Keine Gewalt gegen Mensch, Tier und Pflanze: Zur Kunst, Ikonographie und Kosmographie der Jaina

Autor*in:  Image of Kurt TitzeKurt Titze
Veröffentlicht: 23.04.2015
Aktualisiert: 03.07.2015

Vorbemerkung:

Es genügt nicht, ungeschützt in offener Landschaft stehende und den Unbillen der Witterung ausgesetzte Bildwerke einzufrieden und gelegentlich zu reinigen. Sie müssen durch Wort und Bild sorgfältig dokumentiert werden. Viele jainistische Kunstwerke harren noch einer solchen Dokumentierung. Für viele wird sie vermutlich zu spät kommen, schon allein wegen ihrer entlegenen Standorte und relativen Unbekanntheit.

Über die Zahl jainistischer Kult- und Kunststätten gibt es keine verläßlichen Angaben. Eine Landkarte von Indien, die vor wenigen Jahren bei Lal Chand & Sons in Neu Delhi veröffentlicht wurde und bei der es sich offenbar um die erste und vorerst einzige Karte dieser Art in Englisch handelt, verzeichnet 184 Wallfahrtsstätten der Digambara-Jaina; zählt man die der Shvetambara-Jaina hinzu, kommt man auf über dreihundert. In dieser Aufrechnung sind Tempelruinen, beispielsweise die von Hampi, nicht enthalten, auch nicht die vielen noch oder wieder benutzten Tempel, die von Jaina-Gemeinden unterhalten werden. Alleine in der Altstadt von Jaipur sollen es nahezu dreihundert sein, in Alt-Delhi um die achtzig, in Patan in Gujarat etwa doppelt so viele. In Sirohi, einer Provinzstadt in Rajasthan, die von Mount Abu bequem mit öffentlichen Bussen zu erreichen ist, stehen nacheinander in einer Straße dreizehn Jaina-Tempel, die alle täglich benutzt werden. Obgleich nicht wenige dieser zahlreichen Tempel beachtenswerte Skulpturen in Stein und Holz beherbergen und durch ihre Innenarchitektur beeindrucken - von außen sind die meisten von ihnen wegen ihrer eingezwängten Lage innerhalb enger Gassen kaum als Kultstätten erkennbar -, gibt es so gut wie keine Literatur über sie.

Eingedenk dieser den westlichen Touristen wie auch den indischen Nicht-Jaina wenig bekannten Kunstschätze können wir erfreulicherweise vermerken: eine der bedeutendsten alten Jaina-Kultstätten, das in idyllischer Landschaft und fest genau in der Mitte des indischen Subkontinents liegende Deogarh (auch Deogadh geschrieben), wurde bereits in den Jahren 1954-57 von einem deutschen Gelehrten, dem bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1991 am Institut für indische Philologie und Kunstgeschichte der Freien Universität Berlin lehrenden Professor Bruhn, kultur- und kunstgeschichtlich erschlossen und dokumentiert. Wie es so geht mit vielen wissenschaftlichen Arbeiten deutschsprachiger Gelehrter, ist K. Bruhns Deogarh-Monographie, ein Werk von über 500 großformatigen Seiten, 297 Fotos und zwei Karten, nur in englischer Sprache erhältlich.

Klaus BRUHN:

The Jina-Images of Deogarh (1969), Verlag E.J. Brill, Leiden in Holland. Das für das Titelbild im vorliegenden Buch ausgewählte Jina-Bildnis in dieser Monographie als Fig. 171.

James BURGESS:

The Temples of Palitana, Erstauflage Bombay 1869. Nachdruck (Folio): Motilal Banarsidass, Delhi 1976. Ein ausgezeichnetes Buch, das auch durch die moderne Fotografie nicht überholt ist.

Saryu DOSHI (Editor):

Homage to Shravana Belgola, Marg Publications, Bombay 1981. Ein gefälligeres Buch (24 x 33 cm, 176 Seiten) über diesen zu Recht berühmten heiligen Ort mit der Welt höchsten Monolithstatue, die keinen Kriegshelden darstellt, sondern die Absage des einzelnen Menschen an die Gewalt symbolisiert, wird es sobald nicht mehr geben. 1992 war es noch im Büro des Jain Math Tempels von Shravana Belgola für nur 200 Rupien erhältlich.

A. GOSH (Editor):

Jaina Art and Architecture, published on the Occasion of the 2500th Nirvana Anniversary of Thirtankara Mahavira, Vols. I, n, HI, 662 pages, 382 plates, New Delhi 1974/75. Published by Bharatiya Jnanpith, B/45-47 Connaught Place, New Delhi.

Eberhard FISCHER und Jyotindra JAIN:

Kunst und Religion in Indien - 2500 Jahre Jainismus, Bildkatalog zur gleichnamigen Ausstellung des Rietbergmuseums Zürich, 1974/1975. Ein ausführlicher Text ergänzt die 270 Fotos.

Willibald KIRFEL:

Symbolik des Hinduismus und Jinismus, Stuttgart 1959,

sowie

Volker MOELLER:

Symbolik des Hinduismus und Jainismus, Tafelband, Stuttgart 1974.

Diese beiden sich ergänzenden Bände, herausgegeben von Ferdinand Hermann im Verlag A. Hiersemann, zeichnen sich aus durch eine gut verständliche Einführung in die Lehre, das Weltbild und die Ikonographie der Jaina. So werden beispielsweise die Traumbilder und anschaulichen Begebenheiten behandelt und an Hand von Abbildungen verdeutlicht, die die Empfängnis und Geburt des Mahavira umranken und sich als beliebte Motive in der jainistischen Kunst erwiesen haben. Auch die acht Glückszeichen werden erklärt.

Ein mit farbigen Abbildungen reich ausgestatteter Band über die Kosmographie der Jaina wurde 1981 von Ravi KUMAR, einem Inder, der lange in Europa gelebt hat, in einer französischen - La Cosmologie Jaina - und einer englischen Ausgabe - The Jain Cosmology - herausgebracht. Den Text schrieb Colette CAILLAT, Paris; gedruckt wurde das Werk in der Schweiz. Publishers: Lilakala AG Basel und Kumar Gallery, Sundarnagar, New-Delhi -110003.

S. SINGH:

Jaina Temples of Western India, Varanasi 1982. Parshvanath Vidyashram Research Institute, I.T.I. Road, Varanasi - 221005.

S. SIVARAMAMURTI:

Panorama of Jain Art (South India), New Delhi 1983. Dieses Werk (24x32 cm, 372 Seiten, 564 teils farbige Abbildungen) ist ein »eye-opener« (= Augenöffner) zu jainistischen Kunstschätzen in Süd-Indien, die westlichen Indienreisenden bisher verborgen geblieben sind. Leider fehlen - wie in den meisten indischen Büchern - entsprechende Karten und Lagepläne. Herausgegeben wurde dieses Buch von der Times of India, Delhi und Bombay, von wo es direkt bezogen werden kann.

Nachbemerkung:

Wer sich einmal in das eine oder andere der genannten Werke vertieft - das ist möglich in der Bibliothek des Museums für Indische Kunst, Taktstraße 40, Berlin Dahlem -, der mag sich fragen, warum so viele westliche Autoren von Büchern über Indien die Religion und die Kunst der Jaina nur beiläufig erwähnen und nicht selten abschätzig beurteilen.


Das immer wiederkehrende Motiv in der jainistischen Kunst ist der Jina: der Sieger oder der Bezwinger. Dem Sieg der jainistischen Furtbereiter und Heiligen geht jedoch kein Krieg, kein Kampf, kein Töten des Feindes voraus, sondern die Absage an die Gewalt. Ihre zumeist offenen Augen sehen den Betrachter fest an und zugleich über ihn hinweg, so, als ob sie ihn fragen wollen: Und wo stehst du in der Einhaltung des Gebotes, keinem Lebewesen Schaden zuzufügen?

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Die acht Glückszeichen (mangala) der Jaina.

Quellen
Titel: Keine Gewalt gegen Mensch, Tier und Pflanze
Verlag: Zerling Clemens, Berlin
Ausgabe: 1993
Umschlaggestaltung: Klaus Esche

http://de.herenow4u.net/fileadmin/cms/Buecher/Keine_Gewalt_gegen_Mensch__Tier_und_Pflanze/Keine_Gewalt_gegen_Mensch_Tier_Pflanze.jpg

Die sinngemāße ūbersetzung des Sanskrit-Textes auf dem Umschlagbild lautet:

Mit der Absage an die Gewalt stirbt die Feindschaft zwischen den Lebewesen

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