Visuddhya pratipatabhyam tadvishesah (24)
Die beiden Intensitäten der unmittelbaren geistigen Aufnahmefähigkeit (manah-paryaya) unterscheiden sich voneinander durch ihren Grad an Klarheit und durch die Möglichkeit, den Zustand wieder verlieren zu können. (24)Zwei Faktoren bestimmen, zu welchem Grad sich die unmittelbare geistige Aufnahmefähigkeit in uns manifestiert:
- Die Klarheit, mit der wir diese Fähigkeit wahrnehmen,
hängt davon ab, in welchem Ausmaß unsere entsprechenden Karmas aufgelöst[52] sind.
Komplexes unmittelbares Wissen (vipulamati) ist weit klarer als einfaches unmittelbares Wissen (rjumati). Es erfaßt weit subtilere Formen der Materie und Dimensionen der Realität, als dem einfachen unmittelbaren Wissen zugänglich sind.
- Die Möglichkeit, den Zustand wieder zu verlieren,
hängt von unserer Entscheidung ab, welchen Weg wir zu höheren Entwicklungsstufen (gunasthana)[53] einschlagen.
Die unmittelbare geistige Aufnahmefähigkeit wird in der siebenten bis zwölften Entwicklungsstufe erfahren. Dabei bieten sich uns von Stufe sieben (apramatta virata) an zwei Möglichkeiten des Aufstiegs:
- Die Unterdrückung von Karma.
Hier tritt der größte Teil unseres restlichen Karmas in den inaktiven, latenten Zustand und gibt uns damit die Möglichkeit, den Charakter der höheren Stufen zu erfahren. Dieser Weg führt jedoch nur bis Stufe 11, von der wir wieder auf Stufe 7 herabfallen. Ein Aufsteigen über die Ebene 11 hinaus ist wegen des noch vorhandenen latenten Karmas nicht möglich.
Solange wir uns für diesen Weg entscheiden und unser Karma nicht grundlegend auflösen, erfahren wir auch nur den ersten Intensitätsgrad von manah-paryaya - das 'Einfache unmittelbare Wissen' (rjumati).
- Die Auflösung von Karma.
Hier wird das restliche Kar-ma vollständig aufgelöst. Dieser Weg führt unter Aussparung der Ebene 11 über die Ebenen 8, 9, 10, 12, 13 zu Ebene 14 und dann zur Befreiung (moksa). Dieser Weg ist der einzige, der zur Befreiung führt.
Komplexes unmittelbares Wissen (vipulamati) - der weit umfassendere Intensitätsgrad von manah-paryaya - eröffnet sich erst, wenn wir uns entscheiden, unser Karma grundlegend aufzulösen.
- Die Unterdrückung von Karma.
Das Aufsteigen von Stufe 7 auf Stufe 11 ist nicht mit den Mechanismen zu vergleichen, die wir auf Stufe 1 bis 4 erfahren. In Stufe 1 und 4 halten sich die Menschen gewöhnlich sehr lange auf und empfinden den Wechsel in höhere Stufen als außergewöhnlich und u.U. auch als beschwerlich.
Sobald wir die fünfte Entwicklungsstufe erreicht haben, beschleunigt sich jedoch die Entfaltung unseres Bewußtseins. Der Aufenthalt in einigen höheren Stufen ist nur kurzzeitig möglich. Der ständige Wechsel von einer Stufe zur nächsten wird dann als natürlich und unkompliziert empfunden.
Das häufige Aufsteigen von Stufe 7 nach 11 läßt sich mit dem Trainieren eines Anlaufes vergleichen. Wie bei einem Hochsprung bereiten wir uns darauf vor, auch die letzte Hürde vor der vollen Erfahrung unseres Bewußtseins zu nehmen.
Die Entscheidung, statt der bloßen Unterdrückung von Karma dessen komplette Auflösung zu wählen, ist jedoch nicht einfach. Zwar haben wir uns auf Stufe 7 bereits klar für die Befreiung entschieden, doch halten uns feine emotionale Bindungen an subtile Eigenschaften dieser Welt noch fest. Wir scheuen vor der endgültigen Auflösung allen Karmas solange zurück, wie wir uns von längst ausgelebten, aber liebgewonnenen Erfahrungen nicht trennen können.
Wesentlich ist, daß wir selbst die Entscheidung fällen, wann wir die Bindungen wegfallen lassen wollen, - um dann den zweiten Weg zu gehen, der endgültig zur Befreiung führt.
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