Die Gegenwart ist die einzige Zeit, die uns Zugang zur Realität gibt.
Alles was wir tun, alles was wir erleben, alles womit wir konfrontiert werden, findet ausschließlich in der Gegenwart statt. Auch wenn wir an die Vergangenheit denken (uns an etwas erinnern) oder die Zukunft planen, tun wir das nur in der Gegenwart. Nur das, was wir jetzt und hier erfahren, kann uns daher auch Auskunft über ein Objekt, einen Ablauf oder uns selbst geben.
In der Gegenwart erleben wir jedoch nicht nur rein temporäre, flüchtige Erscheinungsformen. Flüchtigkeit ist nur ein Aspekt des Gegenwärtigen. Jedes Objekt oder Ereignis - egal wie flüchtig es uns erscheinen mag - spiegelt immer auch die Gesamtheit der Realität wider, die diese Erscheinungsform hervorbrachte.
Die Aussage 'Ich bin glücklich' beschreibt beispielsweise ein aktuelles positives Erlebnis. Das Fundament dieser Aussage - das Lebewesen, das sich freut, die Ursachen und Art der Freude etc. - ist darin ebenfalls enthalten, ohne daß es besonders erwähnt werden muß.
Alle Ereignisse, die wir in der Gegenwart erfahren, bringen immer auch all das zum Ausdruck, was ihr Auftreten herbeigeführt hat. Inhalte, Assoziationen, Ursprung, Projektionen, Vorstellungen, - all dies erzeugt in uns Widerhall während wir ein Ereignis beobachten. Daß uns dies oft nicht bewußt ist, liegt nur daran, daß wir diesen ganzheitlichen Aspekt der Gegenwart und die immensen potentiellen Einsichten, die sich uns dadurch eröffnen können, fast nie beachten.
Im westlichen Kulturkreis richten wir unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Flüchtigkeit der Gegenwart. Wir verstehen Zeit als einen Strahl, der aus unendlicher Vergangenheit kommt und in endlose Zukunft verläuft. In diesen scheinbar gigantischen Massen vergangener und zukünftiger Zeit nimmt die Gegenwart dann einen derart winzigen Bereich ein, daß es eigentlich schon wundert, daß wir sie überhaupt wahrnehmen.
Dies ist jedoch auch nur ein Konzept. Es ist allein unsere eigene, momentan gängige Vorstellung von Zeit, die diese Abwertung der Gegenwart verursacht. Wir nehmen den Teil der Gegenwart, mit dem wir uns vertraut fühlen und definieren ihn als 'Vergangenheit'. Wir nehmen unsere Erwartungen und Hoffnungen und definieren sie als 'Zukunft'. Das wenige was bleibt, ordnen wir entweder der Gegenwart zu oder ignorieren es, da wir nicht wissen, was wir damit anfangen sollen. Nur dieses einengende Konzept läßt uns die Vergangenheit und Zukunft als so wichtig und dominant ansehen, daß wir ihnen erlauben, erhebliche Teile unserer Gegenwart völlig zu überschatten.[64]
Wir vergessen dabei jedoch, daß nur die Gegenwart uns Zugang zu Allem geben kann. Wir übersehen, daß wir hinter all ihrer typischen Flüchtigkeit immer auch all die 'unsichtbaren' Einflüsse wahrnehmen, die ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt haben.
In diesem vierten Schritt untersuchen wir daher, wie sich ein Objekt oder Ablauf in unserer Gegenwart manifestiert, und wie diese 'flüchtige' Manifestation die zugrundeliegende 'dauerhafte', vollständige Realität widerspiegelt.
BEISPIEL:
Wir schaffen uns ein Telefon an und sprechen mit Freunden, Verwandten und anderen Menschen, die weit entfernt sind.
Wir stellen dabei fest, daß sich dadurch unsere Zukunftsplanung leichter mit anderen abstimmen läßt, daß wir uns schnell Informationen holen können. Schließlich beobachten wir, daß sich unser Leben wesentlich verändert, wenn wir jederzeit mit anderen (per Telefon) in Verbindung treten können. Wir erkennen, daß das Gerät einen Einfluß auf unser Leben hat, der weit über den Inhalt all der Einzelgespräche, die wir führen, hinausgeht.
'Was erfahren wir jetzt damit?'
Uns interessiert dabei kein theoretisches Wissen, das irgendwann einmal Einfluß auf uns haben könnte, sondern nur das, was unmittelbar in der Gegenwart auf uns wirkt, - das aber in seiner ganzen Tiefe.[65]
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Erinnerungen an vergangene Ereignisse spiegeln immer nur einen kleinen Ausschnitt realer Abläufe wider, - und dieser Ausschnitt wird umso kleiner, je weiter wir uns zeitlich von dem Ereignis entfernen. An welchen Teil der Vergangenheit wir uns überhaupt erinnern können, ist darüberhinaus erheblich von unserer augenblicklichen Gefühlslage und Situation - unserer Tagesform - beeinflußt.