Bhava pratyayo avadhir deva narakanam (21)
Den Bewohnern höherer und niederer Welten[49] ist Hellsicht {avadhi) angeboren. (21)
Die Bewohner höherer himmlischer' Welten (devas)
sind Lebewesen, die durch ihr Verhalten und innere Haltung einen bestimmten Typ positiven Karmas gebunden haben, der zu Verkörperungen in diesen Bereichen führt. Die Körper und Lebensumstände der devas unterstützen deren tiefes Verlangen nach Sorgenfreiheit, Glück, ungehinderter Bewegungsfreiheit, Gesundheit, übersinnlichen Fähigkeiten, stressfreier Kommunikation, etc. Da die himmlischen' Bereiche von Wesen mit gleichartiger Haltung bewohnt werden, kann dieses Verlangen hier befriedigt werden, ohne daß Wesen mit anderem Lebensziel dies stören oder sich dadurch gestört fühlen.[50]
Verkörperungen in niederen, 'höllischen' Bereichen (narakas)
entstehen durch exzessives Festhalten an Objekten, Menschen, Status, etc., unmäßiges Verlangen nach dem Eigentum anderer, Empfindungen wie "Dies alles ist mein" etc., und durch rachsüchtige, grausame Gedanken zum Zeitpunkt des Todes. Es manifestiert sich dadurch das tiefe Verlangen des Lebewesens nach weiterer Anhaftung an Materie und der Erfahrung grausamer, rachsüchtiger Verhaltensweisen. Da die niederen, 'höllischen' Bereiche von Wesen mit gleichartiger Haltung (narakas) bewohnt werden, kann dieses Verlangen dort befriedigt werden, ohne daß dadurch Wesen mit anderem Lebensziel gestört werden. Sobald sich diese Haltung abschwächt, bzw. das enl sprechende Karma aufgelöst ist, eröffnet sich dem derart Ein gebundenen die Möglichkeit, diese Bereiche wieder zu verlassen.
Wesentlich bei beiden Existenzarten ist, daß hier nicht ein (religiöses) Konzept der Hölle im Sinne von 'Bestrafung' und 'ewiger Verdammnis' oder von 'Himmel' im Sinne von 'Belohnung' und 'ewiger Seligkeit' gemeint ist, sondern ein Mechanismus, der ein Lebewesen in genau die Lebensumstände stellt, die für seine Entwicklung, seine Wünsche und seine Möglichkeiten ideal sind. Es ist ein freiwilliger Weg, den jeder Einzelne durch sein Verhalten in der Gegenwart selbst definiert.
Die Bewohner der himmlischen und der höllischen Bereiche besitzen von Geburt an die Fähigkeit des Hellsehens und der Telepathie.
Diese Ausstattung ist eine Grundeigenschaft ihrer aktuellen Existenzebene. Sie wird nicht durch den Wegfall entsprechen der Karmas verursacht, sondern dadurch, daß das Karma, dass Hellsicht in anderen Existenzebenen blockiert, für die Dauer dieser Verkörperung einen latenten, inaktiven Zustand annimmt.
Obwohl die Fähigkeit angeboren ist, verfügen devas und narakas nicht alle über den gleichen Grad an Hellsicht. Die Abstufung hängt vom individuellen Entwicklungsgrad der Wesen ab. Ähnlich wie Menschen über ihre Sinne[51] richtiges wie falsches Wissen erhalten können, so nehmen devas und narakas durch Hellsicht ebenfalls richtiges wie falsches Wissen auf.
1 - devas - Wesen, die sich in himmlischen Bereichen aufhalten;
2 - narakas - Wesen, die sich in höllischen Bereichen aufhalten;
3 - Menschen
4 - Tiere und Pflanzen.
Für den im westlichen Kulturkreis aufgewachsenen Menschen mag diese Unterteilung - und besonders die ersten beiden Klassen - ungewohnt sein und schnell dem Bereich der religiösen Fabel oder einer eher einfältigen höheren Instanz von Belohnung und Bestrafung zugeordnet werden.
Dieser Art der mystischen Zuordnung meinen die Jains jedoch nicht. Es handelt sich hier um eine umfassende Klassifizierung von Lebensformen, die im zweiten bis vierten Kapitel des Tattvarthasutra detailliert beschrieben werden.
Die westliche Wissenschaft - die unsere Lebensmodelle zum wesentlichen Teil prägt - beschäftigt sich nicht mit diesen Bereichen und kann daher auch nichts über sie aussagen.
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