Die wichtigsten Grundlagen spiritueller Praxis sind Wissenserwerb und eine auf ethischen Werten basierende Lebensführung. Was auch immer der Mensch versucht, sein Ziel ist die Befreiung aus dem Elend. Auch die spirituelle Praxis zielt darauf. Ohne diese Zielsetzung ist sie für jeden bedeutungslos.
Oft ist uns vorgeschlagen worden, etwas gegen das Elend zu unternehmen, anstatt mit geschlossenen Augen zu meditieren und müßig herumzusitzen. Durch Müßiggang schaffen wir keine der materiellen Voraussetzungen, die wir benötigen, um uns aus dem Elend befreien zu können. Wer so spricht, hält Meditation für Müßiggang.
Es stimmt, dass uns nur produktive Arbeit die Erfüllung von Wünschen ermöglicht. Hunger und Kälte sind unangenehm, nur Nahrung und Kleidung können diese Nöte lindern. Wer diese Wahrheit leugnet, ist ein Träumer. Ist Selbstbeschränkung ein unprofitables Bemühen? Ist das spirituelle Leben eine Erfindung unserer Vorstellung?
Die heutige Zeit verlangt von uns, ein realistisches Leben zu führen. Doch ermutigt sie uns keineswegs zum Versteckspiel mit der Wahrheit. Sie fordert uns zur Freude am Leben auf. Wenn wir nicht gegen unsere Wünsche ankämpfen, leben wir im Paradies der Narren. Wir müssen diese Wahrheit erkennen und schätzen lernen. Deshalb müssen wir uns fragen, was wir gegen Nöte und Wünsche unternehmen.
Spirituell orientierte Menschen ermahnen uns, durch Selbstbeschränkung einen Weg aus dem Elend zu finden. Was bietet uns Selbstbeschränkung? Sie kann uns nicht mit dem Lebensnotwendigen versorgen. Wie kann sie dann Kummer und Elend lindern? Wer ein spirituell orientiertes Leben führt, hat weder Besitz, noch Wohlstand und kann nicht über Macht und Autorität verfügen. Spricht er dann nicht mit gespaltener Zunge?
Derartige Aussagen werden in der Annahme gemacht, dass uns nur materielle Objekte glücklich machen können. Spirituell orientierte Menschen teilen diese Annahme nicht. Ihnen zufolge können materielle Objekte die Not von Menschen lindern, sie bezweifeln aber, dass diese uns glücklich machen können. Nach dem Essen sind wir nicht mehr hungrig, aber noch lange nicht glücklich. Wir sollten Sattsein nicht mit Glück verwechseln, Essen hilft einfach gegen den Hunger.
Wenn ein Alkoholabhängiger unruhig wird, trinkt er etwas und wird dann ruhig. Aber wird er durch das Trinken glücklich? Sobald er wieder Alkohol getrunken hat, vergisst er den Schmerz in seinen Eingeweiden. Doch wenn die Wirkung des Alkohols nachlässt, spürt er den Schmerz erneut und muss wieder trinken. Deshalb ist er nicht glücklich, er erlebt nur die zeitlich begrenzte Linderung seiner Schmerzen.
Spirituell orientierte Menschen haben Glück als einen Prozess definiert, der uns am Ende zur Freude führt. Was für begrenzte Zeit Linderung verschafft, dessen Konsequenzen aber mit Schmerzen verbunden sind, kann uns keine Freude bereiten. Freude ist ein kontinuierlicher, endloser Prozess. Was uns von Schmerzen befreit und uns zu dauerhafter Freude führt, können wir als Glück bezeichnen.
Soldaten sind glücklich nach einer gewonnenen Schlacht. Ist Glück das Ergebnis ihres Sieges? Für beide, den Verlierer und den Gewinner, bringt dieser Sieg gleichermaßen Kummer und Sorgen. Die durch den Krieg verursachten Zerstörungen bleiben viele Jahre. Die Folgen eines Krieges sind für die Menschen immer am schlimmsten. Was zu Schmerz und Leid führt, kann nicht glücklich machen. Versuchen wir herauszufinden, ob Selbstbeschränkung eine Quelle der Freude ist.
Spannungen erzeugen innere Nöte und Aufregungen, die Energie verbrauchen und sich durch Impulsivität entladen. Wer unter emotionalen Spannungen leidet, ist reizbar, streitsüchtig und wird zu einem Quälgeist. Geistige Anspannung verleitet nicht nur zu Impulsivität, sie bringt auch den Körper aus dem Gleichgewicht und verursacht viele Erkrankungen wie Bluthochdruck und dergleichen.
Ohne Spannungen sind wir frei von Wut, Zorn, Ärger, Stolz, Betrug, Lügen, Gier und dergleichen. Die Leidenschaften erzeugen Spannungen und diese erzeugen weitere Spannungen. Dieser Teufelskreis geht immer so weiter und führt nur tiefer ins Unglück.
In alten Jaina-Schriften über Medizin werden Wind (Vata), Schleim (Pitta) und Trägheit (Kapha) als Gründe für die Entstehung von Krankheiten angegeben, begünstigt durch äußere Faktoren oder eigene Taten. Ursache von Verletzungen des Körpers ist das Einwirken äußerer Faktoren, Ursache von Erkrankungen, die sich in ihm ausbreiten, ist Karma als Folge eigener Handlungen.
Dann gibt es noch seelische Leiden. Psychotherapeuten sprechen von psychosomatischen Erkrankungen als einer Kombination körperlichen und seelischen Leidens. In alten Schriften ist die Rede von geistigen (Adhi) und körperlichen (Vyadi) Erkrankungen. Viele Krankheiten entstehen aufgrund psychischer Faktoren. Wir missverstehen sie häufig als körperliche Schwäche oder Viruserkrankungen, obwohl sie eigentlich aufgrund einer bestimmten Geisteshaltung entstehen. Psychosomatische Erkrankungen sind sehr kompliziert und heutzutage weit verbreitet. Wollen wir sie loswerden, beginnen wir am besten mit der Umsetzung der Erkenntnis: „Lass’ die Seele in ihrem Selbst nach der Wahrheit forschen“. Wir können diesen Erkrankungen nicht erfolgreich begegnen, wenn wir unsere Ignoranz nicht überwinden und die Wahrheit in unserem eigenen Selbst nicht erkennen.
Auch Nahrung kann krank machen. Wir wissen viel zu wenig darüber. Wenn wir anfangen uns damit zu beschäftigen, können wir unseren Körper besser unterstützen. Psychischen Erkrankungen können wir entschiedener entgegenwirken, wenn wir uns eingehend mit der Natur des Geistes, des Denkens und beider Einsatz im täglichen Leben beschäftigen.
Nahrung kann sowohl die Entstehung von Erkrankungen, als auch deren Bekämpfung begünstigen, weil sie sowohl aufbauende, als auch schädigende Elemente für den Organismus enthält. So wird es auch im Ayurveda (dem sog. 5. Veda) gesehen. Kein Nahrungsmittel ist ausschließlich nahrhaft oder schädlich, entscheidend ist die aufgenommene Nahrungsmenge. Wie bei Arzneien ist der Maßstab für Schaden oder Nutzen die Menge. Vieles, was wir in großen Mengen zu uns nehmen, macht uns über einen gewissen Zeitraum zufrieden und bereitet uns vielleicht sogar Freude. Auf lange Sicht jedoch schadet es uns beträchtlich. Unwissenheit über diese Zusammenhänge hat als fatale Folge die Verschlimmerung unseres Leidens.
Einige sagen, dass die spirituelle Praxis ein trockenes und uneinträgliches Geschäft ist. Diese Auffassung ist das Resultat einer einseitigen Ausrichtung auf die Welt der Materie. Es kann keine Emanzipation geben, ohne dass wir uns der Beschränkungen entledigen, die mit dieser einseitigen Ausrichtung einhergehen. Wir haben den falschen Eindruck, dass unser Verlangen nach materiellen Objekten uns Freude bereitet. Der allgemeine Trend gegenwärtigen Denkens begünstigt die zunehmende Produktion materieller Güter, von denen angenommen wird, sie seien die alleinige Grundlage für Glück und Zufriedenheit innerhalb der Gesellschaft.
Auf der anderen Seite erklären spirituell orientierte Menschen, dass es Glück und Zufriedenheit nicht geben kann, wenn wir uns nicht von den mit der ausschließlichen Orientierung auf materielle Objekte einhergehenden Beschränkungen befreien.
Folglich gibt es zwei Anschauungen, die einen sind Anwälte der Freude an materiellen Objekten, die anderen Anwälte der spirituellen Freuden.