Wer diese Reise zum erstenmal unternimmt, wird sie schwierig finden, denn viele stellen sich die Frage, ob es zwei Seelen gibt, eine, die wahrnimmt, und eine andere, die das Objekt der Wahrnehmung ist. Wenn wir sagen: „Erkenne die Seele“, heißt das nicht, dass die Seele sich als Objekt der Wahrnehmung von der wahrnehmenden unterscheidet. Doch ist die Frage ganz natürlich, denn das trennende Unterscheiden liegt in der Natur des Menschen. Es wird im Geschäftsbereich, im Handel, in Religion und Politik praktiziert. Die Tendenz zum trennenden Unterscheiden wirkt sich auch auf die spirituelle Sicht aus. Wir sind eben Dualisten und können nicht anders, als erst einmal zwei Seelen anzunehmen. Doch das stört und verwirrt uns nur beim Antritt unserer spirituellen Reise. Wenn wir sie beendet haben, verschwindet der Dualismus für immer.
Gewöhnlich betrachten wir das, was außerhalb von uns ist. Wir haben uns davon so faszinieren lassen, dass sich sogar die Seele nach außen gerichtet hat und wir uns somit völlig auf die Außenwelt einstellen. Früher war die Seele in unserem Inneren, nun identifiziert selbst sie sich mit der Außenwelt und überlagert dort alle materiellen Objekte.
Die Logik sagt uns, dass wir keine weitere Lampe brauchen, um eine Lampe erkennen zu können. Um ein leuchtendes Objekt zu sehen, brauchen wir kein anderes leuchtendes Objekt. Licht ist selbst-leuchtend. Die Seele, die wie die Sonne leuchtet, braucht kein materielles Medium, um gesehen zu werden. Es wäre töricht, eine Lampe anzuzünden, um die Sonne zu sehen. Unsere Schwierigkeit besteht darin, dass zwischen unserer inneren und der höchsten Seele ein Vorhang ist, den wir zerreißen müssen. Er besteht aus den täuschenden Leidenschaften, welche die Erkenntnisfähigkeit trüben. Es ist sehr schwer, diesen Vorhang zu zerreißen und das Höchste zu erkennen, denn zwischen der nach außen tendierenden Seele und dem Höchsten gibt es eine große Kluft voller phantastischer Blockierungen. Sie zu überwinden braucht es die Kraft eines Herkules. Die Blockierungen sind nicht materiell, und wir können sie nicht sehen. Sie sind so subtil, dass es schon sehr schwierig ist, ihr Vorhandensein überhaupt zu fühlen. Das Subtile entzieht sich unserer Wahrnehmung. Deshalb sind wir uns der Existenz dieser Blockierungen auch nicht bewusst.
Sobald wir aufgefordert werden, das Subtile wahrzunehmen, werden wir von der Länge des vor uns liegenden spirituellen Weges überwältigt. Doch lassen wir uns davon nicht entmutigen, sondern schreiten voran. Nach und nach wird uns klar, dass wir unserem Ziel allmählich näher kommen, wenn wir mit Hoffnung und Enthusiasmus dabei bleiben. Dennoch brauchen wir das Licht des reinen Bewusstseins, damit wir unseren Weg erkennen können und es weder Leidenschaften, noch Vorlieben oder Abneigungen gelingt, uns davon abzubringen. Geduld und Selbstvertrauen helfen uns dabei, das Höchste Licht, das niemals flimmert oder erlischt, erkennen zu können.
Die Bereitschaft zu spiritueller Anstrengung ist eine bedeutende religiöse Leistung. Wenn Religion uns nicht dazu inspiriert, uns um das Selbst zu bemühen, ist sie nur ein närrischer Schabernack. Leider legen die meisten religiösen Menschen unserer Zeit nur wenig Wert darauf sich spirituell anzustrengen. Sie predigen spirituelle und moralische Werte wie Güte, Selbstlosigkeit, Altruismus, Aufrichtigkeit, Freundlichkeit, Gewaltlosigkeit und dergleichen. Zweifellos sind diese Werte segensreich, doch haben sich die Menschen durch bloßes Predigen bisher nicht verändert und sind geblieben, wie sie waren. Die Predigten haben sie nicht dazu angeregt, sich auf die Entwicklung einer humanen Persönlichkeit zu konzentrieren. Deshalb sind Predigten leider nur eine Aneinanderreihung leerer Worte.
Eine Ratte und eine Eule waren befreundet. Die Ratte beklagte sich bei der Eule, dass eine Katze sie bedroht und sie nicht wisse, was sie dagegen tun soll. Die Eule schlug ihr vor, eine Wildkatze zu werden, um die Katze einzuschüchtern. Die Ratte war begeistert von dem Vorschlag, wusste aber nicht, was sie tun musste, um eine Wildkatze zu werden, und bat wieder die Eule um Rat. Die Eule entgegnete: „Ich kann nicht alles für dich tun. Es ist deine Aufgabe, eine Wildkatze zu werden.“
So ähnlich ist es auch mit der Religion. Priester raten uns oft leichten Herzens, dieses zu tun und jenes zu lassen. Es ist entmutigend, dass sie uns keine praktischen Tipps geben, wie wir so werden können, wie wir ihrer Auffassung nach sein sollten. Die Wahrheit ist, dass sie uns einfach in die Irre führen. Solange uns die Religion nicht die Methode vermittelt, wie wir uns zum Guten transformieren können, haben wir kein Vertrauen in sie. Wir erwarten von der Religion, dass sie uns einen festumrissenen Plan mit praktischen Anleitungen zur Verfügung stellt, der uns auf wissenschaftlicher Basis zur Transformation anleitet und uns das Vertrauen zurückgibt, dass religiöse Praxis uns zu einem glücklicheren, friedvolleren und angenehmeren Menschen macht. Nur so hat die Religion die entsprechende Antwort auf Anfechtungen.
Vor 30 Jahren machte Acharya Tulsi eine bemerkenswerte Beobachtung: "Tausende von Menschen kommen aus den entlegensten Gebieten, nur um uns die Ehre zu erweisen, weil sie fühlen, dass etwas in uns ist, das ihnen Frieden und Selbst-Vertrauen geben kann. Entziehen wir uns nicht unserer Verantwortung und beuten sie nur aus, wenn wir ihnen nichts Positives zurückgeben können?" Der Acharya realisierte seine Beobachtung durch die Gründung der Anuvrat Bewegung. Diese sollte in dem religiösen Orden, in dem er Acharya war, eine spirituelle Transformation bewirken.
Die große Frage ist doch, wie man sein Leben transformiert und ihm einen Ruck in Richtung Realisierung des Selbst gibt. Der bedeutendste Schritt in diese Richtung ist es, der Seele zu ermöglichen sich selbst anstelle der Außenwelt wahrzunehmen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Buch von Dr. Kapp, ‘Drüsen – die unsichtbaren Wächter’ eingehen. Der Autor ist Physiologe und nicht unbedingt spirituell orientiert. Er weist nach, dass die Drüsen in unserem Körper durch Ärger, Streitlust, Neid, Angst, Zurückweisung und dergleichen sich verformen. Die genannten Leidenschaften erhöhen den Adrenalinausstoß, was dazu führt, dass die Adrenalindrüsen sich verformen. Wenn man einen Eselskarren überlädt, überanstrengt sich der Esel und bricht zusammen. Genauso ist das mit Motoren und Maschinen, überlastet man sie, funktionieren sie schon bald nicht mehr. Wenn unsere Gefühle und Vorlieben überaktiviert werden, üben sie zusätzlichen Druck auf die Drüsen aus. Das erhöhte Energieaufkommen führt zu einem Ungleichgewicht im Körper. Deshalb ist es ratsam, dass wir unsere Intelligenz dazu benutzen, unsere Leidenschaften und Impulse im Zaum zu halten. Die Religion kann sie dabei unterstützen.
Wir brauchen eine Religion, deren Grundlage Furchtlosigkeit ist. Lord Mahavira erinnert uns daran nichts zu fürchten. - Das ist der Ausgangspunkt seiner Lehren, der die Entwicklung von Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Wahrheitsliebe, Freisein von Gier und Begehren, etc. unterstützt. Furchtlosigkeit ist die Hauptsache, keine Angst vor Alter, Tod und Feinden, das ist seine Botschaft. Angst produziert die unterschiedlichsten Deformationen im Charakter und zudem strapaziert sie die Adrenalindrüsen.