Die Frage stellt sich, was mentale Gesundheit ist. Beginnen wir unsere Überlegungen hinsichtlich der drei Funktionen des Geistes, Denken, Erinnern und Vorstellen. Betrachten wir die Gedanken zuerst. Positive Gedanken richten den Geist positiv aus. Sind die Gedanken nicht positiv, bereitet uns der Geist Probleme. In den Jain Agamas werden häufig die Begriffe „dienlich sein“ oder „Probleme bereiten“ benutzt. Sie treffen auf die positive oder negative Ausrichtung des Geistes zu. Nachsicht gegenüber negativen Gedanken bewirkt eine zunehmend negative Ausrichtung des Geistes, was diesen für die Aufnahme negativ besetzter Pudgalapartikel empfänglich macht. Im Körper können diese Unwohlsein und schließlich Erkrankungen hervorrufen. In seinem Kommentar zum Nandi-Sutra schreibt Acharya Malyagiri, dass die Aufnahme negativ besetzter Pudgalapartikel auf lange Sicht das Herz schädigt und letzten Endes zu Erkrankungen des Herzens führt. Immer mehr Menschen leiden an Herzerkrankungen, die zu einem sich täglich weiter verbreitenden globalen Leiden werden. In der Diagnostik von Herzerkrankungen sollten nicht nur Blutdruckwerte und Ernährungsgewohnheiten berücksichtigt werden, sondern auch, dass negative Gedanken an der Entstehung dieser Erkrankungen maßgeblich beteiligt sind. Im Geist lösen negative Gedanken in die Irre führende Vorstellungen aus.
Nimmt der positiv ausgerichtete Geist wohltuende Pudgalapartikel auf, werden unsere Gedanken kreativ und entwickeln Strategien zur Lösung von Problemen. Diese unterstützen den Körper bei der Vorbeugung gegen und der Abwehr von Erkrankungen, bzw. setzen den Heilungsprozess in Gang.
Sehr sinnvoll ist das Prinzip der Selbstbeschränkung bei mentalen Problemen, die sich auf die Gesundheit auswirken. Acharya Tulsi wählte den Leitsatz „Selbstbeschränkung ist Leben“ als Motto der Anuvratbewegung, die er 1949 initiierte. Verstehen und realisieren wir diesen Grundsatz, hilft er uns bei der Lösung vieler Probleme im Alltag.
Die Fähigkeit zur Erinnerung ist eine unserer größten Stärken, die wir zur Durchführung vieler Aufgaben brauchen. Auch im Hinblick auf die Erinnerungsfähigkeit sollten wir uns beschränken lernen. So stört es die Konzentration in der Meditation, wenn vor unserem geistigen Auge ständig Bilder aus der Vergangenheit auftauchen. Erinnerungen können auch quälend sein. Es ist besser, das Erinnerungsvermögen nur zu aktivieren, wenn man es im täglichen Leben braucht. Unnötige Erinnerungen können Probleme schaffen und auch Erkrankungen auslösen.
Eine alte Dame verdiente sich mit dem Spinnen von Garn ihren Lebensunterhalt. Als sie eines Tages zum Strand ging, legte gerade ein Schiff an. Als sie fragte, was das Schiff geladen hatte, erfuhr sie, dass Garn die Ladung sei. Nachdem sie das gehört hatte, konnte sie an nichts anderes mehr als an die riesigen Mengen Garn denken, die das Schiff geladen hatte. Dabei wurde sie schier wahnsinnig, und ihre Familie schickte sie zum Psychiater. Dieser sagte: „Wissen Sie eigentlich, dass die gesamte Ladung des Schiffes, das neulich hier angelegt hat, verbrannt ist?“ Sobald die diese Worte gehört hatte, war sie geheilt!
Unkontrolliertes Erinnern und unrealistische Vorstellungen können auf die Dauer mentale Erkrankungen hervorrufen. Deshalb sollte auch die Vorstellungskraft in Grenzen gehalten werden. Beschränkt man sie nicht, kann sie große Probleme bereiten. Wenn wir tiefer darüber nachdenken, wird uns klar, dass viele Kriege und Auseinandersetzungen auf der Grundlage uneingeschränkter Vorstellungen entstanden sind.
Ein Mann sagte zu seinem Nachbarn: „Ich möchte mir einen Büffel kaufen.“ Der Nachbar entgegnete: „Und wo soll der grasen?“ - „Auf deiner Wiese!“ kam es prompt. „Wenn ich ihn auf meiner Wiese sehe, jage ich ihn fort!“ - „Das möchte ich sehen, wie du meinen Büffel anrührst...“
Es gab weder einen Büffel, noch eine Wiese, doch wegen der in ihrer Vorstellung entstandenen Konflikte gingen die Beiden aufeinander los. Die herbeigeeilten Nachbarn hatten Mühe, sie wieder zur Vernunft zu bringen. Gott allein weiß, was die Vorstellungskraft alles zerstören kann. Viele beklagen sich nach der Meditation darüber, dass sie sich nicht konzentrieren konnten. Woran liegt das, was stört sie? Hauptsächlich Erinnerungsfähigkeit und Vorstellungskraft. Beide werden gerade dann besonders aktiv, wenn keine Notwendigkeit dazu besteht, ja sie geradezu unerwünscht sind.
Denken ist, wie eingangs in Bezug auf die Gedanken erörtert wurde, eine wichtige Funktion des Geistes. Auch das Denken sollten wir begrenzen. Man muss nicht den ganzen Tag lang denken, sondern sollte sich darin üben, den Geist frei von Gedanken zu halten. Freisein von Gedanken ist eine Kunst, eine Kunst in der Kunst der Meditation und der spirituellen Praxis.
Eines Tages betrat ein Bettelmönch einen Laden. Der Ladenbesitzer erklärte ihm stolz: „ Ich verkaufe viele Produkte.“ Der Bettelmönch fragte: „So? Zeig’ sie mir bitte.“ Der Ladenbesitzer deutete auf einige Fässer: „Da drin ist Butter, dort Öl, in dem Sack sind Gewürze...“ Schließlich zeigte er auf ein leeres Fass: „Und in diesem Fass ist Gott.“ Der Bettelmönch sagte: „Merke dir, nur wo es leer ist, kann Gott eintreten.“
Frei von Gedanken zu bleiben, ist eine große Kunst. Eine gute Technik, um den Geist von Gedanken frei zu halten, ist die Wahrnehmung des Atems. Wahrnehmung des Atems befreit den Geist vom Denken, Erinnern, und Vorstellen. Wer sich auf den Atem konzentriert, kann gute Fortschritte in seiner spirituellen Praxis machen. Solange der Kreislauf des Denkens, Erinnerns und Vorstellens aktiv ist, können wir nicht zu der hinter den Sinnen liegenden Welt gelangen und auch unsere subtilen Fähigkeiten nicht aktivieren. Wenn die grobstofflichen Elemente Denken, Erinnern und Vorstellen nicht da sind, haben die subtilen Fähigkeiten eine Chance, zutage zu treten.
Der eine ist weise, der andere verrückt. Was ist der Unterschied zwischen ihnen? Die Jain Philosophie sagt, wer seine Gedanken meistern und ihren immerwährenden Strom anhalten kann, ist weise. Wer sich von seinen Gedanken mitreißen lässt und sie nicht anhalten kann, verrückt. Selbstbeschränkung des Potentials und der Aktivitäten des Geistes ist von großer Bedeutung im Hinblick auf exzessives Denken, quälende Erinnerungen und überreizte Vorstellungen.
Der Geist steht in der Verantwortung sowohl für die innere Welt der Emotionen, als auch für die äußeren Einflüsse. Die äußeren Einflüsse beeindrucken ihn ebenso wie der innere Strom der Emotionen und Gefühle. In Verwirrung gerät er immer dann, wenn das Mohaniya Karma (Karma der Täuschung und Irreführung) aktiviert wird.