Keine Gewalt gegen Mensch, Tier und Pflanze: Schlecht über andere reden....

Autor*in:  Image of Kurt TitzeKurt Titze
Veröffentlicht: 14.04.2015

...und Wie man in unerlaubter Weise auf Menschen einwirkt. Wer aber um seine eigene Seele weiß, der weiß Bescheid auch außerhalb seiner selbst.

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Die gegenwärtige Neubelebung des Jainismus, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einsetzte, gab auch der jainistischen Tempelarchitektur neue Impulse. Die Anlage oberhalb der Bahubali-Schule bei Kolhapur in Süd-Indien, die um das Jahr 1963 entstand, ist ein Ergebnis dieser Entwicklung. Die den Tempelkomplex beherrschende fünfeinhalb Meter hohe Marmorstatue markiert darüber hinaus eine Rückbesinnung auf die jainistische Kunst der Monumentalplastik, die bis dahin vier Jahrhunderte brach lag. Seither vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht irgendwo in Indien eine überlebensgroße Statue eines Jaina-Heiligen aufgestellt wird (die indischen Bildhauer, die übrigens keine Jaina sind, profitieren davon).

Zugedacht ist dieser großzügig angelegte Tempel dem Gebot des Gewaltverzichts im Denken und Handeln. Am Fuße der Statue befindet sich - weithin sichtbar - die Skulptur, die für das Umschlagbild des vorliegenden Buches als Vorlage diente. Dieses friedliche Beieinander von Rind und Tiger bildet ein beliebtes Symbol in der Kunst der Jaina.
Auch die Statue, die dem Bahubali (auch Gommata genannt) von Shravana-Belagola nachempfunden ist, symbolisiert die Ächtung der Gewalt.

Bahubali war der zweite Sohn eines legendären Königs zu Beginn der indischen Geschichte. Nachdem er, Bahubali, aus einem Wettkampf mit seinem Halbbruder Bharata, bei dem es um den Besitz oder Verlust seines Reiches ging, als Sieger hervorgegangen war, erkannt« er blitzartig die Nichtigkeit menschlichen Machtstrebens, und kurzentschlossen verzichtete er auf den Lohn seines Sieges. Aber noch ein ganzes Jahr lang, so berichtet die Legende weiter, verharrte Bahubali regungslos in stehender Meditationshaltung (eine Pose, die nur den Jaina zu eigen ist). So lange nämlich dauerte es, bis die letzte Fessel - der bohrende Stachel des Stolzes - von ihm abfiel und er ein wirklicher Sieger, ein Jina, wurde. Bahubali gilt als der erste nackte Jaina-Mönch in der gegenwärtigen Halbzeitperiode.

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MAHAVIRA

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Schlecht über andere reden, sich selber loben, die guten Eigenschaften des Nächsten verheimlichen und Qualitäten vortäuschen, die man gar nicht besitzt - das verursacht Wiedergeburt auf einer niederen Stufe. Den anderen loben, von den guten Eigenschaften der Mitmenschen reden, die eigenen Tugenden nicht hervorkehren, im Umgang mit dem Nächsten Bescheidenheit und Demut üben und den Stolz auf die eigenen Fähigkeiten, Vorzüge und Leistungen ablegen - das führt zu einer Wiedergeburt auf einer höheren Ebene.

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Des Weiteren will ich von den Arten sprechen, wie man in unerlaubter Weise auf Menschen einwirkt. Hienieden treiben Leute von verschiedenem Verstände, Trieb, Sinn, Glauben, Gefallen, Tun und Wollen das Studium dieser und jener schlechten Kenntnisse, als da sind Weissagen aus Erde und Wetter, Naturwundern, Träumen, Lufterscheinungen, Gliederzucken, Tönen, Körperzeichen, Körnern; Wissenschaft von der Frau, vom Manne, von Pferd, Elefant, Rind, Schafbock, von Hahn, Rebhuhn und Wachtel, von Rädern, Schirmen, Fellen, Stäben, Schwertern und Edelsteinen; die Kunst, glücklich, unglücklich, schwanger oder verrückt zu machen; Wissen um Zauberei, Beschwörung, Opfer und Rittertum; Einsicht in den Wandel von Mond, Sonne, Venus und Jupiter; warnende Deutung von Meteorfall, Feuer am Himmel, dem Erscheinen von Waldtieren unter Menschen, dem Krähengeschrei; die Fähigkeit durch magischen Zwang einen Stock in die Luft zu stellen oder ihn vom Boden aufzurichten, jemand in den Schlaf zu versenken, Riegel zu öffnen; die Kraft, jemand hinzustürzen, aufzuheben, ins Zittern zu bringen, steif zu machen, mit etwas zu vertieften, krank oder gesund zu machen, wohin zu bewegen, und die Kunst unsichtbar zu werden: diese und andere Künste wenden sie an um Essens, Trinkens, Obdachs oder Lagers oder mannigfacher anderer Wünsche willen. Sie pflegen ein niederes Wissen. Wenn diese Unedlen und auf falschem Wege Befindlichen zu ihrer bestimmten Zeit gestorben sind, so werden sie neuverkörpert in den Stätten von Göttern der Unterwelt und niedrigen himmlischen Ranges. Wenn sie von dort freikommen, so kehren sie immer von neuem wieder als Taubstumme, als Blindgeborene oder als Stummgeborene.

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Wer um seine eigene Seele weiß, der weiß Bescheid auch außerhalb seiner selbst; wer außerhalb seiner selbst Bescheid weiß, der weiß um seine eigene Seele: diese Gleichung kannte ich schon längst.

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Willentlich oder unwillentlich verletzende Worte sprechen, aus Stolz oder im Zorn auf Menschen einreden, oder Worte machen um des eigenen Vorteils willen oder um jemand irrezuführen - so sollten Mönche oder Nonnen nicht mit der Sprache umgehen. Ihr Urteilsvermögen gebrauchend, sollten sie zu unterscheiden wissen zwischen richtig und unrichtig: Soundso hat Almosenspeise empfangen oder er hat keine Almosenspeise empfangen; er hat gegessen - oder er hat nicht gegessen; er ist gekommen - oder er ist nicht gekommen; er kommt oder er kommt nicht; er wird kommen - oder er wird nicht kommen.

Sich gut bedenkend, was man sagen will, wähle man gemäßigte Worte und die jeweils passende Sprechweise: den Singular, den Dualis oder die Mehrzahl; das weibliche, männliche oder sächliche Geschlecht; Lob oder Tadel, Lob vermischt mit Tadel oder Tadel vermischt mit Lob; die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft; die erste, zweite oder dritte Person. Wer es als richtig erachtet, in der Einzahl zu sprechen, sollte in der Einzahl sprechen; wer es als richtig erachtet, in der Mehrzahl zu sprechen, sollte in der Mehrzahl sprechen. Der Wirklichkeit entsprechend sage man bedachtsam: das ist eine Frau, das ist ein Mann, das ist ein Eunuche, dieses wird so benannt, jenes andere anders. Solchermaßen stets achtsam wähle man eine gemäßigte und zurückhaltende Sprache.

Um sich sündiger Rede nicht schuldig zu machen, muß man die vier Arten des Sprechens kennen. Sich an die Wahrheit halten ist die erste Art; die Unwahrheit sagen die zweite; die dritte ist eine Vermengung von Wahrheit und Unwahrheit; die Art, die sich weder an die Wahrheit hält noch Unwahres zum Inhalt hat, aber auch keine Vermischung von Wahrheit mit Unwahrheit ist, bildet die vierte Art des Sprechens: sie ist weder wahr noch unwahr.

Alle früheren, gegenwärtigen und zukünftigen Arhats (= verehrungswürdige Lehrer) haben diese vier Arten des Sprechens gelehrt und kundgetan, lehren und tun sie kund, werden sie lehren und kundtun.

Ein Mönch (oder eine Nonne) sollte, ehe er anhebt zu sprechen, wissen, daß seine Rede vor dem Sprechen nicht existent ist, während des Sprechens reale Sprache ist, nach dem Sprechen nicht mehr existiert.

Ein Mönch oder eine Nonne sollte mit Bedacht vermeiden, weder wahre noch unwahre Rede, noch Wahrheit vermischt mit Unwahrheit zu gebrauchen, wenn die Worte tadelnswert sind oder grob und roh oder verletzend und beleidigend, oder wenn sie zu sündigen Handlungen verleiten, Kummer oder Zwietracht stiften oder zur Vernichtung von Lebewesen führen.

Ein Mönch (oder eine Nonne) sollte nicht sagen: Der Gott des Himmels, des Donners, des Blitzes macht Regen, läßt regnen, beendet den Regen! Auch sollte er nicht sagen: Möge es regnen oder nicht regnen! Möge die Nacht weichen oder nicht weichen! Möge die Sonne aufgehen oder nicht aufgehen! Möge der König siegen oder nicht siegen! Solche Rede sollte ein Mönch oder eine Nonne nicht führen.

Sich der Natur der Dinge bewußt sein, solle man sagen: Eine Wolke hat sich gebildet, hat sich entladen, hat den Regen fallen lassen.

Beim Gebrauch der Sprache sich solcherweise zu befleißigen sei eines Mönches oder einer Nonne angemessene Pflicht. So sage ich.

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Sieht ein Mönch (oder eine Nonne) irgendwelche Krankheiten, sollte er nicht sagen: Jener dort hat die Beulenpest, die Lepra, die Schwindsucht, die Fallkrankheit, ist blind, steif, lahm, stumm, verkrüppelt; seine Hände, sein Fuß, seine Nase, seine Lippen, seine Ohren sind verunstaltet, abstoßend. So sollte man nicht reden, weil solche Reden die betreffenden Leute kränkt.

Beim Anblick guter Qualitäten hingegen sollte ein Mönch (oder eine Nonne) sagen: er ist kräftig, stark, lebensfroh, berühmt, gutgewachsen, feingliedrig, schön. Leute, die so von sich reden hören, fühlen sich nicht gekränkt, daher sollte man mit Bedacht so von ihnen sprechen.

Beim Anblick von Bäumen in einem Park, an Berghängen oder im Walde sollte ein Mönch oder eine Nonne nicht sagen: Diese Bäume gäben ein gutes Holz für den Bau von Palästen oder für Tore, Häuser, Kähne, Fässer, Sitzbänke, Stühle, Pfähle, Bettgestelle, Räder, Ställe. So sollte man, die Umstände recht bedenkend, nicht von Bäumen sprechen.

Beim Anblick von Bäumen in einem Park, an Berghängen oder im Walde sollte vielmehr so geredet werden: Sieh, jene Bäume! Sie sind prächtig, groß, hochragend; sie haben weit ausladende Äste mit vielen Zweigen; sie sind herrlich, schön, wunderschön! So sollte ein Mönch oder eine Nonne wohlbedacht von Bäumen sprechen.

Entrüstung, Stolz, Falschheit und Begehrlichkeit beiseite lassend, sollte ein Mönch oder eine Nonne eine moderate und zurückhaltende Sprache sprechen, besonnen und nicht zu schnell, das Gehörte genau wiedergebend. So sage ich.

Quellen
Titel: Keine Gewalt gegen Mensch, Tier und Pflanze
Verlag: Zerling Clemens, Berlin
Ausgabe: 1993
Umschlaggestaltung: Klaus Esche

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Die sinngemāße ūbersetzung des Sanskrit-Textes auf dem Umschlagbild lautet:

Mit der Absage an die Gewalt stirbt die Feindschaft zwischen den Lebewesen

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  1. Bahubali
  2. Gommata
  3. Jaina
  4. Jainismus
  5. Jina
  6. Mahavira
  7. Shravana-Belagola
  8. Wiedergeburt
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