Karma: Der Mechanismus: Tattvarthasutra 6.26

Autor*in:  Image of Hermann KuhnHermann Kuhn
Veröffentlicht: 25.03.2014
Aktualisiert: 26.03.2014

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Tadviparyayo nichairvrityanutsekau chottarasya (26)

Deren Gegenteil, d.h.

  1. das Anerkennen anderer,
  2. Selbstbescheidenheit,
  3. das Verbreiten der guten Qualitäten und Leistungen anderer,
  4. der Verzicht darauf, die eigenen guten Qualitäten und Leistungen zu verbreiten,
  5. die Achtung derer, die auf dem Weg zur Befreiung weiter fortgeschritten sind als man selbst,
  6. die Freiheit von Stolz auf eigene Leistungen und Errungenschaften

verursachen das Einfließen von Karma, das einen geachteten Status im Leben veranlaßt. (26)


 

Für einen jiva auf dem Weg zur Befreiung hat Status - hoher wie niedriger - keine Bedeutung. Seine aktuellen Lebensumstände (Status) sind für ihn lediglich Anzeichen für die Aktivierung zuvor gebundenen Karmas, die er mit Gleichmut betrachtet. Sein Leben definiert sich durch die Intensität, mit der er auf seinem Weg fortschreitet. Seine Vorstellung von höchstmöglichem Status ist die des siddha - des befreiten jiva - weit entfernt von allen materiellen oder weltlichen Kriterien.

Für den im Zyklus von Geburt und Wiedergeburt fest eingebundenen jiva kann Status jedoch eine wesentliche Lebensmotivation sein, die ihn in diesem Zyklus festhält. Der karmische Mechanismus, den diese beiden Sutren beschreiben, hat die Funktion, den durch hohen Status beeindruckten jiva von seinem Streben danach abzubringen.

Wesentlich bei jeder Art von Status ist die Anerkennung, die dem Statussuchenden von seinen Mitmenschen (d.h. von außen) dargebracht wird. Positive Anerkennung (d.h. hoher und/oder wachsender Status) wird dabei gerne als Bestätigung des eigenen Lebensweges gedeutet. Negative oder fehlende Reaktionen (d.h. niedriger Status) rufen dagegen oft besondere Anstrengungen hervor diesen Zustand zu korrigieren.

Ein geachteter, positiver Status läßt sich jedoch nur indirekt erreichen, da echte Anerkennung, Liebe oder Zuneigung nur freiwillig gegeben werden können und sich nicht durch speziell darauf ausgerichtete Handlungen hervorrufen lassen.

Alles Streben nach Anerkennung, das speziell auf den Beifall anderer ausgerichtet ist oder auf Bestechung, Druck oder Täuschung beruht, wird daher nie echte Anerkennung und das damit verbundene Ansehen hervorbringen können. Handlungen dieses Typs - Eigenlob, das Schlechtreden anderer und prahlerisches Verhalten (siehe Sutra 25) - verursachen die Bindung an Karma, das dem derart handelnden jiva deutlich zeigt, daß er mit seinem Streben nach dieser Art 'hohler' Anerkennung genau das Gegenteil des Gewünschten erreicht.

Auch diese Art Karma muß nicht in zeitlich fernen, zukünftigen Verkörperungen eintreten, sondern wird von dem handelnden jiva oft unmittelbar erfahren. Es ist dabei bemerkenswert, wie schnell die Umwelt Anstrengungen erkennt, die ausschließlich auf das Erlangen von Status ausgerichtet sind und wie sie diese durch Nichtbeachtung, Ironie oder unaufrichtige Verbeugungen quittiert.

Dieser karmische Mechanismus zeigt deutlich, daß sich ein echter, geachteter Status nicht durch gezielte Handlungen hervorrufen läßt.

Positiver Gegenpol zu dem oben beschriebenen karmischen Mechanismus ist der Verzicht auf Eigendarstellung, Selbstlob etc. (siehe Sutra 26). Selbstbescheidenheit, das Anerkennen anderer, der Verzicht auf Stolz etc. rufen dabei genau das Ergebnis hervor, das durch oben geschilderte selbstsüchtige Eigendarstellung, Selbstlob, etc. nie erreicht wurde - einen echten, hohen, geachteten Status. Auch dieses (positive) Status-Karma wird oft schon im aktuellen Leben erfahren und der handelnde jiva damit in seiner Haltung bestätigt.

Die Wirkung dieser beiden Varianten (d.h. niedriger Status und das daraus entstehende Hinterfragen einer 'hohlen' Anerkennung, sowie hoher, geachteter Status und die sich daraus ergebende Bestätigung der selbstbescheidenen Grundhaltung des handelnden jiva) erfaßt jedoch nicht die gesamte Bandbreite dieses karmischen Mechanismus. Die eigentliche Zielrichtung statusbestimmenden Karmas - positivem wie negativem - ist es, den jiva davon abzubringen, seine Lebensmotivation von Außen, d.h. von der Anerkennung oder Ablehnung anderer abhängig zu machen. Nur im Erkennen seiner ureigenen Kräfte und Fähigkeiten und seiner grundlegenden Eigenständigkeit und Unabhängigkeit kann der jiva den damit verbundenen, vollkommen selbständigen Status als siddha erreichen. Solange für ihn noch wichtig ist, wie sein Verhalten bei anderen ankommt, ist Karma am Wirken, das seiner Befreiung entgegensteht.

Quellen
Titel: Karma: Der Mechanismus Ausgabe: 1998 Verlag: Crosswind Publishing, 31505 Wunstorf ISBN: 3-9806211-9-7 HN4U Online Edition: 2014

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