Der Mensch kann über zwei bedeutende Fähigkeiten verfügen, Erkenntnisfähigkeit und Handlungsfähigkeit. Manche betonen nur die Erkenntnisfähigkeit und bestreiten die Bedeutung der Handlungsfähigkeit, andere unterstreichen die Bedeutung der Handlungsfähigkeit und vernachlässigen die Erkenntnisfähigkeit. Beide Aspekte sind absolut, außerdem auch unvollständig, denn weder Erkenntnis, noch Handeln allein reichen aus. Nur wenn Erkenntnisfähigkeit und Handlungsfähigkeit sich ausgewogen miteinander mischen, ergeben sie Ganzheit. Spannungen im Körper können zwar die Ursache vieler gesundheitlicher Probleme sein, aber wenn der Mensch eine Handlung ausführen möchte, braucht er die dazu erforderliche Spannung. Ohne Spannung keine Aktivität. Spannung wird dem Körper ständig zur Verfügung gestellt. Ist sie zu hoch oder wird sie nicht verwendet, bereitet das Probleme. Bereitet sich der Körper auf die Ausführung einer Tätigkeit vor, werden die dafür erforderlichen muskulären und mentalen Spannungen erzeugt. Diese verbleiben im Körper, wenn sie nicht für die Handlung gebraucht werden. Die komplexesten Spannungen im Körper entstehen allerdings in Verbindung mit den Emotionen.
Alles ist eine Frage der Dosis. Nektar im Übermaß kann sich als Gift für den Körper erweisen, Gift in Maßen als Medizin. Wenn wir mit unseren Aktivitäten im Rahmen unserer Möglichkeiten bleiben und uns nicht überanstrengen, entsteht keine mentale, physische oder emotionale Überspannung. Arbeiten wir jedoch über Stunden an ein und derselben Sache in der immergleichen Haltung, ist Überspannung die natürliche Konsequenz. In der Preksha Meditation empfehlen wir, eine langwierige Arbeit in Abschnitte von höchstens 2 Stunden zu unterteilen oder nach einer Stunde eine andere Arbeit einzuschieben. Wenn es sich um eine komplexe Aufgabe handelt, die man schlecht unterbrechen kann, sollte man nach 2 Stunden für 5 Minuten im Kayotsarga Spannungen abbauen. Das Wechseln von einer Arbeit zur anderen macht Spaß und reduziert Stress. Wenn wir Texte der kanonischen Jaina Schriften (Agamas) überarbeiten oder übersetzen, schieben wir nach ca. 1,5 Stunden eine andere Arbeit dazwischen.
Es gibt einige Möglichkeiten, wie man sich nach 2 Stunden Arbeit eine kurze Entspannungspause gönnen kann. Kayotsarga kann man in der stehenden Position überall praktizieren, für das zwei bis dreimalige Rezitieren des Mahaprana Dvani (ähnlich dem Summen der Bienen) begibt man sich besser außer Hörweite. Wissenschaftlich betrachtet entsteht Spannung durch die Tätigkeit der Sinne. Bei jeder Kommunikation mit der Außenwelt wird Spannung erzeugt. Wird diese Kommunikation unterbrochen, lösen sich die Spannungen auf. Dafür gibt es eine Übung, die man jederzeit durchführen kann (Sarvendriya Sanyam Mudra): Mit den Daumen verschließt man die äußeren Gehörgänge, legt die Zeigefinger mit sanftem Druck auf die Augen, drückt die Mittelfinger leicht auf die Nasenflügel und mit den verbleibenden 2 Fingern jeder Hand die Ober- und Unterlippe aneinander. Mit dieser Übung kann man die 5 Sinne im Zaum halten. Praktiziert man sie etwa 3 Minuten lang, fühlt man sich hinterher erfrischt und ausgeruht. Zudem hat man das Empfinden, in einer anderen Welt zu sein. Mit Sarvendriya Sanyam kann man auch die Spannungen auflösen, die sich nach mehreren Stunden Arbeit aufgebaut haben.
Eine weitere Methode zum Abbau von Spannungen ist Mahaprana Dvani, 3 Minuten wirken bereits Stress abbauend. Man nimmt dazu die stehende Position wie im Kayotsarga ein, hält Rücken und Nacken in einer geraden Linie, lockert alle Muskeln, atmet tief ein und produziert beim Ausatmen durch die Nase einen summenden Laut. Mit diesen einfachen, aber sehr effektiven Methoden kann man ohne große Umstände Spannungen abbauen.
Spannungen können durch physische, mentale oder emotionale Anlässe hervorgerufen werden. Doch wer nichts zu essen hat, weil er sich kein Essen kaufen, geschweige denn es kochen kann, kann seine daraus resultierenden Spannungen mit diesen Methoden nicht abbauen. Sein Problem kann er nur lösen, wenn es ihm gelingt, eine Arbeit zu finden, mit der er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Auch in dieser Situation kann Meditation sehr von Nutzen sein. Wer meditiert, kann Probleme wahrnehmen, wenn sie auftreten, ohne zugleich Spannungen aufzubauen. Sind wir angespannt, sobald wir in ein Problem verwickelt werden, haben wir schon verloren, weil das Problem uns umklammern kann. Damit haben wir die Schwierigkeit, uns aus seiner Umklammerung und zudem auch noch das Problem lösen zu müssen. Wer sich von dem Problem nicht berühren lässt, sondern seine ganze Energie dafür verwendet, eine Lösung zu finden, hat die Freiheit zur Entwicklung einer eigenen Perspektive gewonnen.
Diese eigene Perspektive ist sehr hilfreich beim Finden einer Lösung. Doch sie muss stimmen, es muss die richtige Perspektive sein. Gerade wer arm ist, braucht die richtige Perspektive, damit er seine Situation ändern kann. Ein armer Mensch darf sich weder unter-, noch überschätzen, sondern muss seine ganze Kraft dafür einsetzen, einen Ausweg aus der Armut zu finden. Die richtige Perspektive ist: „Ich möchte unbedingt hinaus aus der Armut, entweder aus eigener Kraft oder mit Unterstützung anderer.“ Hier kann Meditation mit 50 % zu einer Lösung beitragen, denn wer meditiert, hat seinen Geist frei für die Erarbeitung einer Lösung. Wer dagegen in das Problem verstrickt ist, dessen Gehirn wird schwerfällig. Das Problem wird komplexer und wiegt immer schwerer.
Am kompliziertesten sind Probleme, die durch Emotionen und Leidenschaften verursacht werden. Wird einem innerhalb der Familie gesagt: „Du sitzt nur herum und isst den ganzen Tag, was kümmert dich eigentlich noch?“, entsteht durch diese Worte ein gewaltiges Problem. Emotionale Spannungen sind deshalb so gravierend, weil sie einen Menschen direkt und persönlich verletzen. In der heutigen Gesellschaft achtet kaum jemand darauf, was er sagt und in welchem Ton.
Politiker müssen sehr auf ihre Sprache achten und sollten niemals jemanden von der Opposition persönlich angreifen. Kritik in der Sache ist in Ordnung, aber Beschimpfungen und Kritik an der Person sind geschmacklos. Das ist einfach die falsche Botschaft an die Gesellschaft. Die Menschen denken, wenn die Wohlhabenden und Mächtigen sich anpöbeln und beschimpfen, warum soll ich es ihnen nicht gleich tun? Deshalb sollte es für die Mächtigen ein Imperativ sein, immer kultiviert und freundlich miteinander umzugehen und sich keiner rauen und unkultivierten Sprache zu bedienen. Das gilt auch für die Familie. Wie soll eine Familie miteinander kommunizieren? Welche Art von Sprache soll sie benutzen? Das sollte in jeder Familie grundlegend erörtert werden. Wer sich einer angemessenen und freundlichen Ausdrucksweise bedient, erzeugt möglicherweise überhaupt keine Spannungen. Wer das nicht tut, schafft sich vielleicht mit jeder Äußerung Probleme.