Wie wir alle wissen, haben winzige, manchmal mit dem bloßen Auge kaum zu erkennende Samen dennoch die Fähigkeit, zu großen Bäumen heranzuwachsen. Das gleiche ist der Fall mit Menschen. Wie ein Samen nicht einfach nur ein Samen ist, sondern den ganzen Baum in sich trägt, ist ein Mensch nicht einfach nur ein Mensch, sondern trägt Gott in sich. Jedes Individuum hat das Potential, Wünsche zu erfüllen, so wie Gautama unter dem Kalpavriksha zu Gautama Buddha wurde. Um das Ziel der Erfüllung des Selbst zu erreichen, brauchen wir nur auf das Navkar zu schauen, d.h., einen dauerhaft friedvollen, ausgeglichenen und heiter-gelassenen Gemütszustand sowohl unter widrigen, als auch günstigen Umständen anzustreben.
Oft wissen wir nicht, wie wir unser spirituelles Streben verwirklichen und das Ziel der Erlösung erreichen können, das wir uns wünschen. Fangen wir bescheiden an, indem wir nur ein oder zwei Bissen weniger zu uns nehmen als gewöhnlich. Dieses Unodari ist der erste Schritt zum Ziel. Es ist ungemein wohltuend, Lethargie, Trägheit und Fettleibigkeit, sowie viele Krankheiten abzulegen. Der zweite Schritt ist, ein bisschen Zeit dem Lesen dieses oder jeden anderen Buches über das Navkar Mantra oder anderen Texten des Jaina Kanon zu widmen. Wir führen dem Körper mehrmals täglich Nahrung zu, doch lassen den Geist hungern. Es ist unsere fromme Pflicht, den Geist zu entwickeln, indem wir ihm so viel Wissen wie möglich zukommen lassen. Wissen ist besser als alles andere in der Welt, ‘पढमं नाण तओ दया‘.
Wir haben von zwei für den Beginn der spirituellen Reise nötigen Tugenden gesprochen, weniger Nahrung für den Körper und ein bisschen mehr für den Geist. Das wird uns beides schenken, physische und mentale Kultur. Kultur bedeutet Entwicklung des Körpers, des Geistes und der Seele. Das wird einen alterslosen Körper und einen zeitlosen Geist ergeben, was wir uns alle wünschen.
Die Franzosen sprechen von Lebensfreude, ich möchte von Lernfreude sprechen. Lernen ist Entdecken, ein unbeschreibliches Glücksempfinden. Wir können es nicht mit Geld kaufen. Wenn wir nur dem Geld hinterherjagen und das Lesen und Lernen vernachlässigen, bleiben wir intellektuelle Zwerge. Der Gelehrte Aristoteles sagte: „ Wir sollten nicht nur leben, sondern gut leben.“ Das Navkar Mantra unterweist uns in der Kunst, gut zu leben. Die erste Zeile des Mahamantra lehrt uns, nicht zu Gefangenen unserer vierfältigen Feinde Zorn, Täuschung, Gier und Stolz zu werden, sondern stattdessen zu Pilgern der Arihantaschaft, indem wir schlechte Angewohnheiten überwinden und die Tugenden Abkehr von der Gewalt, Wahrhaftigkeit und Selbstbeherrschung annehmen.
Das Navkar Mantra spricht fünf exzellente Arten von Seelen an. Diese Ansprache wandelt Stolz in Achtung und Respekt. Achtung und Respekt verwandeln einen Menschen in einen Engel, Stolz in einen Teufel.
Im Alltag bereitet es uns häufig ein sadistisches Vergnügen, unsere Überlegenheit durch Reichtum, Wissensvorsprung, Schönheit, Intelligenz, Kenntnisse etc. auszudrücken. Wenn wir zulassen, dass diese Art von Stolz tief in unseren Gewohnheiten verwurzelt bleibt, sind wir nichts anderes als spirituelle Zwerge. Demut ist das Gegenmittel zu Stolz. Sie ist die Mutter aller Tugenden. Von Sokrates ist uns ein sehr feines Beispiel von Demut überliefert. Wenn er nach dem Geheimnis seiner Weisheit gefragt wurde, entgegnete er, dass er im Vergleich zu dem, was er nicht weiß, nur sehr wenig wisse. Das Navkar Mantra bringt uns die Demut des Sokrates nahe. Wir sollten den Tirthankaras Mallinatha und Mahavira folgen, indem wir unsere Seelen mit ihrer Demut prägen.
Wissen führt zu Demut… Demut zu Verdiensten… Verdienste zu Reichtum… Reichtum zu Religion… Religion zu Befreiung[1].
Kurz gesagt, erfährt man Demut im Geist, in der Sprache und im Körper, folgt der ganze Rest. Große Musiker wie Tansen[2] und Baijubavra[3] haben dem Mogulkaiserreich die wundersame Wirkung von Klangenergie demonstriert, indem sie es während ihrer Darbietung der Melodien regnen ließen und Lampen zum Leuchten brachten. Die rituelle Rezitation dieses Maha Mantra setzt gewaltige Energien frei, welche die karmischen Bindungen der Seele lösen und sie in all ihrer Herrlichkeit erstrahlen lassen können. Diese Energie kann Tücke in Rechtschaffenheit, Grausamkeit in Güte, Verlogenheit in Aufrichtigkeit und einen Atheisten in einen Gläubigen verwandeln.
Großen Dank schulde ich dem verehrten Acharya Mahaprajna, Acharya Padma Sagar Suri und Acharya Shiv Muni dafür, dass sie ihre außerordentlich wertvolle Zeit dem genauen Durchlesen dieser bescheidenen Arbeit gewidmet haben, sie geschätzt und ihre Gedanken darüber niedergeschrieben haben. Aus tiefer Einsicht in die Jaina Philosophie und das Navkar Mantra geboren, ist ihr Segen der Stolz dieser Abhandlung. Dem verehrten Muni Shali Bhadra ji bin ich sehr dankbar für seine Inspiration.
Für Initiierung und seine verlässliche Anleitung während des gesamten Prozesses der Erstellung dieser Monographie des Navkar Mantra bin ich Shri A.L. Sancheti sehr verbunden. Shri Chagan Lai Jain hat dankenswerterweise die Hindi Übersetzung zu verantworten, Shri Rajesh Nahta, Shri Sidhraj Bhandari, Shri Manak Sancheti, Shri Vinod Bhandari, Shri Anil Amlani und Shri U.R. Daga vielen Dank für ihre Unterstützung. Ich danke meiner Frau Chandrakala, Sohn Sunil, Schwiegertochter Rajni und Tochter Sangeeta dafür, dass sie mich während der Arbeit an diesem Buch ermutigt und unterstützt haben.
Vor allem aber fühle ich mich all jenen verpflichtet, die es auf sich nehmen, dieses Buch zu lesen. Wenn dieses bescheidene Werk einige von ihnen dazu bewegt, sich mit den Lehren des Jainismus zu beschäftigen und Geist und Buchstaben des Navkar Mantra zu folgen, ist mein Vorhaben gelungen.
Prakash Sancheti