Tattvarthashraddhana samyagdarshanam (2)
Vertrauen in den Sinn der Realität ist der Ursprung unseres Gespürs für Wachstum - samyag darshana. (2)
Das Streben nach Erfüllung (Umsetzung, Realisierung) all der Werte und Ideen, die wir im Inneren fühlen, ist eins der grundlegenden Merkmale unserer Existenz.
Sinn der Realität ist es, die Verwirklichung all dieser Vorstellungen, Ideen, Konzepte und Ideale möglich zu machen. Sinn der Realität ist ein Wachstumsprozeß, der unseren inneren Drang, diese Werte konkret zu erfahren, in die Wirklichkeit umsetzt.
Wesentliches Merkmal dieses Prozesses ist, daß er statische Situationen, in denen wir uns verfangen[1], immer wieder aufbricht. Er stimuliert uns dadurch, uns neuen Erfahrungen zu öffnen, die letztendlich zu einem immer umfassenderen Verständnis unserer Wirklichkeit führen.
Die Hauptaufgabe unserer Realität ist daher nicht, materielle Umstände, die unsere Erfahrungen begleiten mögen, permanent zu machen, sondern in uns das Bedürfnis wachzurufen, zu immer neuen Erfahrungsbereichen aufzubrechen. Sobald optimale Erkenntnis aus bestehenden Umständen gezogen wurde und sie für unsere Entwicklung keine Bedeutung mehr haben, fällt unser Interesse an ihnen daher automatisch weg.[2]
Wenn wir uns dieser Grundfunktion der Wirklichkeit bewußt sind, ist es ein Einfaches, unser Hauptaugenmerk auf den Wachstumsprozeß zu richten, statt auf die Stabilität unserer materiellen Umgebung. Dies befähigt uns dann, den Sinn von Veränderungen, die sich in uns und in unserer äußeren Welt abspielen, als Ausrichtung auf etwas Neues zu interpretieren,selbst wenn diese Veränderungen anfangs Verwirrung und Dessorientierung auslösen.
Vertrauen in den Sinn der Realität ist die grundlegende Überzeugung, daß alle Ereignisse, denen wir im jetzigen Zustand der Verkörperungen begegnen, die Aufgabe haben, uns unsere immensen potentiellen Fähigkeiten bewußtzumachen, damit wir diese erkunden, verstehen und für unser weiteres Wachstum einsetzen können.
Vertrauen in den Sinn der Realität ist die grundlegende Gewißheit, daß eine Verwirklichung der in uns gefühlten potentiellen Fähigkeiten möglich ist. Es bedeutet, unsere Aufmerksamkeit auf die Erfahrung umfassenderer Bewußtseinszustände - wie flüchtig sie auch sein mögen - zu richten und dann aktiv an deren Entfaltung und Stabilisierung zu arbeiten.
Dieses Vertrauen wird nicht durch blinden Glauben oder rein intellektuelles Verstehen hervorgerufen, sondern allein dadurch, daß wir es erfahren.
Skepsis beim ersten Experimentieren mit diesem Konzept ist nicht hinderlich. Gewöhnlich stellen sich schon nach kurzer Zeit erste positive Ergebnisse ein, auch wenn nicht gleich jede Anstrengung in diese Richtung Erfolg bringt. Die wachsende Freiheit von Abläufen, die wir zuvor als zwangsläufig angesehen hatten, die Unabhängigkeit von einschränkenden Lebensumständen oder Personen und die erhöhte Energie und Inspiration, die uns für die eigene Entwicklung zur Verfügung stehen, sind die beste Motivation, weiter in diese Richtung größerer Selbstbestimmung fortzuschreiten.
Hindernisse, die uns auf diesem Weg begegnen, werden von unseren eigenen Emotionen, Vorurteilen und Ansichten hervorgerufen. Die Mechanismen, die diese Hindernisse erzeugen und deren Auflösung lassen sich an dieser Stelle nicht in der erforderlichen Ausführlichkeit darstellen. Das Buch Karma: Der Mechanismus[3] befaßt sich eingehend mit diesem Thema.
Vertrauen in den Sinn der Realität (samyag darshana) und das Gespür für Wachstum - der praktische Ausdruck dieses Vertrauens - treten in zwei Stufen auf.
- Die erste Stufe ist noch tief von der physischen Realität gekennzeichnet, die unser Bewußtsein auf den unteren Entwicklungsstufen[4] (gunasthana) fast hypnotisch gefangenhalt. Wir empfinden unser Gespür für Wachstum hier hauptsächlich als Weg, der aus dieser hypnotischen Faszination herausführt. Das Gespür entfaltet sich dabei als Gegenpol zu den Dingen, die uns umgeben und die wir auf diesen Entwicklungsstufen erfahren.Uns erscheint unser Gespür für Wachstum dabei als eine Art Tunnel, der auf dem Weg in höhere Ebenen zeitweilig durch eine seltsam absurde Welt[5] führt. Da diese absurde Welt in uns zuweilen Furcht auslöst, halten wir uns am Weg fest wie an einer Rettungsleine.Doch wir beobachten die wirren Ereignisse um uns herum mit wachsendem Verständnis, und fast automatisch entsteht dadurch Mitgefühl für alle, die diese wirre Welt noch ohne Orientierung erfahren. Der Impuls, diese anderen aus ihrer Orientierungslosigkeit herausführen zu wollen, ist ein weiteres Merkmal dieser ersten Stufe unseres Gespürs für Wachstum.
- Mit dem Erreichen der zweiten Stufe von samyag darshana treten wir aus dem engen Tunnel heraus, den die physische Realität um unser Bewußtsein gewoben hat. Von nun an orientieren wir uns nicht mehr daran, einen beengenden Zustand zu verlassen, sondern richten unsere Aufmerksamkeit auf das, was sich in uns entfalten will.Vor uns breitet sich jetzt die eigentliche Größe unseres Bewußtseins aus. Wir nehmen die unendlichen Möglichkeiten wahr, die sich uns bieten und erkunden dieses Potential mit nie gekannter innerer Sicherheit. Wir wissen jetzt, daß alle Ereignisse, denen wir je begegnet sind, uns an genau diesen exaltierten Punkt geführt haben. Von hier an gehen wir unseren Weg in unerschütterlichem Vertrauen, daß alles, was uns je begegnen wird, zur weiteren Entfaltung unserer Fähigkeiten beiträgt.Die zweite Art des samyag darshana tritt von der zehnten Entwicklungsstufe (gunasthana) an auf. Seine Entfaltung wird ausschließlich von der zunehmenden Reinheit unseres Bewußtseins inspiriert.
Zum Vorkommen im Text springen
Menschen, die in der Lage sind, sich sämtliche materiellen Wünsche zu erfüllen, aber keine Orientierung haben, die über dieses Ziel hinausgeht, verlieren sich dann vielfach in Aktivitäten, die keine Bedeutung für ihre Entwicklung mehr haben (z.B. das ungehemmte Anhäufen von Geld oder seltenen Objekten, wohltätiger Ehrgeiz ohne echte innere Beteiligung, die Teilnahme an sozialen Zirkeln, die nur auf Äußerlichkeiten ausgerichtet sind, etc.). Das Gefühl der Langeweile und der Bedeutungslosigkeit materieller Existenz, das sich dadurch einstellt, ist der beste Beweis dafür, daß die Realität auf inneres Wachstum ausgerichtet ist, und nicht auf die Stabilität unserer äußeren Umgebung.
Zum Vorkommen im Text springen
Zum Vorkommen im Text springen
Zum Vorkommen im Text springen