Zur Harmonie im Inneren: 06. Kontrolle der Sprache

Veröffentlicht: 16.11.2012
Aktualisiert: 18.11.2012

Ein Philosophiestudent fragte: "Ist Bewusstsein nicht das wichtigste im Leben? Ich denke ja, denn die ganze Welt, gründet sich darauf. Ohne Bewusstsein, ohne Gewahrsein, kann es keine Werte geben."

Ich blieb einen Moment still, Zustimmung oder Widerspruch schien zwecklos. Manchmal wird man etwas gefragt, dem man weder zustimmen kann, noch kann man es ablehnen. Deshalb begann ich: „Ich kann dem nicht ganz zustimmen, es aber auch nicht von der Hand weisen. Es kann nicht gesagt werden, dass Bewusstsein das wichtigste sei und alle anderen Werte lediglich im Hinblick auf das Bewusstsein erörtert werden. In der unbelebten Welt gibt es keine solche Erörterung, denn dort gibt es keine Werte. Wo es keine Werte gibt, stellt sich die Frage nach ihrer Erörterung auch nicht. Erörterungen und Lehrmeinungen gibt es nur in der Welt des Bewusstseins, weshalb das Bewusstsein logisch betrachtet als höchster Wert angesehen wird. Doch im Hinblick auf das Ganze trifft diese logische Folgerung nicht ganz zu."

Bewusstsein ist Stille, ohne Worte, in sich ruhend und auf das einzelne Lebewesen bezogen. So gesehen ist die Welt des Bewusstseins begrenzt. Sie bedarf der Sprache zu ihrer Erweiterung, wodurch sich Beziehungen entfalten und sich die Gesellschaft entwickelt. Deshalb ist das Wort das wichtigste im Leben, denn es steht am Anfang der Welt, wie die Bibel sagt: Am Anfang war das Wort, und das Wort war Gott, und alle Dinge entstanden aus dem Wort. Die Entwicklung der Gesellschaft wird durch Kommunikation, bzw. Sprache gestaltet. Ohne sie käme keine Beziehung zustande. Ohne das Medium Wort gäbe es auch für den Einzelnen keine Erinnerung, keine schöpferische Gestaltung, kein Denken und keine Erkenntnisfähigkeit. Gibt es Erinnerungen ohne Worte? Kann man sich ohne die Sprache, ohne Worte etwas geistig vor Augen führen? Kann man ohne Sprache denken?

Alle sind abhängig vom Wort. Die moderne Psychologie behauptet sogar, dass sich Geist und Wort im Grunde nicht voneinander unterscheiden. Sprache ist die in der Welt vernehmbare Artikulation des Geistes, während die äußerlich nicht wahrnehmbare Form das Denken ist. Wie groß ein Gelehrter auch sein mag, wie übersinnlich der Seher, ohne Sprache wären sie beide nur von geringem Nutzen für die Menschen. Befreite und erleuchtete Seelen sind schweigsame Wesen. Sie haben die Grenzen unserer Welt überschritten und darum Schwierigkeiten, ihr grenzenloses Wissen mit uns zu teilen. Munis dagegen sind geeignete Ansprechpartner. Sie sind überwiegend Menschen der Stille und der Meditation, auf dem Weg der Befreiung, und sie können uns helfen, uns selbst zu helfen. Wir können sie um Rat in allen Lebensfragen bitten, und sie werden uns antworten. Ohne Sprache wäre das nicht möglich. Es gibt drei Arten von Menschen:

Ein König suchte einen Diener. Er lud viele Menschen in seinen Palast, um ihre Fähigkeiten zu prüfen, denn er wollte die geeignete Person aus der Menge der Bewerber auswählen. Drei kamen in die engere Wahl. Er fragte sie nach ihrer Lösung für ein Problem: "Wenn zufällig dein und mein Bart zugleich Feuer fingen, was würdest du tun?" Der erste antwortete ohne Zögern: "Majestät, ich würde das Feuer in Ihrem Bart löschen, ohne mich um meinen Bart zu kümmern." Der zweite sagte: "Sir, zuerst würde ich das Feuer in meinem Bart löschen und mich dann um Sie kümmern." Der dritte sagte: "Majestät, mit einer Hand würde ich das Feuer in Ihrem Bart löschen und mit der anderen das in meinem!"

Der König erläuterte die Antworten der drei Männer: "Der erste ist unrealistisch, es gibt kaum jemanden auf der Welt, der bei Gefahr zuerst an andere denkt, ohne sich um die eigene Sicherheit zu kümmern. Einem solchen Menschen ist nicht zu trauen, er mag einem schmeicheln, lässt einen am Ende aber doch im Stich. Der zweite denkt zuerst an sich und gibt damit vor, realistisch zu sein. Tatsächlich sucht er aber nur seinen Vorteil und berücksichtigt nicht die Notlagen anderer. Ein sehr gefährlicher Mensch. Der dritte ist der wahre Realist, er kennt die Welt und seine Fähigkeiten und handelt danach. Sein Leben gründet sich auf Takt und Weisheit. Wer weiß, was gut für sich ist, weiß auch, was für andere gut ist." Also erhielt der dritte Bewerber die Stelle.

Die Sprache kann zustandebringen, was weder der Geist, noch der Körper ohne sie bewirken kann. Mithilfe der Sprache kann man sich und anderen Gutes tun, doch ebenso auch Schaden anrichten. Gemeinsam bestimmen diese drei Faktoren unsere Lebensäußerungen. Der Geist nimmt die erste Stelle ein, denn hier manifestiert sich das Bewusstsein, ihm folgen Sprache und Körper. Zusammen setzen sie unseren Handlungen auf den verschiedenen Ebenen Grenzen und beherrschen unsere Gedanken und unser Verhalten. Bleibt ein negativer Gedanke auf den Geist beschränkt, hat er keinen Einfluss auf das Verhalten. Denkt man beispielsweise daran, jemanden zu beleidigen, entsteht solange kein Schaden, wie die Beleidigung sich lediglich im Geist manifestiert. Wird der Gedanke in Sprache ausgedrückt, ruft er Spannungen hervor. Sobald die Beleidigung ausgesprochen wird, ist sie kein Geheimnis mehr und beeinflusst das Verhalten aller. Die Grenze hat sich verschoben, Ärger und Bitterkeit entstehen, die Stirn des Kontrahenten umwölkt sich. Doch die Situation wird noch ernster, wenn sich der Körper beteiligt. Die Hand wird erhoben, Schläge werden ausgeteilt, und die Beine treten nach. Die Auseinandersetzung ist in vollem Gange. Geist, Sprache und Körper haben alle ihre Grenzen, innerhalb dieser Grenzen bewegt sich unser Verhalten.

Taucht ein negativer Gedanke auf, ist es gut, wenn er nicht ausgesprochen wird, denn im Geist der Einzelperson bleibt der Gedanke individuell, in Sprache kommuniziert, wird er gesellschaftlich relevant. Die Grenze des Individuums zur Gesellschaft wird überschritten, wenn die soziale Domäne mittels Sprache betreten wird. Sobald diese Grenze überschritten wird, gerät die Situation außer Kontrolle. Die Sprache ist eine gewaltige Kraft, durch Worte kann man sein Gegenüber in einen Freund oder Feind verwandeln, sie markiert den Anfang der Gesellschaft. Einerseits repräsentiert die Sprache die geistige Energie, die andererseits in die Materie hineinwirkt: Der Gedanke wird zur Sprache gebracht, und Gesagtes wird getan. Gar keine Gedanken zu haben ist manchmal noch besser.

Ein Inder beobachtete, wie ein Engländer zu ertrinken drohte und bekam Mitleid. Da er schwimmen konnte, sprang er ins Wasser und brachte den Engländer ans rettende Ufer. Am Ufer dankte dieser seinem Retter mit den Worten: „Thank you!“ [Danke sehr!] Der Inder war ein Bauer und konnte kein englisch. Er interpretierte den Klang auf seine Weise und verstand: „Wirf mich zurück!“. So hob er ihn hoch und warf ihn wieder ins Wasser. Der Engländer lag nun erneut heftig strampelnd im Wasser, während der Inder ihm vom Ufer aus verständnislos zusah.

All das aufgrund der Sprache, der Magie des Wortes! Auf ein Wort hin wurde der Retter zum Zerstörer, aus Mitleid wurden Ärger und Abneigung. Die Sprache umspannt die gesamte Menschheitsgeschichte. Alles in Sprache gefasste Wissen gibt es in Büchern. Alle menschlichen Errungenschaften wurden durch Sprache ermöglicht. Die Sprache wird von drei Wirkkräften begleitet: der Energie des Wortes selbst, der Energie der Gefühle und der Energie der Schwingungen, die das gesprochene Wort erzeugt. Zwischen Gefühlen und Sprache besteht eine enge Beziehung. Das Gefühl hinter den Worten färbt die Vibrationen des Klanges und determiniert die Art und Weise sprachlichen Handelns. Der Zuhörer begreift die Bedeutung des Gesprochenen über die Gefühle so, wie sie beim Sprecher den sprachlichen Ausdruck formen. Das Gefühl kann daher auch als subtile Sprache bezeichnet werden. Es ist ein unermüdlicher Arbeiter. Alle psychologischen Transformationen werden durch gefühlsgeprägte Sprache hervorgerufen, denn die Worte kommunizieren das zugrundeliegende Gefühl, und ein Bild des Wortes selbst formt sich im Geist.

Eine alte Frau lief einmal schwer beladen auf einer Straße. Ein Reiter begegnete ihr und hatte Mitleid, als er die schwere Last auf ihrem Kopf sah. Er bot an, ihr die Last bis zum nächsten Haltepunkt abzunehmen. Die alte Frau willigte erfreut ein und übergab ihm ihr Bündel. Als sie den nächsten Rastplatz erreichte, sah sie den Reiter warten. Sie trank Wasser und sagte: "Bruder, nun reite weiter. Gib mir meine Last, es war sehr freundlich von dir, sie so weit für mich mitzunehmen." Der Reiter gab die Last zurück und setzte seinen Weg fort. Dann kam ihm ein Gedanke: "Ich habe mir eine gute Gelegenheit entgehen lassen. Das Bündel ist ziemlich schwer und bestimmt sehr wertvoll. Wenn ich ohne anzuhalten weiter geritten wäre, hätte die alte Frau nichts tun können. Es war ein großer Fehler, ihr zurückzugeben, was mir so einfach in die Hände gefallen ist." Mit diesen Gedanken hielt er an und rastete, bis ihn die alte Frau erreichte. Er bot ihr an, die Last wieder mitzunehmen, weil sie doch bestimmt müde sei. Doch die alte Frau antwortete, dass sie auch eine Eingebung gehabt habe: "Der zu dir gesprochen hat, sprach auch zu mir. Ich trenne mich nicht mehr von meinem Bündel." Sie wusste sofort, dass die Absichten des Reiters nicht mehr gut waren.

Welches Gefühl oder Wort auch immer sich in einem Geist formt, lässt in einem anderen Geist das gleiche Gefühl oder Wort entstehen. Diese subtile Kommunikation schafft Übereinstimmung. Auch die Stärke der Gefühle wird mitgeteilt. Wenn man positiv an jemanden denkt und positive Gefühle für ihn hegt, lässt das beim Anderen ebenfalls positive Gedanken und Gefühle entstehen. Gedanken und Gefühle der Ablehnung produzieren beim anderen ebenfalls feindliche Gedanken und Gefühle.

Ein Aspekt der Sprache ist das Gefühl, ein anderer die Artikulation. Eine ganze Lehre von lautmagischer Klangbeschwörung gründet sich auf Artikulation. Die Mächtigkeit eines Mantras leitet sich her aus Gefühl und Artikulation unter den Gesetzen der Schwingungslehre. Die aktuellen Forschungsergebnisse hinsichtlich Sprache und lautmagischer Klangbeschwörung sprechen von drei miteinander verbundenen Kräften: Kraft des Gefühls, Kraft der Lautäußerung und Kraft der Beschwörung. Artikulation erzeugt Vibrationen. Ein gesprochenes Wort erzeugt Alphawellen, ein anderes Beta- oder Thetawellen, entsprechend werden Mantras eingeordnet.

Artikuliert man das Wort ‘Aum’, produziert das Gehirn Alphawellen und entspannt sich. Diese Entspannungstechnik ist sehr wichtig für das Gehirn. Sogenannte Keim-Mantras erzeugen unterschiedliche Vibrationen, die alle das Gehirn beeinflussen. Die Codesilben der Keim-Mantras sind: a, si, a, u, sa, arham, aum, ri, shri, kli. Ihre Vibrationen wirken auf das Drüsensystem und unterstützen den gleichmäßigen Fluss der inneren Sekrete aus den verschiedenen Drüsen, wie Schilddrüse, Hirnanhangdrüse, Hypothalamus, Bauchspeicheldrüse etc. Durch Artikulierung des Keim-Mantras arham kann man sich beruhigen und seine Ausgeglichenheit wiederherstellen. Mit diesem Keim-Mantra kann man sich auch auf die Meditation (Dhyana) einstellen.

Die Meditation kann auch mit der Rezitation von Yappas, mit dem Namen einer Gottheit verbundene Codesilben, einhergehen. Diese produzieren beruhigende Schwingungen und steigern die Konzentrationsfähigkeit. Einige Silben wirken wie ein hitzeerzeugender Code im Körper: Die tausendfache Wiederholung der Silbe ra erhöht die Körpertemperatur, die in ihr enthaltenen Klangstrukturen produzieren hitzeerzeugende Schwingungen. Genauso kann man die Körpertemperatur durch ständiges Rezitieren entsprechender Code-Silben senken oder andere Energiezustände herbeiführen.

Unsere Welt ist eine Welt der Schwingungen, das Universum ein Schmelztiegel unterschiedlicher Frequenzen: Gedankenschwingungen, Sprachschwingungen und Körperschwingungen, alles hat seinen eigenen Rhythmus. Nur was in Sprache nicht mehr ausgedrückt werden kann und über sie hinausgeht, verlässt den Bereich der Schwingungen. Ein Mensch, der sich durch die Sprache definiert, bleibt an ihre Schwingungen gebunden.

Es ist nicht einfach, die Erdanziehungskraft zu überwinden, um in den Weltraum zu gelangen. Mit Entschlossenheit, Willenskraft und Zielbewusstsein hat der Mensch es dennoch geschafft. Sollte es ihm dann nicht auch mithilfe der Meditation gelingen, über die Welt der Schwingungen hinauszugelangen? Dann stellt sich jedoch die Frage, wie die Energie der Klangäußerung weiterentwickelt werden kann. Solange die Sprache nicht von allen Unreinheiten gereinigt ist, kann sie nicht als wahrhaftig bezeichnet werden. Durch nachhaltige Artikulation, wobei der Klang in die Länge gezogen wird, erreicht man eine reine Form, durch welche die Verbindung zwischen Geist und Gefühlen hergestellt wird. Dies ist eine Methode, die Klangäußerung weiterzuentwickeln. Es gibt Variationen in der Klangäußerung,  pathetische, gewöhnliche, kurze, langwierige und akzentuierte. Zusammenfassend kann gesagt werden, je mehr Energie durch nachhaltige Artikulation erzeugt wird, desto enger wird die Verbindung mit dem Geist. Allein durch seine Artikulation kann ein Mantra sehr unterschiedlich gestaltet werden. Im Sama Veda sind die verschiedenen Variationen genau beschrieben.

Viele beklagen sich, dass sie schon lange Mantras und Yappas ohne Wirkung und Erfolg rezitieren. Wie könnte es auch anders sein? Solange man das Geheimnis der richtigen Artikulation nicht kennt, entfalten diese weder ihre richtige Bedeutung, noch ihre Wirkung. Ohne einen Guru ist es sehr schwierig, das Geheimnis zu entschlüsseln. Natürlich muss der Lehrer zuerst einmal selbst die Auswirkungen der Unterschiede in der Artikulation kennen, ehe er andere in ihre Geheimnisse einführen kann, denn eine unterschiedlich artikulierte Silbe kann mitunter fünfzig verschiedene Wirkungen hervorrufen. Aum beispielsweise kann sehr unterschiedlich ausgesprochen werden und hat dann die entsprechenden Wirkungen. Unterschiedliche Resonanz produziert unterschiedliche Ergebnisse. Man muss aufpassen, dass die wohltuende Wirkung eines Mantras oder Yappas sich nicht in ihr Gegenteil verkehrt. In den Mantra-Shastras kann man detaillierte Erörterungen hierzu finden.

In der alten Jaina Literatur finden wir umfangreiche Auflistungen von Artikulationsfehlern bei Klangsilben, vorgegebene Längen und Pausen müssen eingehalten werden, und sie dürfen klanglich nicht miteinander vermischt werden, weil sonst die Bedeutung verändert wird. Wer die Kunst der richtigen Artikulation beherrscht, kommt in den Himmel, heißt es. Für ihn wird das Wort sozusagen zur Eintrittskarte für die Erlösung.

In der Stadt Nagore lebte einst ein Diener, der Verse schrieb. An das Ende eines Gedichtes setzte er den Namen seiner Stadt. Doch schrieb er statt ‚Nagore mein’ (in Nagore) versehentlich ‚Nago rame’ (nackt wandern). Wenige Monate später sah man ihn nackt durch die Strassen seiner Stadt laufen.

Kombination und Artikulation von Wörtern wirken auf unsere Sensibilität. Die Kraft des Wortes, die Kraft des Gefühls hinter dem Wort und die Macht der Artikulation - sie alle drei wollen richtig verstanden sein. Das ist Teil des Sprachreinigungsprozesses, von der die nachhaltige Artikulation ein Aspekt ist. Eine andere Methode der Sprachreinigung ist, alle Behauptungen nur auf Wahrheit basieren zu lassen. Auch wenn man die Kunst der richtigen Artikulation beherrscht und Einsicht in die tiefgründige Rolle der Klangvibrationen gewonnen hat, ist dennoch alles verdorben, wenn die Grundlage falsch ist. Analysieren wir die Probleme der Gegenwart, können wir feststellen, dass sie alle in der Lüge wurzeln. Deshalb werden unsere Probleme zunehmend kompliziert. Man sagt sogar, dass die Welt ohne Lüge nicht funktioniere, Politik nichts anderes sei als ein einziges Täuschungsmanöver und Diplomatie sich auf diese Falschheit gründe, vom Höchsten zum Geringsten basiere gesellschaftliches Handeln auf Lüge. Wer lügt, ist auf der sicheren Seite, wer die Wahrheit spricht, ist erledigt.

Ein Richter sagte zu einem Angeklagten: „Sie stehen hier vor Gericht! Sprechen Sie die Wahrheit und lügen Sie nicht! Wissen Sie, wohin die Falschheit Sie bringt?“ – „Euer Ehren, das weiß ich sehr gut. Wenn ich lüge, lande ich in der Hölle, spreche ich die Wahrheit, lande ich im Gefängnis!“

Jeder ist heute davon überzeugt, dass die Wahrheit einem in der Gesellschaft nur Schwierigkeiten bereitet und Härten hervorruft. Wer lügt, kommt ungeschoren davon, selbst wenn er die größten Verbrechen begangen hat. Ein raffinierter Redner, der es versteht, seine Lügen zu kaschieren, ist immer erfolgreich. Wer die Wahrheit sagt, gilt als Querkopf, als Wahnsinniger und als Narr. Diese Denkweise beeinträchtigt alle gesellschaftlichen Beziehungen. Natürlich wollen wir weder Ungerechtigkeit, noch Doppelmoral und Tyrannei, sondern möchten, dass Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit die Oberhand behalten. Doch wie können wir das durchsetzen? Die Grundlage des Lebens ist durch die Lüge vergiftet. Wenn die Grundlage falsch ist, wie kann sich dann die Wahrheit durchsetzen?

Lord Mahavira bietet uns eine vortreffliche Auffassung von der Wahrheit, wenn er sagt: "Wahrheit ist, wo Einfachheit der Haltung, des Gefühls und der Sprache sowie Harmonie zu finden sind." Harmonie bedeutet Abwesenheit von Zwietracht. Heute das eine sagen und morgen das andere, schafft Unfrieden. Das Wahre, das Reale reicht über alle Zwistigkeiten hinaus und ändert sich nicht im Laufe der Zeit. Wenn das vor zehn Jahren Gesagte auch in fünfzig Jahren noch gilt, gibt es keine Zweideutigkeit mehr. Doch häufig findet man Unehrlichkeit sowohl in den Gefühlen, als auch in der Sprache, was auf Schritt und Tritt Zwietracht im Leben sät.

Was vermag die Sprache unter diesen Umständen? Was kann die Reinheit des Ausdrucks bewirken? Jedes Wort von den Lippen eines Menschen, der die Reinheit des Ausdrucks erreicht hat, wird wahr. Niemals kann es falsch sein. Die beste Methode, diese Vollkommenheit der Sprache zu erreichen, ist die Wahrheit. Die Worte eines wahrhaftigen Menschen erfüllen sich. Die Wahrhaftigkeit stattet seine Worte mit einer solchen Kraft aus, dass selbst Naturphänomene sie nicht verändern können. Wahrheit und Reinheit verleihen dem Individuum eine solche Kraft, dass sich sogar die Natur von ihm leiten lässt: Die Wolken am Himmel sammeln sich auf ein Zeichen von ihm und verschwinden.

Rishirai war ein hoch angesehener spiritueller Meister. Wann immer er einen Fuß vor die Tür setzte, türmten sich Wolken auf, und die Sonne brannte nicht mehr so heiß.

Solche Wunder geschehen, und noch viele mehr. Die Macht der Wahrheit ist grenzenlos. Doch heute wird dem Menschen schon von Kindesbeinen an gesagt, dass die Wahrheit ihn zerstöre, während die Lüge ihn rette. Wie kann man die Wahrheit zur Grundlage seines Lebens machen, wenn man den Gesetzen der Lüge folgt? Das feste Vertrauen in die Wahrheit verhilft zur Reinheit des Ausdrucks. Wer sein Leben auf Wahrheit gründet, kommt voran, auch wenn er sich verspäten sollte. Der unbeirrbare Glaube an die Macht der Wahrheit führt immer zu guten Ergebnissen. Doch nur wenige können diesen unbeirrbaren Glauben aufbringen und aufrecht erhalten. Die Worte eines Menschen, der immer die Wahrheit spricht, sind von außerordentlicher Energie und führt schließlich zur Perfektion der Sprache. Die Reinigung des Geistes ist genauso notwendig wie die des Körpers, zwischen Körper und Geist residiert die Sprache. Ohne Reinigung der Sprache verbiegen sich Körper und Geist. Deshalb ist es wichtig, sich seiner Sprache bewusst zu werden.

Quellen
Englischer Titel:
Towards Inner Harmony Redaktion:
Muni Dulheraj
Herausgeber:
Jain Pubilishers (P) Ltd, New Delhi
http://www.bjainbooks.com Übertragung ins Deutsche:
2004 Carla Geerdes
2012 Überarbeitete Fassung
Carla Geerdes

http://de.herenow4u.net/fileadmin/cms/Buecher/Zur_Harmonie_im_Inneren/Acharya_Mahaprajna_-_Zur_Harmonie_im_Inneren_200.jpg

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