Tatpramane (10)
Diese fünf Wissensarten werden durch zwei Arten von pramana erzeugt. (10)Wissen, das wir über die Sinne, aus externen Quellen, durch Hellsicht, durch Wahrnehmen der Aktivität im Geist anderer und durch Allwissenheit erlangen, ist pramana.
Diese Aussage hört sich einfach an, hat aber weitreichende Konsequenzen. Sie besagt, daß Wissen und die Art wie wir es erkennen, das GLEICHE ist.
Das bedeutet, daß Wissen ein Prozeß ist, und nicht die Menge an Informationen, die in Büchern und anderen Datenträgern gesammelt ist und die wir üblicherweise als Wissen ansehen. Diese Datenmengen sind bestenfalls Rohmaterial, das nur dann zu Wissen wird, wenn wir es in unser Bewußtsein aufnehmen und dort aktivieren.
Wissen ist eine individuelle Erfahrung, die jeder durch Öffnung seines eigenen Bewußtseins selbst definiert.[33]
Wir erlangen Wissen, indem wir unsere Erkenntnisfähigkeit - d.h. unsere Fähigkeit zu verstehen - ausbauen, nicht dadurch, daß wir formales Wissen akkumulieren[34]. Den Ausbau unserer Erkenntnisfähigkeit erreichen wir durch die Beseitigung von Blockaden, die unser Bewußtsein einschränken.
Das Aufsteigen von Wissen - d.h. der Augenblick des Verstehens - ruft tiefe Befriedigung in uns hervor. Wissen löst Unsicherheit, Mißverstehen und Zögern auf und erzeugt eine innere Ruhe, Klarheit und Sicherheit, die sich wesentlich von vorherigen Zuständen abhebt. Auch das Aufsteigen höherer Bewußtseinszustände ist nichts anderes als die Erfahrung, wie sich Wissen in uns entfaltet.
Die im Westen weit verbreitete Ansicht, daß wir nur über die Sinne Wissen aufnehmen, trifft nicht zu. Zu oft erhalten wir (durch plötzliches intuitives Verstehen) Kenntnis von verborgenen oder weit entfernten Ereignissen und Dingen, die nicht mit unseren Sinnen in Kontakt sind. Und es gibt genügend Berichte, die die Erfahrung höherer Bewußtseinszustände beschreiben. Fast alle dieser Berichte betonen, daß diese Zustände ohne Einsatz der Sinne oder eines materiellen Trägers auftragen.
Pramana nimmt Erkenntnis direkt oder indirekt auf. Die nächsten zwei Sutren gehen näher auf diese beiden Mechanismen ein.
Wissen umfaßt nicht nur die Kenntnisse, die während einer bestimmten Situation im Vordergrund unseres Bewußtseins präsent sind, sondern auch die gewaltige Menge all der Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir bereits in uns integriert haben und die uns aus dem Hintergrund un sichtbar unterstützt.
Zur Steuerung unseres Lebens greifen wir ständig auf diese Gesamtheit des Wissens zu. Auch wenn wir uns dabei der einzelnen Teile dieser Gesamtheit nicht bewußt sind, schränkt dies das Geschick, mit dem wir unser Leben steuern, nicht ein.
Ein Beispiel dafür ist das Fahrradfahren. Um diesen Zustand labiler Balance überhaupt möglich zu machen, greifen wir ständig auf all die körperlichen Erfahrungen zurück, die wir zuvor bei diesem Vorgang schon gemacht haben. Doch obwohl wir mit diesem permanenten Vergegenwärtigen früherer Erfahrungen eigentlich völlig ausgelastet sein müßten, sind wir aber immer noch fähig, das Rad souverän auch durch Gegenden zu lenken, die uns unbekannt sind, die wir neu erkunden wollen und in denen wir uns erst orientieren müssen.