter mit unserer Energie und unserem Engagement zu. Dies verlängert automatisch die Perioden, in denen wir von der hypnotischen Umhüllung der Ebene eins nicht mehr überschattet werden.
Da aber noch nicht alles blockierende Karma aufgelöst ist, verlieren wir diesen Zustand der Klarheit von Zeit zu Zeit wieder. Je nach Stärke der Emotionen, die uns auf diese unterste Ebene ziehen, können wir uns dabei wieder so völlig in deren hypnotische Umhüllung verstricken, daß wir die Klarheit der Stufe vier vergessen, sie für unwichtig halten und nichts unternehmen, sie wiederzuerlangen.
Wenn am Ende dieser Phase alles behindernde Karma (konkret: alle emotionale Bindung unseres Bewußtseins an die Themen der Ebene eins) aufgelöst ist, beginnt Phase drei.
- In der dritten Phase existiert keine karmische Bindung mehr, die die Klarheit unserer Erkenntnis vollständig überschatten könnte. Inwieweit wir fähig sind, unsere neuen Einsichten in Handlung umzusetzen, hängt von der Energie ab, die wir nun in unsere weitere Entwicklung investieren. Thema dieser dritten Phase ist im wesentlichen, ausreichend Kraft zum Erreichen des nächsten gunasthanas aufzubauen und auch für dieses Ziel einzusetzen.
Der Übergang von Phase zwei in Phase drei ist gewöhnlich derart unmerklich, daß wir ihn fast nicht bewußt wahrnehmen. Da wir die innere Klarheit bereits in Phase zwei für ausgedehnte Perioden erfahren haben, bemerken wir kaum, daß wir nicht mehr auf Ebene eins zurückfallen. Es gibt keine besondere Erfahrung, die diesen speziellen Übergang begleitet, außer daß wir von nun an den Silberstreif der Bewußtheit unserer eigenen Identität nie wieder verlieren. Wir können zwar beispielsweise immer noch intensiven Ärger fühlen, aber im Gegensatz zu Ebene eins beobachten wir unsere Handlungen und Emotionen jetzt mit Distanz und Unbestechlichkeit. Wir wissen jetzt immer mit unmißverständlicher Klarheit, wenn eine Handlung nicht mit unseren innersten Ambitionen und Idealen übereinstimmt (und wir sie dann trotzdem ausführen). Wir erkennen aber auch klar, welche Handlungen und Einstellungen unsere Entwicklung fördern. Je mehr wir auf diese innere, unbestechliche Stimme hören, und je mehr wir es wagen, diese Einsichten in Handlung umzusetzen, desto schneller erfahren wir höhere Zustände unseres Bewußtseins.
Zwar mögen wir zu Zeiten unsicher sein, welche Handlungslinien uns wirklich weiterbringen, doch werden wir dieses Verständnis umso schneller erreichen, je größer unsere Sehnsucht nach weiterem Wachstum ist.
Sobald wir diese stabile Phase der Stufe vier erreicht haben, fallen wir nie mehr in die darunterliegenden gunasthanas zurück. Das weit umfassendere Verständnis der Ebene vier löst automatisch alle emotionale Anhaftung an die Lebensthemen (Karmas) der Ebenen eins bis drei auf, die sich dann verflüchtigen ohne sich weiter auf unser Leben auszuwirken.
Der permanente Aufstieg von Stufe 1 in die stabile Phase der Stufe 4 läßt sich innerhalb eines Jahres erreichen. Er ist nur abhängig von der Ernsthaftigkeit unseres Interesses und der Energie, die wir in dieses Unternehmen investieren.
Diese stabile Phase der Stufe vier ist jedoch sehr statisch. Wir können uns hier leicht in einer Selbstzufriedenheit fangen, die den Aufstieg in höhere Ebenen mit der gleichen Intensität verhindert, wie uns der dichte emotionale Kokon der Ebene eins zuvor den Zugang zur Ebene vier blockierte.[3] Wir wissen zwar, was wir an unseren Handlungen und Emotionen ändern müßten, setzen es aber nicht in die Tat um. Solange wir jedoch die Energie nicht aufbringen diese Statik zu durchbrechen, bleiben wir ewig auf Ebene vier.
Der Aufstieg in Stufe fünf (desavirata) ist nur möglich, wenn in uns ein starkes und dynamisches Verlangen nach weiterer Entwicklung existiert und wir dies auch in Handlung umsetzen! Aktivität ist der zentrale Schlüssel, der unsere Entwicklung zu höheren Bewußtseinsdimensionen in Gang setzt. Nur wenn wir erhebliche Energie aufwenden und unsere Erkenntnisse in Entschlüsse und konkrete Handlung umsetzen, können wir die karmische Stagnation der Stufe vier aufbrechen.
Alle Bemühungen, unser Handeln bereits in der vierten Ebene auf die fünf Freiheiten[4] auszurichten, helfen unserer weiteren Entwicklung. Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Ansicht reicht die rein formale Zusage, sich an den fünf Freiheiten orientieren zu wollen, jedoch nicht aus, um einen Übergang in die fünfte Ebene herbeizuführen.
Dies manifestiert sich oft als störrisches Festhalten an der Überzeugung, daß wir auf unserem Weg zur Befreiung gute Fortschritte machen, - als eine selbstgefällige Zufriedenheit mit der Geschwindigkeit und Stetigkeit, in der wir uns zu entwickeln scheinen, - als die Tendenz zu beobachten, statt unser Leben aktiv in neue Bewußtseinsbereiche zu steuern, - als eine Vorliebe für symbolische Handlungen, Rituale und Techniken, statt uns den (möglicherweise unangenehmen emotionalen) Herausforderungen zu stellen, die für das Erreichen echten Verstehens nötig sind, - als ein Beharren auf eingefahrenen Wegen, statt unsere inneren und äußeren Konflikte auf diesem Weg aktiv und intelligent zu konfrontieren, - und schließlich als die Abneigung, höhere Ziele real für uns zu definieren.
In Wirklichkeit ist dies jedoch Stagnation. Was fehlt, sind die atemberaubenden Durchbrüche in höhere Entwicklungsstufen, das dynamische Eindringen in intensivere, höhere und umfassendere Ebenen unseres Seins. Obwohl wir in dieser statischen Phase durchaus Einblicke und wachsendes Verständnis erfahren können, sind wir nicht gewillt, den Grad an Energie aufzubringen, der uns zu höheren Ebenen durchbrechen läßt.
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