Karma: Der Mechanismus: Tattvarthasutra 6.03

Autor*in:  Image of Hermann KuhnHermann Kuhn
Veröffentlicht: 03.03.2014
Aktualisiert: 02.07.2015

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Subhah punyasyasubhah papasya (3)

Es gibt zwei Kategorien von Karma:

punya

positives Karma

wird durch Aktivitäten verursacht, die im allgemeinen als positiv (volkstümlich: 'gut', 'tugendhaft') angesehen werden. Diese Art Karma manifestiert sich als angenehmes subjektives Lebensgefühl (positive Erfahrungen) und führt im Idealfall zum geistigen Wachstum des jiva;

papa[6]

negatives Karma

wird durch Aktivitäten verursacht, die im allgemeinen als negativ (volkstümlich: 'böse', 'schuldhaft', 'schlecht') angesehen werden. Diese Art Karma manifestiert sich als unangenehmes subjektives Lebensgefühl (negative Erfahrungen) und blockiert das geistige Wachstum des jiva. (3)


Frage:

Was bedeuten die Begriffe 'gut' und 'böse'?

Antwort der Jains:

Töten, Stehlen, Verletzen etc. sind ne-! gative ('böse') körperliche Aktivitäten. Falschheit, Lüge, harte und verletzende Worte etc. sind negative Aktivitäten der Sprachorgane. Boshafte, neidvolle, verletzende Gedanken etc. sind negative Gedankenaktivitäten.
Positiv ('gut') sind alle Aktivitäten, die diesen Handlungen entgegengesetzt sind.

Frage:

Wie kann eine Aktivität an sich überhaupt als 'gut' oder 'böse' definiert werden? Ist nicht jede Handlung, die mit positiven Intentionen begangen wurde, positiv ('gut'), während all die Handlungen, denen negative Absichten zugrunde liegen, negativ ('schlecht') sind?

Antwort der Jains:

Es ist grundlegend richtig, daß die Intention, die einer Handlung zugrunde liegt, bestimmt, ob diese Handlung positives (punya) oder negatives (papa) Karma verursacht.

Einwand:

Wenn dies der Fall ist, dann kann es keine Aktivitätstypen geben, die ihrer Natur nach nur positives oder nur negatives Karma verursachen. Damit hätten aber die im ersten Absatz aufgeführten Aktivitäten ('Töten, 'Stehlen', etc.) keine Bedeutung mehr, da eine positive Intention - gleich welcher Art - auch Töten und Stehlen rechtfertigen würde.

Antwort der Jains:

Das, was einen jiva in seinem geistigen Wachstum unterstützt, was Blockaden, Irrtum etc. beseitigt und ihm hilft, seine ureigene Natur zu erkennen, ist positiv, •gut' (punya). Es verursacht generell ein angenehmes glückvolles Lebensgefühl.

Das, was einen jiva daran hindert, dieses positive Gefühl zu erfahren, was sein geistiges Wachstum blockiert oder das Erkennen seiner ureigenen Natur verhindert, ist negativ, 'schlecht' (papa). Es verursacht generell ein Gefühl des Unglücklichseins.

Dies vorausgesetzt, gibt es definitiv Handlungen, die grundlegend negativ sind, sodaß sie unabhängig von der Intention mit der sie begangen wurden, den jiva in seiner Entwicklung behindern.[7] Desgleichen gibt es positive Aktivitäten, die das Wachstum eines jiva in jedem Fall fördern.[8]

Ideale oder Intentionen, wie hoch sie auch gesteckt sein mögen, heiligen niemals die Mittel, die zu ihrer Erreichung eingesetzt werden. Jeder Schritt in Richtung auf ein Ideal muß auch dem Inhalt dieses Ideals gerecht werden. Jede Handlung, die einem gesetzten Ideal nicht entspricht, verändert die Grundrichtung, in die man sich bewegt.

Einwand:

Sind nicht grundlegend alle Handlungen problematisch und unerwünscht - egal ob positiv (punya) oder negativ (papa) - da der jiva dadurch in jedem Fall mit Karma in Kontakt kommt, das ihn binden kann?

Antwort der Jains:

Vom Standpunkt des Idealistischen (d.h. der an der umfassenden, übergeordneten Realität orientierten Perspektive - nischaya-naya) aus betrachtet, ist zweifellos jede Aktivität unerwünscht, die die ureigene Natur eines jiva verschleiern kann. Da jede Art von Handlung - ob positiv oder negativ - jiva mit Karma in Kontakt bringt und dadurch möglicherweise die Ursache für eine Bindung an dieses Karma sein kann, ist von diesem Standpunkt aus gesehen theoretisch jegliche Handlung problematisch.

Vom Standpunkt des Praktischen (d.h. der Perspektive des täglichen Lebens - vyavahara-naya) aus gesehen, ist eine Klassifizierung von Handlungen in positiv ('gut') und negativ ('schlecht') jedoch eine große Hilfe für das geistige Wachstum eines jiva. Die Klassifizierung bietet eine Orientierung, die Entscheidungen vereinfacht und komplexe Handlungen daran mißt, ob sie das eigene geistige Wachstum fördern oder behindern. Der unmittelbare Effekt, daß positive Aktivitäten (punya) zu angenehmen subjektiven Erfahrungen führen und negative Aktivitäten (papa) zu unangenehmen Erfahrungen, schafft darüber hinaus einen Maßstab, wie er einfacher kaum sein könnte.

Ein Leben ohne Handlung ist für den im täglichen Leben gebundenen jiva keine gültige Alternative, da diejenige karmische Materie, die sich um einen jiva bereits gebildet hat, dann nicht durch Handlung abgebaut werden könnte. Ein Leben ohne Handlung aber würde den bestehenden karmischen Zustand und damit den aktuellen Entwicklungszustand (gunasthana) permanent festschreiben.

Fußnoten
6:

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7:

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8:

Zum Vorkommen im Text springen

Quellen
Titel: Karma: Der Mechanismus Ausgabe: 1998 Verlag: Crosswind Publishing, 31505 Wunstorf ISBN: 3-9806211-9-7 HN4U Online Edition: 2014

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