Ein Sozialwissenschaftler und ein Volkswirt trafen sich, beide waren sehr besorgt. „Die Religion ist für die Trägheit im ganzen Land verantwortlich,“ sagten sie, „seit Jahrhunderten haben religiös orientierte Menschen sich nicht genug angestrengt und nur dem Schicksal vertraut. Sie drücken sich vor der Arbeit, und ihre Devise scheint zu sein, wen das Schicksal dazu bestimmt, der soll schwitzen. Heroismus und Pflichtgefühl gibt es kaum noch. Das verdanken wir der Religion, und nun haben wir auch noch diesen Meditationskreuzzug. Die Leute werden für gar nichts mehr zu gebrauchen sein. Sie sitzen still mit gekreuzten Beinen und schließen geistesabwesend die Augen. Diese Faulheit multipliziert unsere Probleme, und die Armut nimmt weiter zu. Das ist für die Gesellschaft und das Land weder gut, noch nützlich. Wir müssen diese Tendenz im Keim ersticken.“
Ich hörte ihre Unterhaltung mit, sie wirkte nicht künstlich auf dem Hintergrund ihrer Betroffenheit. Sie hatten eine Wahrheit gesehen und unterhielten sich voller Sorge darüber. Solche Zweifel haben nicht nur Wissenschaftler. Sie können jedem intelligenten Menschen in den Sinn kommen. Stundenlang untätig mit geschlossenen Augen sitzen, nicht mit produktiver Arbeit beschäftigt sein, ist das nicht unangemessen in einem Land wie dem unseren? Kann das überhaupt für irgendeine Gesellschaft von Nutzen sein?
Es ist nur natürlich, diese Fragen zu stellen. Sie werden immer wieder gestellt werden, solange wir uns parteiisch und einseitig mit ihnen beschäftigen. Alle Fragen und Zweifel, welche die Realität nur streifen, verdanken ihre Existenz der Tatsache, dass sie völlig getrennt voneinander betrachtet werden, als gäbe es keine Beziehung zwischen ihnen. In der Wissenschaft ist man lange davon ausgegangen, dass Biologie, Botanik, Chemie und Ökologie unterschiedliche Disziplinen sind. Deshalb wurden sie unabhängig voneinander erforscht. Für ihren begrenzten Bereich reichten die Folgerungen aus diesen Forschungen aus, boten jedoch keine befriedigenden Lösungen für das allumfassende menschliche Problem. Seitdem gab es einen Wandel in der Auffassung der Wissenschaftler. Heute erkennen sie an, dass alle Zweige der Wissenschaft miteinander verbunden sind und nur ein interdisziplinärer Denkansatz zur Wahrheit führt. Alle Ergebnisse einseitiger Denkansätze haben sich als mangelhaft erwiesen.
Unsere Zeit ist das Zeitalter der interdisziplinären Forschung. In Syadvad, der nicht-absolutistischen Doktrin der Jaina, manifestiert sich der Geist der unabhängigen Forschung. Nun hält er Einzug in das Gebiet der Wissenschaft. Syadvad lehrt, dass die Dinge nicht isoliert wahrgenommen werden sollen. Alles hat Myriaden von Aspekten. Soweit möglich, sollte jeder Aspekt in Beziehung zum Ganzen gesetzt werden. Die isolierte Betrachtung einzelner Aspekte bringt Folgerungen, die nur einen Teilaspekt erfassen und nicht darüber hinausgelangen. Für die vollständige Lösung eines Problems muss unter Einbeziehung aller Aspekte umfassend geforscht werden. Nur dann können wir hoffen, zu einer richtigen Lösung zu gelangen.
Der Soziologe folgert dieses, der Volkswirt jenes, der Spirituelle und der Psychologe wieder etwas anderes. Wenn alle Ergebnisse durch undurchdringliche Mauern voneinander getrennt werden, sind sie von vornherein unzuverlässig. Keine einzige Folgerung wäre als Ganzes von Belang. Alle wären unausgewogen und auf einen Teilaspekt beschränkt. Erst wenn die Trennwand eingerissen wird und die Folgerungen auf dem Faden der Relativität aufgereiht werden, enthalten sie Wahrheit. Einzelne Kügelchen sind unterschiedlich und voneinander getrennt, erst wenn man sie alle auf einen Faden reiht, bilden sie einen Rosenkranz. Doch wenn das verbindende Element fehlt, bleiben sie getrennt voneinander. Das verbindende Element ist von entscheidender Bedeutung, unterschiedliche Folgerungen müssen gut aufeinander abgestimmt sein, damit die Wahrheit sichtbar wird.
Betrachtet man die Meditationspraxis einseitig, mag sie einem als Zeitverschwendung und Einladung zur Faulheit erscheinen. Wer sich ausschließlich mit Soziologie oder Ökonomie beschäftigt, kann es so sehen. Das ist weder unverständlich, noch unrealistisch. Doch kann man das Wesentliche der Spiritualität nicht ausschließlich von der soziologischen oder ökonomischen Warte erfassen. Ein Soziologe oder Volkswirt sollte auch spirituell sein, ebenso wie ein spiritueller Mensch auch Soziologe und Ökonom sein sollte. Versteht man als spiritueller Mensch nichts von Wirtschaft, kann es vorkommen, dass man grundlose Forderungen ohne gesellschaftliche Relevanz stellt und man ohne Bezug zum Alltag illusorische und idealistische Reden hält. Von allem gibt es zahlreiche Aspekte, man sollte mit jedem vertraut sein. Ein Weiser, der die Wahrheit direkt wahrnimmt, wird oft als jemand gesehen, der mit unzähligen Augen ausgestattet ist. Ein Auge ist nicht genug, sogar zwei reichen nicht, nicht einmal das Öffnen des dritten Auges genügt. Nur wenn tausend Augen offen sind, kann man die Wahrheit begreifen. In der Vereinzelung kann sich weder die Volkswirtschaft, noch die Soziologie ihrer Bedeutung entsprechend einbringen. Sie alle sind mit der Wahrheit verbunden, nichts anderes zählt. So wird eine Doktrin aufgestellt: Nur was erkannt werden kann, ist von Bedeutung. Es gibt aber nichts in dieser Welt, das nicht erkannt werden kann.
Nichts ist jenseits der Grenzen dessen, was erkannt werden kann. Vom Erkennbaren ausgehend, besteht kein Unterschied in der Erkenntnis von weiß und nicht-weiß, gut und schlecht, Gewinn und Verlust. Bewusstsein und Materie haben den gleichen Wert unter dem Aspekt des Erkanntwerdens. Das Atom kann erkannt werden, die Seele auch. Die Seele im Himmel und die im Höllenfeuer sind gleich wert, erkannt zu werden, ebenso wie das Spektakuläre und das Unspektakuläre. Es gibt keinen Unterschied. Die begrenzten Vorstellungen von Gut und Böse, von nutzbringend und schädlich erzeugen die Spaltung.
Es ist eine Sichtweise, Meditation verleite den Menschen zu Trägheit und Fatalismus. Ein Sadhak, der eine Stunde lang meditiert, verrichtet keine produktive Arbeit. Er bestellt weder die Felder, noch sitzt er am Webstuhl und stellt Stoffe her. Das ist ein Aspekt. Es gibt aber auch einen anderen Aspekt. Ein Mensch kann seine Arbeit verrichten, weil er die dafür nötige Energie aufbringt. Ohne Energie kann er nichts zustrande bringen. Jede Leistung verlangt Konzentration. Wer einen unsteten Geist hat, kann niemals erfolgreich sein. Konzentration und Energie sind unabdingbare Voraussetzungen für die Effizienz einer Arbeit. Monoton vor sich hin schuften ist eine Sache, effiziente Arbeit eine andere. Die Wissenschaft legt großes Gewicht auf die Entwicklung von Effizienz. Das ist eine unschätzbare Qualität. Gearbeitet wurde schon immer, doch die Entwicklung von Effizienz ist ein modernes Phänomen. Eine Arbeit, für die früher zehn Stunden gebraucht wurde, kann heute in zehn Minuten erledigt werden.
Japan galt lange als Land des großen Fortschritts. Die Frage stellt sich, was die Wurzel für die phänomenale Entwicklung Japans war. Die Perspektive änderte sich, die gesamte Herangehensweise wurde anders. Konzentration war natürlich die Grundlage dafür. Die Japaner haben sich die Meditation zunutze gemacht. Sie hatten erkannt, dass ihnen durch die Meditation unglaubliche Energien zur Verfügung stehen, sowohl physische als auch psychische. Viele Experimente wurden durchgeführt. Wer spezielle Meditationsübungen durchgeführt hatte, konnte Ziegelsteine mit einem Schlag seiner Handkante pulverisieren. Ähnliche Entwicklungen aus der Meditation gab es bei den Kampftechniken, ein unbewaffneter Kämpfer konnte einen Bewaffneten durch Anwendung einer bestimmten Technik besiegen. Durch die Meditation entwickelten sie hohe Arbeitsmoral und Disziplin.
Sie waren so diszipliniert, dass sie niemals aufhörten zu arbeiten. Ein schwarzes Band am Handgelenk symbolisierte „Streik“. Manchmal dauerte ein solcher Streik zehn Tage, doch die Arbeit wurde nie unterbrochen. Woher kam diese außergewöhnliche Disziplin? Woher hatten sie diesen ungewöhnlichen Drang zur Arbeit? Zweifellos durch Konzentration und Meditation. Die Einwohner eines Landes, in dem keine Meditation praktiziert wird, können niemals stark und voller Energie sein. Jeder moderne Wissenschaftler, der tief in die Geheimnisse der Natur vordringt, ist nichts weniger als ein Meditierender. Ohne Meditation oder Konzentration können keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden. Es gibt kein einheitliches Meditationssystem, viele Methoden werden angewandt. Manche beherrscht man nach längerer Übung, andere können fast mühelos erworben werden, das hängt vom Einzelnen ab.
Newton war ein großer Wissenschaftler. Während eines Ausritts stieg er einmal vom Pferd und lief mit den Zügeln in der Hand neben ihm her. Sein Geist hatte sich in ein Problem vertieft, und er war tief in Gedanken. Sein Tempo war für das Pferd zu langsam, es wurde müde und schüttelte seine Mähne, wobei sich das Gurtband des Zaumzeugs löste. Das Pferd trabte heim, die Zügel behielt Newton, der nichts davon bemerkte, weiter in der Hand. Zu Hause angelangt, wollte er das Pferd anbinden, sah die Zügel in seiner Hand, aber das Pferd war nicht da. Wie er erfuhr, war es bereits im Stall.
Wie sollen wir das anders als Konzentration nennen? Newtons Geist hatte sich auf ein Objekt konzentriert und damit alles andere ausgeschlossen. Die Bewegung des Bewusstseins in eine einzige Richtung ist Konzentration. Jeder, der sich eingehend mit einem Problem beschäftigt, ist im Zustand der Meditation. Ohne die Fähigkeit zu tiefer Konzentration, die mit zunehmender Praxis wächst, kann man die subtile Wahrheit des Lebens nicht erkennen. Konzentration und Energie entwickeln sich am besten durch Meditation. Der Mensch verfügt unter anderen über zwei Fähigkeiten, die Fähigkeit zur Erkenntnis und die Fähigkeit zum Handeln. Die eine Fähigkeit orientiert sich an der Erkenntnis, die andere an der Handlung. Beide können durch Meditation weiter entwickelt werden.
Drei Hindernisse stehen dieser Entwicklung entgegen, physisches Leiden, mentales Leiden und negative Umwelteinflüsse. Wenn der Körper krank wird, leiden auch die erkenntnis- und handlungsorientierten Fähigkeiten darunter. Ein mentales Leiden ist gefährlicher, denn wenn der Geist verletzt ist und in einen Schockzustand gerät, kommen auch die Füße aus dem Tritt. Jemand leistet gute Arbeit, doch ein anderer findet daran etwas auszusetzen. Es wird gefragt, ob er DAS unter Arbeit versteht und kriegt gesagt, dass er ein Narr sei. Sofort gerät er aus der Fassung und verliert seine Arbeitsmotivation.
Der große, in der Mahabharata beschriebene Krieg war im Gange. Arjuna und sein Wagenlenker Krishna standen Karan und seinem Wagenlenker Shalay gegenüber. Yudhishtra sagte zu Shalay: „Du nimmst zwar an dem Krieg gegen uns teil, doch tu mir bitte einen Gefallen. Wann immer Karan einen Angriff startet, sage zu ihm: ‚Nennst du das einen Schlag? Du weißt wohl nicht, wie man einen richtigen Schlag führt?' Wiederhole das immer wieder.“ Shalay tat, worum er gebeten wurde. Karans Schläge lösten bei Shalay immer nur die gleiche missbilligende Frage aus: „Nennst du das einen Schlag? Du weißt wohl nicht, wie man einen richtigen Schlag führt?“ Auf der anderen Seite lobte Krishna jeden einzelnen von Arjunas Schlägen: „Oh, wie kraftvoll! Dieser Schlag saß!“ Nach jedem Schlag wurde Karan immer mutloser, bis er sich gar nichts mehr zutraute. Arjunas Stimmung hingegen wurde immer besser, so auch seine Schläge, er fühlte sich von Schlag zu Schlag kräftiger.
Wenn der Geist entmutigt wird, verlässt einen auch die Kraft, tatkräftige Menschen verlieren jeden Antrieb zum Handeln. Ein angeschlagener Geist ist mit das furchtbarste, was einem Menschen passieren kann. Seine ganze Vitalität liegt brach und er ist außerstande, irgendetwas zu tun. Ungünstige Umwelteinflüsse bilden das dritte Hindernis. Sie werden hauptsächlich durch die Bewegungen der Planeten des Sonnensystems ausgelöst. Meditation über psychische Zentren und psychische Farben reguliert sowohl das körperliche Gleichgewicht, als auch mentale Unzulänglichkeiten, beseitigt psychologische Blockaden und befreit von Komplexen. Viele dieser scheinbar unlösbaren Knoten werden durch Meditation gelöst, auch die planetarischen Einflüsse werden durch sie gemildert.
Wer meditiert, ist weder faul, noch träge. In ihm leuchtet ein Licht, das ihm die Richtung für den effektiven Einsatz seiner Energien weist. Meditation setzt blockierte Energien frei, so dass sie nutzbringend eingesetzt werden können. Die Fähigkeit, das Unwesentliche vom Wesentlichen zu unterscheiden und seine Energien nicht zu verschwenden, geht mit der Meditation einher. Niemand, der meditiert, wird seine Energien dafür missbrauchen, todbringende Substanzen zu entwickeln, welche die Erde innerhalb von Minuten zerstören können. Eine solche Tätigkeit kann man nicht Arbeit nennen. Tausende von Wissenschaftlern sind damit beschäftigt, unterschiedliche Arten von Viren herzustellen. Ein Behälter mit Viren wurde einmal aus Versehen in einem Büro geöffnet, die Keime gelangten in die Luft und töteten Hunderte von Menschen. Wissenschaftler arbeiten an der Entwicklung ähnlicher Keime mit dem einzigen Ziel, in Sekundenschnelle die gesamte Menschheit auslöschen zu können. Der nächste große Krieg wird nicht mit Atomwaffen, sondern mit Kampfgasen und Viren geführt, die unsägliches Leid hervorrufen.
Versprüht man beispielsweise Grippeviren unter den gegnerischen Soldaten, rufen sie so fürchterliche Husten- und Schnupfenanfälle bei ihnen hervor, dass sie nicht mehr dazu kommen, ihre tödlichen Waffen einzusetzen, sondern zwischen den Hustenkrämpfen nur damit beschäftigt sind, sich ihre Nasen zu putzen. Niemand weiß genau, wie viele Virenarten bereits von Wissenschaftlern entwickelt worden sind. Viren, die Ohnmachtsanfälle, Diarrhöe und dergleichen mehr bewirken können. Kann man das eine vertretbare Handlung nennen? Kann man das einen Arbeitsplatz nennen?
Was nicht dem Wohl von Menschen dient, ist nicht richtig.
Während eines Besuchs des Bodhidharma in China sagte der chinesische Kaiser zu ihm: „In Übereinstimmung mit den Lehren des Buddha habe ich viel für das öffentliche Wohl getan, habe Brunnen graben und Gärten anlegen lassen, und viel dafür getan, damit das Leben der Menschen nicht mehr so hart ist. Sind das etwa keine guten Werke, die ich da vollbracht habe? Was tun Sie?“ Der Bodhidharma antwortete: „Ehrenwerter Herrscher! All diese Dinge sind höchst erfreulich, aber nicht gut. Meditieren Sie, erwecken Sie die Weisheit zum Leben, das sind gute Werke. Was Sie getan haben, dient der Erbauung, aber man kann nicht sagen, dass es gut ist.“
In der heutigen Welt scheint destruktives Handeln das Gebot des Tages zu sein. Das ist so, weil die Menschen die Meditation aufgegeben haben. Sie haben das aufgegeben, was das Herz reinigt und heilt. Meditation ist weit mehr als reine Konzentration. Meditation befreit Herz und Geist von den Abfallprodukten der Leidenschaften, indem sie Herz und Geist miteinander vereint. Dieses Zusammenwirken hat eine reinigende Wirkung auf Herz und Geist. Übelwollen, Differenzen und Argumente können diese Einheit nicht mehr spalten. In der daraus entstehenden Klarheit lösen sich alle negativen Tendenzen auf. Meditation aktiviert sowohl das Bewusstsein, als auch die positive Handlungsenergie, was dazu führt, dass man sein Leben umgestaltet. Der Einzelne modifiziert die Prioritäten seines Handelns in die richtige Richtung. Destruktive Handlungen finden in einem derartig veränderten Leben nicht mehr statt. Die neu gewonnenen Prioritäten werden auch auf den Erwerb des Lebensunterhaltes angewendet.
Doch solange in der Gesellschaft kein ausreichendes Bedürfnis nach sozialer Konfliktlösung, nach Auflösung feindseliger Tendenzen und Kontroversen durch Meditation besteht, wird wertorientiertes, verantwortliches Handeln nur selten zu finden sein und destruktives, an Genuss und persönlichem Vorteil orientiertes Handeln vorherrschen. Unter diesen Gesichtspunkten wird sich zeigen, ob Meditation zu Inaktivität und Trägheit führt oder zur Entwicklung eines relevanten Bewusstseins und entsprechender Fähigkeiten.