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Veröffentlicht: 12.02.2013

Jaina in Antwerpen

Dieses Kapitel ist eine Ethnografie der Jaina-Diaspora in Antwerpen. Die Erhebung der hier verwendeten Daten erfolgte im Zeitraum von August 2004 bis Oktober 2006 und basiert auf Gesprächen mit den Jaina und aus meinen Beobachtungen im Feld. Bei dieser explorativen Studie liegt der Schwerpunkt auf den religiösen Praktiken, dem Tempelbau und dem Guru-Netzwerk der Jaina in Antwerpen.

Die Bezeichnung „Jaina" hat sich aus dem Sanskritwort jina entwickelt und bedeutet so viel wie „spiritueller Sieger". Ich habe diese Bezeichnung übernommen, da sich die Gläubigen selbst so bezeichnen und die Benennung auch international gebräuchlich ist. Verglichen mit den Jaina in Amerika und England[1] stellt die Jaina-Diaspora in Antwer­pen eine verhältnismäßig kleine Gemeinschaft dar. Die Zahlen der im Ausland lebenden Jaina variieren zwischen 70.000 und 80.000 (Dundas, 2002) und einer Million (Jaina-Zentrum Toronto, 1998). Es gibt keine genauen Statistiken zu den Jaina, folgende Zah­len gelten aber als akzeptabel: Es gibt weltweit etwa 7 Millionen Jaina. In Indien leben etwa 6 Millionen Jaina, das sind weniger als 1 % der dortigen Gesamtbevölkerung. Die größte Jaina-Diaspora lebt in Nordamerika mit 60.000 Personen, die zweitgrößte mit 30.000 im UK, gefolgt von 10.000 in Ostafrika, 310 Familien in Antwerpen, 2.000 im Fernen Osten und kleineren Gemeinschaften in den Vereinigten Arabischen Emiraten/Dubai, Australien, Singapur, Malaysia, Indonesien und anderen Ländern in dieser Region.[2] Wie die Ergebnisse der Literaturrecherchen zeigen, wurden zu den indischen Migrantinnen und Migranten in Belgien/Antwerpen bisher keine Studien durchgeführt, wohl aber zur Migration von Deutschen, Franzosen, Polen, Italienern, Juden, Türken und Marokkanern.[3] Gemäß dem Adressbuch[4] der indischen Gemeinschaft leben derzeit 310 Jaina-Familien in Antwerpen. Alle Jaina in Antwerpen kommen direkt aus Indien/Gujarat nach Belgien/Antwerpen, um im Diamantenhandel zu arbeiten. Die meisten Jaina kamen ende der 70iger anfang der 80iger Jahre nach Antwerpen.




Die 40- bis 60-Jährigen bilden die größte Altersgruppe bei den Jaina in Antwerpen. Viele von ihnen haben die belgische Staatsbürgerschaft angenommen oder sind im Besitz der unbegrenzten Aufenthaltserlaubnis. Angesiedelt haben sich die Migranten anfangs vor allem in der Nähe des Diamantenzentrums, wo auch viele jüdische Familien wohnen. Im Laufe der Zeit erwarben die indischen Migranten Grundstücke im Stadtteil Wilrijk, wo sie ihre Häuser bauen ließen. Heute wohnen auch viele Jaina-Familien in Edegem und Schoten, Stadtteilen von Antwerpen, die durchaus die Bezeichnung Villenviertel verdienen.

Das Diamantengeschäft hat seit mehr als vier Jahrhunderten Tradition in Antwerpen. Eine ausgewiesene Arbeit zur Geschichte des Diamantenhandels in Antwerpen liegt vor von Kockelbergh, Vleeschdrager, Walgrave, The Brilliant Story of Antwerp Diamonds, welche den geschichtlichen Verlauf ausführlich beschreibt.[5] Einige Auszüge aus die­sem Werk möchte ich an dieser Stelle verkürzt wiedergeben. Zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert war Brügge das Handelszentrum für Diamanten. Im 15. Jahrhundert wan­derte das Geschäft allmählich ab nach Antwerpen. „[...] Due to lack of commercial diversification, the silting of the Zwin area, and the struggle with the sovereign for power over the city, the trade which had been centered around Bruges was now drawn to Antwerp. [...] For foreigners, Antwerp was aplace of unlimited opportunity, where legislation exercised no strict controls over trade, where shipping grew under the dynamic enterprise of the Portuguese, and where international trade experienced a sharp rise. Because of this development, the English were the first to be drawn from Bruges to Antwerp; [...] Antwerp in the 15 century, was called a rising star."[6] Der genaue Zeitpunkt für den Beginn des Diamantenhandels in Antwerpen ist nur sehr schwer festzustellen. Ein erstes offizielles Dokument der Stadtverwaltung Antwerpen, das den Beginn des Diamantenhandels vermuten lässt, geht auf das Jahr 1447 zurück. In diesem Schreiben machte die Stadt folgende Auflagen: „[...] no one within the city of Antwerp was to buy, sell, pawn, or pass on any false stones imitating a stone mounted in gold, silver or gilded copper, or imitating diamonds, rubies, emeralds or sapphires; under a penalty of a fine of 25 riders, of which one third had to be paid to the Lord, one third to the city, and one third to the person reporting it"[7]. Am geschichtlichen Verlauf des Diamantenhandels von Antwerpen ist auffällig, dass er sich von Anfang an in den Händen von Migranten befand, und dies ist bis heute so geblieben. In The Brilliant Story of the Antwerp Diamonds ist zu lesen, dass der Diamantenhandel hauptsächlich von Fremden betrieben wurde.[8] Die flämische Hafenstadt an der Schelde mit ihrer vorteilhaften Infrastruktur und ihren attraktiven Einwanderungs- und Handelsbedingun­gen veranlasste die indischen Diamantiers dazu, Antwerpen als ihre zweite Heimat zu wählen. Antwerpen, wichtigste Hafenstadt in Belgien und Hauptstadt der Provinz Antwerpen, zählte im Januar 2005[9] mit seinen Gemeinden 949.000 Einwohner. Als wichtigster Diamantenhandelsplatz der Welt besitzt Antwerpen neben vier Diamantenbörsen etwa 1.600 Diamantenfirmen und ein Diamantenmuseum. Das Diamantengeschäft, welches sich vier Jahrhunderte lang in den Händen jüdischer Händler befand[10], ist mittlerweile fest in Händen der Jaina. Nach jetzigem Kenntnisstand gelang es den indischen Diamantenhändlern innerhalb kurzer Zeit, in diesem Geschäft die Führungsposition zu erlangen.[11] Über die Situation der Juden in Antwerpen äußert sich ein Mitglied der jüdischen Gemeinde. Es berichtet über die Tatsache, dass der größte Diamantenmarkt der Welt sich in Antwerpen befindet und dieser seit Jahrhunder­ten in den Händen orthodoxer Juden war. Aber im Zuge der Globalisierung der geschäftstüchtigen Jaina haben sich die Positionen verändert. Die Zukunft der jüdischen Bevölkerung in Antwerpen liegt nicht mehr in diesem Handel. Dank der Größe der jüdischen Gemeinschaft und des sozialen Zusammenhalts konnten diese Veränderungen ohne größere Probleme überbrückt werden. Seit einiger Zeit ist eine überdurchschnittli­che Abwanderung der jüdischen Familien zu beobachten. Eine Neuorientierung findet in der jüdischen Gemeinschaft statt. Heute wählt kaum noch ein Jugendlicher den Diamantenhandel.[12]

Ein im wirtschaftspolitischen Magazin Knack erschienener Artikel unterstreicht die Aussagen des vorherigen Interviews. In diesem Interview wird über den bestehenden Mythos, dass alle Juden reiche Diamantenhändler seien, berichtet. Tatsache ist aber, dass immer mehr Juden aus diesem Geschäft aussteigen.[13]

Das Geschäft wandert langsam, aber sicher in die Hände der Jaina. Sie haben bereits bestehende Firmen ihrer Väter übernommen oder gründeten ihre eigenen in Antwerpen, die heute bereits in zweiter und dritter Generation von den Söhnen und Enkeln geleitet werden. Beim Vergleich der Einwanderungsgeschichte und der Erwerbstätigkeit mit anderen Diasporas, speziell mit den Jaina im UK, zeigen sich erhebliche Unterschiede.[14] In den Jaina-Gemeinschaften in Leicester und London leben vor allem Jaina, die bereits nach Südafrika ausgewandert waren und in den 60er- und 70er-Jahren nach England oder Amerika weitermigrieren mussten.[15] Während die erste Generation Einwanderer in London und Leicester vor allem im Einzelhandel und in der Textilindustrie arbeitete, ist heute die zweite und dritte Generation vor allem in der Buchhaltung, Pharmazie und Medizin tätig.

Fußnoten
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13:

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14:

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15:

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Quellen

Jaina in Antwerpen

2010.08.12 Antwerp - New Jaina Temple 027

Eine religionsgeschichtliche Studie

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