Geheimnisse des Geistes: Vollendung der spirituellen Praxis (2)

Veröffentlicht: 20.10.2012

Während des Zweiten Weltkriegs wurde von einer alten Frau berichtet, die während der Bombardierungen arbeitete und schlief wie sonst auch. Sie hatte keine Angst und machte sich keine Sorgen. Als sie gefragt wurde, wie sie das schafft, antwortete sie, dass in ihrem Inneren Gott stets wachsam sei und sie daher selbst nicht zu wachen brauche. Tatsache ist, dass ein erleuchteter Geist sich keine Sorgen macht. Er braucht weder die Unterstützung, noch die Fürsorge anderer.

Ansammlung von theoretischem Wissen entwickelt nicht notwendigerweise unsere Wachsamkeit, doch Wahrnehmung des Atems (Svash Preksha) ist eine bewährte Methode dazu. Nur ein wachsamer Geist verfolgt geduldig den ganzen Prozess des Ein- und Ausatmens, er ist aufmerksam für alles, was hereinkommt und hinausgeht. Mit der Zeit wird er so wachsam, dass kein Atemzug unbemerkt in den Körper gelangt oder ihn verlässt. Atem und Geist arbeiten zusammen und laufen nebeneinander. Doch zwei Gefährten können nicht nebeneinander gehen, wenn einer der beiden immer schläft. Das Atmen ist ein kontinuierlicher Prozess, der niemals zum Stillstand gelangt, solange der Körper lebt.

Während der Atem auf den relativ kleinen Bereich zwischen Nase und Lunge begrenzt ist, kann der Geist in weniger als einer Sekunde die ganze Welt umrunden. Wegen seiner bemerkenswerten Geschwindigkeit ist es schwer, aber nicht unmöglich, ihn mit dem langsamen und auf eine kurze Strecke begrenzten Atemvorgang zu koppeln. Der Geist ist meistens aktiv, aber wenn er auch nur für kurze Zeit einschläft, bleibt er ohne den Atem zurück.

Wahrnehmung des Atems schult also den Geist in Wachsamkeit und erlaubt ihm nicht einzuschlafen. Die Vernachlässigung des Selbst wird unmöglich, sobald man den Geist diszipliniert.

Die nachhaltige Veränderung der eigenen Einstellung ist eine weitere Konsequenz der spirituellen Praxis. Doch das ist sehr schwierig. Unzählige Versuche wurden schon unternommen, von den vielen Büchern, den Biographien großer Männer und ihren Aussprüchen einmal ganz abgesehen. Die eigentliche Veränderung findet innerhalb weniger Sekunden statt, und doch ist das Problem noch immer ungelöst, weil die Einstellungen jener, welche die Notwendigkeit der Veränderung der Einstellung propagieren, unverändert bestehen bleiben.

Ein Dichter erzählte seiner Frau, dass er gerade an einem Gedicht arbeitet, welches die ganze Welt zum Lodern bringen werde. Seine Frau entgegnete darauf sarkastisch: „Lass’ mal die Welt aus dem Spiel, schauen wir doch erst einmal, ob dein Gedicht genug Feuer zum Essenkochen erzeugen kann.“

Wer sich damit beschäftigt, die Welt zu reformieren, kann sich nicht selbst reformieren. Predigten bewirken weder eine Veränderung der Einstellung, noch verändern sie die Welt. Wer andere zum Lachen bringt, bleibt selbst oft traurig.

Ein Mann namens Grimaldi war einer der beliebtesten Komiker Englands. Er suchte einmal einen Arzt auf und klagte: „Ich bin so unglücklich und so traurig, weil mich schon lange alle möglichen Sorgen plagen.“ Der Arzt untersuchte ihn, stellte ihm einige Fragen und sagte schließlich: „Ich weiß, was Ihnen hilft. Ich verschreibe Ihnen keine Medizin, sondern rate Ihnen, eine Woche mit Grimaldi zu verbringen.“ Grimaldi war verblüfft und meinte: „Ich bin selbst der Grimaldi, der die ganze Welt zum Lachen bringt. Doch niemand weiß, wie unglücklich ich bin.“

Dichter, Schriftsteller und Politiker beschäftigen sich damit, die Welt zu verändern. Leider wissen sie nicht, wie sie sich selbst ändern können. Auch religiöse Führer versuchen den Menschen zum Guten zu bewegen und haben die Vergöttlichung des Menschen ausführlich beschrieben. Doch sie sind gescheitert. Ich möchte nicht die Wirkung dessen unterschätzen, was sie sagen, doch tatsächlich haben sie nicht viel Eis zum Schmelzen gebracht. Das Wichtigste ist die Veränderung unserer Instinkte und Neigungen, ohne sie kann man seine Persönlichkeit nicht neu strukturieren. Das ist kein theoretisches, sondern ein praktisches Problem. Nur durch eigene Anstrengungen bewirkt man eine nachhaltige Veränderung der eigenen Einstellung, nicht durch Veränderung äußerer Faktoren.

Ein Zauberer verwandelte einst eine Maus in einen Tiger. Die Maus stolzierte in ihrer neuen Erscheinung herum, bis sie voller Angst davonrannte, weil eine Katze auf der Bildfläche erschienen war. Die Einstellung der Maus war die gleiche geblieben, trotz ihrer neuen Erscheinungsform.

Ahimsa zielt auf die Transformation der Persönlichkeit, sie ist keine Methode zur bloßen Veränderung der Erscheinungsform. Wahrnehmung von Zentren des Bewusstseins im Körper unterstützt diese Transformation. Im Körper befinden sich zahlreiche Bewusstseinszentren, während unserer Übungen versuchen wir, zwei oder drei davon wahrzunehmen. Diese Zentren werden aktiv, wenn wir uns auf sie konzentrieren. Das verändert die Körperchemie der Drüsensekrete. Bevor wir uns auf sie konzentriert haben, waren sie unbemerkt Agenten des Karmakörpers, nun sind sie unsere Agenten. Eine Änderung in der Zusammensetzung der Drüsensekrete bewirkt eine nachhaltige Änderung unserer Einstellung auf natürliche Weise.

Quellen
Englischer Titel:
The Mysteries Of Mind Redaktion:
Muni Mahendra Kumar Herausgeber:
Jain Vishva Bharati Ladnun, India 2. Edition: 2002 Übertragung ins Deutsche:
2006 Carla Geerdes
2012 Überarbeitete Fassung
Carla Geerdes

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