Das Aufsteigen des Stromes der Lebensenergie ist der erste Schritt auf dem spirituellen Weg. Auch das versteht man unter Tapa, denn Tapa ist die Konzentration auf den aufwärts gerichteten Strom der Lebensenergie. Doch wenn die Lebensenergie tatsächlich aufwärts steigt, wird es zu Turbulenzen kommen. Der Weg aller großen Revolutionen ist mit Aufruhr und Ausbrüchen verbunden. Diese können nur erzeugt werden, wenn uns genügend Energie dafür zur Verfügung steht. Also gilt es, unsere Kräfte gezielt einzusetzen.
Damit uns das gelingt, müssen wir fasten, ein wesentlicher Aspekt von Tapa. Wer fastet, also hungrig ist, kann gewaltige Mengen von Energie sammeln, weil der Körper keine Energie zum Verdauen der Nahrung benötigt. Zwar produziert die Nahrung, die wir aufnehmen, auch Energie, doch diese kommt ausschließlich der Versorgung der Körperzellen zugute.
Die zur Bildung eines höheren Bewusstseins nötige Energie erzeugen wir durch Tapa und Kontemplation aus der Vitalenergie. Wenn wir während des Fastens eine Weile auch kein Wasser mehr zu uns nehmen, produzieren wir weitere Mengen an Energie und bei Hitze noch mehr.
Für alles, was wir tun, brauchen wir Energie. Je mehr wir tun, desto größer ist unser Verbrauch von Energie. Ärzte verordnen ihren Patienten Ruhe, damit sie Energie sammeln können. Auf dem spirituellen Weg wird geraten, Körper, Geist und Sprache zur Ruhe zu bringen, damit man soviel Energie wie möglich sammeln kann.
Wie nun leitet man die Energie nach oben? Verschiedene Sitzhaltungen unterstützen das Sammeln von Energie. Im Allgemeinen wird die Wirkungsweise der Lotusposition mit flach auf dem Boden ruhenden Knien nicht richtig verstanden. In der spirituellen Praxis dienen empfohlene Sitzhaltungen dazu, die Energie nach oben zu richten, bei denen ein gezielter Druck auf den Körper ausgeübt werden kann.
Einmal bat jemand Mahavira, ihn anzuleiten, wie man Brahmacharya praktiziert. Mahavira riet ihm, Tiefenentspannung (Kayotsarga) in stehender Haltung durchzuführen, denn in dieser Haltung wird die Vitalenergie nach oben geleitet und der Strom des Blutes nach unten. Auch Sarvangasana (Schulterstand), Slrsasana (Kopfstand), Vrksasana (der Baum) und Padmasana (Lotussitz) bringen die Energie nach oben. Diese Übungen werden als Vorbereitung bzw. letztere als Sitzhaltung für die Meditation empfohlen.
Die Aufwärtsbewegung des Stromes der Lebensenergie bewirkt die Transformation der Persönlichkeit, die sich in einem plötzlichen Energieausbruch zeigt. Normalerweise gibt es zwischen den drei verheißungsvollen und den drei unheilvollen Leshyas eine Barriere, die nur sehr schwer zu durchbrechen ist. Diese Barriere wird durch die angestrebte explosionsartige Manifestation von Energie beseitigt. Sobald das geschehen ist, gelangt man in den Bereich der drei verheißungsvollen Leshyas und wird zunehmend erleuchtet.
In der Wissenschaft des Ayurveda gilt das Herz sowohl als Sitz der Seele, als auch als Zentrum der spirituellen Energie. Im Bereich des Herzens beginnt der aufwärts gerichtete Energiestrom. Dieser wird durch die von Tejo Leshya bewirkte Erleuchtung als Folge der Arta-Raudra Meditation in Bewegung gesetzt. Beginnt man mit der Dharma-Shukla Meditation, kommt man in den Bereich von Padma Leshya, welche die Gelbfärbung der Seele bewirkt. Das Bewusstsein erweitert sich, wenn man rote Farbe visualisiert, während man sich auf das Zentrum der Intuition zwischen den Augenbrauen konzentriert.
Als nächstes visualisiert man weiße Farbe und konzentriert sich auf das Zentrum der Weisheit, den höchsten Punkt des Schädels (Sahasrara Chakra im Hatha Yoga). In dieser Meditation findet man vollkommene innere Ruhe im Lichte der Dharma Leshyas. Sobald man in ihrem Wirkungsbereich ist, kommt der Geist zur Ruhe und alle karmischen Eindrücke lösen sich nach und nach von der Seele ab. Man erreicht so die Reinheit des Herzens, das Tor zur Spiritualität.
Die früheren negativen Einwirkungen auf die Seele erzeugen zwar immer noch Spannungen, doch erhalten sie keinen Nachschub an Energie mehr aus dem Sexualzentrum, da dessen Energie bereits in die oberen Zentren gelenkt worden ist. In diesem Zustand sind sexuelles Verlangen, Gier, Neid, Hass, Vorlieben und Abneigungen jeder Art kein Thema mehr.
Handlungen und die daraus resultierenden Möglichkeiten auf den Geist einzuwirken, hängen von begünstigenden Begleitumständen ab. Diese zu fördern verhindert ergebnislose Bemühungen. Mit dem Aufsteigen der Lebensenergie verlieren Neigungen und Impulse an Kraft und verschwinden mit dem Fortschreiten der spirituellen Praxis völlig. Dies wird durch Selbstdisziplin und Selbstbeschränkung, Tapa, erreicht.
Je mehr wir die Bindungen der Seele an den grobstofflichen Körper auflösen, desto eher können wir uns den Wirkkräften der feinstofflichen Körper zuwenden, von denen uns schließlich auch die Loslösung gelingt.
In diesem Zusammenhang muss noch erwähnt werden, dass Zunge und Gaumen (Tast- und Geschmackssinn) eng mit dem Sexualzentrum verbunden sind. In allen Meditationsanleitungen wird gesagt, dass Zunge und Gaumen von ihm entkoppelt werden müssen, um Körper und Geist nicht anzuregen. Dazu drückt man die Zunge dicht an den hinteren Gaumen. Man fühlt sich dabei etwas merkwürdig, aber die gewünschte Wirkung stellt sich ein.
Die Zunge wird als Tastorgan verstanden, das direkt mit dem Sexualzentrum verbunden ist. Der Gaumen ist indirekt mit dem Sexualzentrum verbunden. Durch ihre enge Berührung neutralisieren sie sich gegenseitig und damit auch das Verlangen (initiiert durch Neel Leshya) nach Delikatessen und sexuellen Genüssen.
Praktiziert man Selbstdisziplin und Selbstbeschränkung, erzielt man drei Resultate:
- Vitalenergie-Ressourcen werden geschont
- Zusätzliche Energie steht zur Verfügung
- Nutzung der zusätzlichen Energie für die Höherentwicklung des Bewusstsein
Diese führt letztendlich zur Erleuchtung. Die Bewusstwerdung der eigenen Identität (‚das bin ich’) wird zu einer Erfahrung der Leuchtkraft des bewussten Selbst, welche das Ego überstrahlt und es verblassen lässt. Alle Strahlen, die von diesem letzten Bewusstwerdungsprozess ausgehen, verschmelzen zu dem reinen Licht, das wir wirklich sind.