Wer Ausgeglichenheit und Gelassenheit des Geistes anstrebt, muss sehr vorsichtig vorgehen und stets wachsam sein. Am besten ist es, wenn man sich überlegt, was genau man erreichen möchte und das auch für sich formuliert: „Ich bin fest dazu entschlossen, meine negativen Tendenzen und Verhaltensweisen aufzugeben und werde es nicht zulassen, dass sich mein Geist mit negativen Gedanken und Vorstellungen oder Worten beschäftigt und auch niemals so handeln, dass jemand Schaden nehmen kann.“ Die Umsetzung dieses Vorhabens kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn man sich die Schatten der Vergangenheit vergegenwärtigt hat und es ihnen nicht mehr gestattet, die Gegenwart zu konstituieren. Dazu muss man die Vergangenheit nachvollziehen und vergangene Situationen verarbeiten, in denen man gehandelt hat, ohne im Einklang mit seiner Seele zu sein. Nur wer diese Situationen erkannt und verarbeitet hat, kann man sich von seiner früheren Persönlichkeit lösen und eine neue aufbauen. Die transformierte Persönlichkeit ist wie die Neugeburt in ein erleuchtetes Dasein, in dem sich zunehmend Bewusstheit und Wachheit entwickeln.
Solange dieser Prozess nicht in Gang gesetzt ist, mischt sich das Unbewusste in unser Vorhaben ein und macht es unwirksam. Selten ist uns bewusst, dass die Gegenwart auch von der Vergangenheit mitgestaltet wird, wenn wir unseren Geist damit beschäftigen, wie wir unsere Lebensumstände optimieren können. Wenn wir nur daran denken, wie wir die Gegenwart verbessern können und uns von der Wirkung vergangener Handlungen auf die Manifestation unserer Energie nicht befreit haben, werden wir scheitern. In Form von unterdrückten Wünschen und Begierden wird die Vergangenheit zum Auslöser vieler Konflikte. Das stört uns in der Meditation und verhindert, dass wir zum reinen Beobachter allen Geschehens in unserem Leben werden. Kontinuierliches Praktizieren von Preksha Meditation unterstützt uns dabei, die Ereignisse in unserem Leben als das wahrzunehmen, was sie sind, ohne sie auf der Basis von Vorlieben oder Abneigungen – gefällt mir, gefällt mir nicht - zu bewerten. Es gehört zum Prozess der Bewusstwerdung, zum unvoreingenommenen Beobachter aller im Leben auftretenden Situationen zu werden, anstatt weiter nur instinktiv auf sie zu reagieren. Kayotsarga (Tiefenentspannung) und Preksha Meditation sind nachhaltige Methoden, den Geist von allen Einwirkungen vergangener Handlungen zu befreien, damit die in der Gegenwart benötigten Energien freigesetzt werden können.
Fühlt man sich von unterdrückten Begierden der Vergangenheit oder Einmischungen des Unbewussten unter Druck gesetzt, sollte man Kayotsarga praktizieren und sich einfach anschauen, was den Geist beschäftigt. Keinesfalls sollte man versuchen, den Fluss der Gedanken zu unterdrücken. Am besten nimmt man das Kommen und Gehen der Gedanken wahr, ohne sich in Einzelheiten zu vertiefen.
Acharya Hemachandras Yoga Shastra besteht aus 12 Kapiteln. In 11 Kapiteln stellt er Formen der Meditation vor, im 12. Kapitel erörtert er eigene Meditationserfahrungen. Darin betont er, wie wichtig es ist, in der Meditation die Aktivitäten des Geistes nicht zu unterdrücken, weil unterdrückte Gedanken und Vorstellungen mit fatalen Auswirkungen im Unbewussten gespeichert werden.
Man mag sich fragen, ob negative Gedanken und Vorstellungen nicht besser unterdrückt werden. Doch leider ist es eine Tatsache, dass sich religiöse Menschen über ihre eigenen negativen Gedanken und Vorstellungen weniger im klaren sind als über die anderer. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, Regeln und Vorschriften aufzustellen und andere vor dem Bösen zu retten. Es scheint, als ob die Uniformität ihrer Anhänger in einer Religion besonders gut gedeiht. Uniformität reinigt das Herz nicht, sie unterdrückt nur die Symptome des Leidens. So wie Naturheilkunde und Ayurveda im Gegensatz zur zeitgenössischen Medizin die Symptome nicht unterdrücken, sondern das Übel an der Wurzel packen, muss man auch mit den Keimen des Karmas umgehen. Wer die in die Irre führenden Auswirkungen des Karma dadurch zu verhindern meint, dass er seinem Intellekt einen emotionslosen Zustand verordnet, muss wissen, dass die unterdrückten Keime des Karma in der Seele schlummern, bis sich eine Gelegenheit zur Manifestierung bietet.
Unterdrückung ist immer gefährlich. In der Verwaltung meinen viele, dass jede Bewegung nur Unruhe bringt und unterdrückt werden muss. Sie vergessen aber, dass unterdrückte Hoffnungen gefährlich sind. Deshalb sollte man negative Gedanken und Vorstellungen zwar wahrnehmen, sie aber nicht vertiefen. In einem freien Geist lassen sie im Laufe der Zeit nach und verschwinden schließlich von selbst. Doch man muss sich darüber klar sein, dass sie Probleme mit sich bringen, solange sie vorhanden sind.
Pranyama, Kontrolle des Atems, hat drei Stadien: Leeren - Sammeln - Zurückhalten. Normalerweise atmen wir einfach nur ein oder aus. Was wir wirklich brauchen, ist das Leeren. Leider wissen wir nicht, wie das geht, deshalb sind wir so ruhelos.
Das Leeren von Geist und Seele ist eine wichtige Voraussetzung für die spirituelle Praxis. Man sollte weder gute Gedanken lieben, noch schlechte hassen. Lassen wir doch einfach die Gedanken kommen und gehen. Die meisten verlieren die Geduld mit sich, wenn sie schlechte Gedanken wahrnehmen. Das ist ganz falsch. Man sollte lieber froh darüber sein, denn negative Gedanken, die ihren Schonraum verlassen haben und keine Unterstützung im Bewusstsein finden, sterben bald eines natürlichen Todes. Meditation ist immer ein Eintauchen in die Tiefe des eigenen Seins. Wer in diese Tiefe vordringt, fördert alles Negative zutage, das sich in der Vergangenheit dort angesammelt hat.
Es gibt zwei Arten von Fieber: gewöhnliches Fieber und Knochenfieber. Bei Knochenfieber erhöht sich die Körpertemperatur nicht. Seine Symptome bleiben verborgen, deshalb ist es so gefährlich. Mit Vorstellungen und Gedanken ist es genauso, auch sie bleiben verborgen. Nur wenn an ihren Wurzeln gegraben wird, aktivieren und manifestieren sie sich.
Kritisch wird es, wenn die negativen Gedanken und Vorstellungen tatsächlich auftauchen. In dieser Situation gibt es nur zwei Möglichkeiten, entweder man scheitert oder es gelingt einem, sein Bewusstsein weiterzuentwickeln. Dazu muss man sehr achtsam werden und sich meistern können.
Jeder auf dem spirituellen Weg weiß, wie schwer es ist, sich der Vergangenheit zu entledigen, denn sie manifestiert sich immer wieder auf die eine oder andere Weise. Davon sollte man sich aber nicht nervös machen lassen. Man sollte immer bedenken, dass man sich seiner alten Persönlichkeit entledigt und dabei ist, sich eine neue zu schaffen. Für diese neue Persönlichkeit braucht man neue Rohstoffe.