Vor mir stand ein Jugendlicher. Ich fragte ihn, wer er sei. Er antwortete, dass er den erleuchtenden Geist suche. Ich fragte ihn: „Warum hast du so viele Kummerfalten auf der Stirn?“ Seine Antwort: „Wegen der vielen Komplikationen, die sich im Laufe meiner Suche ergeben haben.“ Ich entgegnete: „Die spirituelle Wissenschaft ist der Weg, all diese Komplikationen aufzulösen. Warum sollte man sich dabei in Widersprüche verwickeln? Warum ein kummervolles Gesicht bekommen? Das ist nicht richtig.“
„Dennoch ist es tatsächlich so,“ sagte er. „Ich fing an, mich damit zu beschäftigen, weil ich meine Verwirrung klären wollte, doch jetzt bin ich eher noch verwirrter.“ Daraufhin fragte ich ihn, wie das gekommen sei.
„Ich habe Naturwissenschaften studiert,“ sagte er, „und hoffte, dass die Spiritualität mein Leben bereichern würde. Doch nachdem ich einen dicken Wälzer nach dem anderen gelesen hatte, kam es mir besonders eintönig vor. Diese Wälzer strotzen nur so von Ermahnungen. Ich las im Uttaradhyayan Sutra der Agamas, man solle reichhaltige Nahrung meiden. Im zwischen 300 v. und 300 nach unserer Zeitrechnung entstandenen Mahabharata Epos wird gesagt, dass ein Yogi automatisch seine Energie gewinnt, wenn er fades Essen zu sich zu nimmt. Mahatma Gandhi weist wiederholt auf die Notwendigkeit hin, auf schmackhafte Speisen zu verzichten.
"Disziplinierung des Geistes" (Manonushasanam) hielt ich für ein modernes Buch unserer Zeit, in dem ich eine optimistische Einstellung für ein glückliches Leben zu finden hoffte, das Geheimnis eines kraftvollen und abenteuerlichen Lebens, weshalb ich es mit besonderer Aufmerksamkeit studierte. Doch war dieses Buch eher eine Bürde, denn auch hier wird die Notwendigkeit betont, sich von den Verführungen der Sinne nicht absorbieren zu lassen, sondern die Sinne zu reinigen. Zuerst die Reinigung der Nahrung, dann die der Sinne, mit dieser Betonung auf Disziplinierung der Sinne werden alle religiösen Bücher langweilig, und deshalb habe ich von der Spiritualität genug. Ich kam hierher, um meine Probleme zu lösen und nicht, um mich in neuen wiederzufinden.
Ich möchte ein problemloses Leben, das von Kraft, Enthusiasmus und Freude bestimmt ist. Für die heutige Jugend ist Askese doch ein Auslaufmodell. In der modernen Welt des wissenschaftlichen Fortschritts sind Einschränkung und Entsagung völlig unakzeptabel. Nichts sehen, nichts hören, nicht essen, nicht denken, nicht sprechen, nicht fühlen oder riechen, dies nicht und das nicht! Dieses Negative hat den ganzen Saft aus meinem Leben gezogen und es fade werden lassen, mein Leben ist inzwischen ausgedörrt wie ein saftloses Zuckerrohrblatt.
Die Lehren der spirituellen Meister haben mich in noch größere Verzweiflung gestürzt, und Sie fragen mich, warum diese Kummerfalten auf der Stirn, warum dieser Ausdruck der Verwirrung im Gesicht, was erwarten Sie sonst? Kommen denn nicht die inneren Verwicklungen zum Vorschein? Der Eintritt in die Welt der Spiritualität bereitet mir große Qualen. Alle meine Erwartungen sind frustriert worden, alle meine stolzen Hoffnungen liegen begraben. Was soll ich noch sagen? Wollen Sie mir freundlicherweise den Weg zeigen?“
Ich antwortete: „Mein lieber Herr, warum so verwirrt? Wenn die Spiritualität Sie so sehr verwirrt, warum lassen Sie sie nicht sein und geben sie völlig auf? Wie die Schlange sich häutet, sollten Sie sich von der Spiritualität auf Nimmerwiedersehen verabschieden.“ Er protestierte: „Wie kann das sein? Ich kann sie nicht aufgeben, denn gerade die Fadheit aller materiellen Freuden trieb mich zur Spiritualität. Wenn ich sie aufgebe, wo stehe ich denn dann? Ich kann nicht zurückgehen, woher ich kam. Materielle Dinge geben mir keine dauerhafte Freude. Im Gegenteil, sie lösen tiefgehende mentale Unruhe bei mir aus. Von innerer Unzufriedenheit getrieben, gelangte ich zur Spiritualität, um Frieden zu finden. Doch ich habe keinen Frieden gefunden. Bei mir sind beide fehlgeschlagen, die spirituelle und die materielle Welt, was soll ich tun?“
Ich sagte: „Sie verstehen gar nichts, weder die Spiritualität, noch den Uttaradhyayan Sutra, noch das Mahabharata Epos, noch Manonushasanam. Verstehen ist auch nicht leicht. Ohne Erfahrung, ohne Tradition wird nichts verständlich."
Der Teilnehmer eines Meditationscamps schilderte mir, wie er die vergangenen zwei Jahre für sich meditiert hatte. Doch erreicht hatte er gar nichts. Die zehn Tage des Camps bewirkten den ganzen Unterschied. Er begann zu fühlen, dass etwas passierte. Was beweist, dass das Verständnis sich nicht von allein entwickelt, sondern es einer Methode bedarf. Ohne den Schlüssel lässt das Schloss sich nicht öffnen.
In einem ayurvedischen Buch las ich über das Kühlen von Wasser. Eine der Methoden besteht darin, das Wasser mithilfe eines Stückes Stoff zu kühlen. Es hieß, dass Wasser sich abkühlt, wenn man ein Stück Stoff hindurchzieht. Ich war überrascht das zu lesen und wusste sofort, dass es sich um einen Übersetzungsfehler handelt. Die Übersetzung war falsch, weil der Übersetzer mit der Methode nicht vertraut ist. Wir, die Munis (Mönche), kennen diese Methode. Während des heißen Sommers wandern wir in der sengenden Sonne und kriegen nur heißes Wasser, das wir abkühlen müssen, bevor wir es trinken können. Und dieses heiße Wasser kann fast eiskalt werden. Man könnte es zwanzigmal durch ein Stück Stoff passieren lassen, wie der Übersetzer es empfiehlt, doch würde es nicht abkühlen. Die erfolgreiche Methode ist folgende:
Man nimmt ein Gefäß mit heißem Wasser und tunkt ein Stück Stoff hinein. Dieses Stück Stoff wird ein- bis zweimal gefaltet und an seinen beiden Enden gehalten und wieder herausgezogen, wieder eingetunkt und herausgezogen, solange, bis das Wasser abgekühlt ist. Das Wasser wird mit dem Stoff herausgeleitet und durch die Verdunstung abgekühlt [Verdunstungskälte]. Eine andere Methode besteht darin, ein Gefäß mit warmem Wasser auf eine höhere Ebene zu stellen und ein Stück Stoff von dort in ein tiefer stehendes, leeres Gefäß hängen zu lassen. Das Stück Stoff nimmt das Wasser auf und leitet es in das tiefer stehende Gefäß, wobei sich das abtropfende Wasser auf seinem Weg abkühlt. Das sind die Methoden, Wasser mittels eines Stückes Stoff abzukühlen.
Wie gelehrt ein Redner auch sein mag, die Verantwortung für das Verständnis des Gesagten liegt aufseiten des Zuhörers und entspricht dessen Auffassungsgabe. Viele Menschen gehen davon aus, dass die Bhagavadgita die Worte Lord Krishnas enthält, der Dhamapada die Lord Buddhas und der Uttaradhyayan-Sutra die Lord Mahaviras. Für den Moment ist nicht das wichtigste, was Lord Krishna, Lord Buddha und Lord Mahavira tatsächlich gesagt haben, sondern wie tief das Verständnis des Lesers für ihre Lehren geht. Sind die Worte eines Textes nicht sofort einsichtig, wie sollte man dann noch die im Text möglicherweise verborgene Bedeutung erfassen können. Unzählige falsche Interpretationen sind die Folge.
Spirituelle Wahrheiten werden häufig verdreht. Ein großer Teil daraus resultierender Spekulationen basiert auf diesen Verdrehungen. Gerade deswegen sind viele spirituelle Texte fade. Spiritualität selbst macht das Leben niemals langweilig, sondern gibt ihm im Gegenteil erst die tiefe Bedeutung, die es unendlich faszinierend macht. Materielle Freuden dagegen sind vergänglich und von kurzer Dauer. Nach dem Genuss gewürzter Speisen in heißem Klima ist man durstig, und das erste Glas Wasser schmeckt wie Ambrosia. Mit dem zweiten Glas ist der Durst erst einmal gelöscht, und das Wasser schmeckt nicht mehr so süß wie vorher. Nach dem dritten Glas Wasser ist der Durst völlig gestillt, weiteres Trinken würde nur Widerwillen verursachen, warum sich den Bauch mit etwas so Fadem wie Wasser füllen? Zwischen dem ersten und dem letzten Tropfen wandelt sich der Geschmack des Wassers. Je besser der Durst gestillt ist, desto fader schmeckt das Wasser. Der Nutzwert des Wassers ist auf einen verschwindend kleinen Punkt reduziert.
Das ist charakteristisch für alle materiellen Dinge: Zuerst erfreut man sich daran, mit fortschreitendem Gebrauch büßen sie ihre Faszination ein. Und das ist nicht nur mit Wasser und Nahrung so, auch mit Kleidung und Beziehungen zu Menschen. Betrachten wir die Charakteristik der Dinge und Beziehungen genauer, stellen wir fest, dass sich die besondere Freude des ersten Gebrauchs oder Zusammentreffens nie wiederholt, handele es sich um Heirat, Freunde oder jedwede andere Art von Beziehung. Legt man es darauf an, einen Bruch zwischen zwei Freunden herbeizuführen, braucht man sie nur zum Zusammenleben zu zwingen! Je enger man zusammenlebt, desto weiter wird man auseinander getrieben.
Je größer die Entfernung, desto anhaltender die Liebe. Sogar ständig zusammenlebende Ehepartner verlieren ihre Liebe zueinander. Mitglieder auf begrenztem Raum zusammenlebender Großfamilien lieben sich selten, ihre Zuneigung zueinander verändert sich mit der Dauer des Zusammenlebens. Damit die Zuneigung zu Freunden und Angehörigen bestehen bleibt, bedarf es einer gewissen Distanz. Ist das nicht gegeben, verschwindet die Zuneigung allmählich.
Resultiert die Anhäufung materieller Güter in Lebensfreude? Niemals. Vieles gefällt uns, das wir zum ersten Mal erleben. Doch je mehr Zeit vergeht, desto kleiner wird die Freude. Egal, wie sehr etwas am Anfang geschätzt wurde, im Laufe der Zeit vermindert die schalgewordene Gewohnheit den Wert.
Es war einmal ein Mönch, dessen Ruhm dem König zu Ohren gekommen war. Der König lud ihn in seinen Palast ein. Der Mönch ging hin, setzte sich auf eine Holzbank und bemerkte im Laufe der Unterhaltung mit dem König: „Sir, das wertvollste im Leben ist die Seele.“ Der König, ein Materialist, war sehr überrascht das zu hören. Er wandte ein: „Wie kann das sein? Die Seele kann man nicht sehen. Sie hat keine Gestalt und keine Form, man kann sie nicht fühlen, also ist allein die Materie allein von Wert.“ Der Mönch entgegnete: „Sir, wenn die Seele keinen Wert hat, halten Sie dann ihr eigenes Reich für wertvoll?“ Der König lachte verächtlich und antwortete: „Ja, mein Königreich ist sehr wertvoll. Sehen Sie nicht die Pracht, in der ich lebe? Mein Palast und meine Schatzkammer sind voller Schätze. Alle Menschen beneiden mich darum. Alle halten es für höchst erstrebenswert, ein König zu sein. Es gibt kaum jemanden, der nicht gerne König wäre. Wäre mein Königreich nicht wertvoll, würden die Menschen mich nicht darum beneiden.“ Der Mönch fuhr unbeirrt fort: „Ihr ganzes Königreich ist nicht wertvoller als zwei Gläser Wasser. Wie kann es dann als wertvoll angesehen werden?“ Das wollte der König erklärt haben.
„Stellen Sie sich vor, Sir, Sie machen einen Jagdausflug und verirren sich im Wald, es ist ein furchtbar heißer Tag, und Sie sind durstig, schrecklich durstig! Wenn Sie kein Wasser finden, werden Sie sterben. Es ist eine Frage von Leben oder Tod. Was gäben Sie dafür, wenn Ihnen jemand in dieser Situation ein Glas Wasser reichen würde?“ – „Oh, ich würde ganz sicher mein halbes Königreich dafür geben.“ -„Gut, Sir, nun stellen Sie sich vor, dass Ihr Harndrang Ihnen unvorstellbare Schmerzen bereitet und Sie Ihr Ende nahen sehen, wenn Sie nicht bald Ihre Blase entleeren können. Würde nun ein Spezialist Ihnen ein Mittel zum Wasserlassen in einem Glas Wasser auflösen, was würden Sie dafür geben?“ – „Diesem Lebensretter würde ich mit Sicherheit mein halbes Königreich geben. Was ist schließlich ein Königreich verglichen mit dem Leben?“
„Sehen Sie, Sir, Ihr Königreich ist nicht mehr wert als zwei Gläser Wasser. Eine Hälfte Ihres Königreiches gäben Sie dafür, ein Glas Wasser zu sich nehmen zu können, die andere dafür, es wieder von sich geben zu können. Das ganze Königreich für zwei Gläser Wasser! Das ist nicht viel, oder?“
In der Bewertung steht alles Materielle auf der gleichen Stufe. Materie an sich ist nicht wertvoll, ihr Wert hängt ausschließlich von ihrem Nutzen ab. Wäre das innere Auge für diese Wahrheit bereit, könnten wir realisieren, dass es dumm ist, den Geist gering zu schätzen und materiellen Dingen zu große Bedeutung zu verleihen. Die Pilgerfahrt des Geistes beginnt mit dem Verständnis für das, was immer seinen Wert bewahrt. Dieses Verständnis wächst mit zunehmender Weisheit. Ein spiritueller Meister erkennt den Wert einer bestimmten Person oder Angelegenheit.
Die spirituelle Wissenschaft ist die Lehre von der Wahrnehmung der wahren Werte. Spirituelle Meister zollen sowohl der Nahrung, als auch den Sinnen die angemessene Aufmerksamkeit. Verfeinerung und Vergeistigung der Sinne heißt, jedes Sinnesorgan angemessen wahrzunehmen und einzusetzen. Die zeitgenössische Gesellschaft neigt dazu, sich von den Sinnen abhängig zu machen und ihnen zuviel Bedeutung beizumessen. Davon muss sie kuriert werden.
Ein bekannter amerikanischer Industriemagnat wurde nach dem Geheimnis seines Erfolges gefragt. Er sagte: „Die Fähigkeit, die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit zu treffen, brachte mich an die Spitze. Die Grundlage für richtiges Handeln ist Erfahrung, die Grundlage für Erfahrung ist falsches Handeln. Ich habe in meinem Leben viele falsche Entscheidungen getroffen und unter ihnen gelitten. Doch aus diesen Erfahrungen gewann ich die Fähigkeit, richtige Entscheidungen zu treffen, die dann auch zum Erfolg führten.“
Einst wurde Birbal, ein berühmter Weiser in Indien, vom König gefragt, woher er soviel Weisheit nehme. Birbal antwortete prompt: „Von den Narren. Ich habe genau beobachtet, welche Handlungen einen zum Narren machen, und habe diese einfach unterlassen. So wurde ich immer weiser, denn es gibt keinen Mangel an Narren und Verrückten in dieser Welt.“
Ein Rechtsanwalt schrieb auf dem Totenbett seinen letzten Willen. Er verfügte, dass sein gesamter Besitz unter den Verrückten und Narren aufgeteilt werden solle, denen er es im Laufe seines Lebens auch abgenommen habe.
Ohne Leiden, Fehler und Dummheiten würde niemand je weise werden. Die von Menschen geschaffene Gesellschaft kennt viele Fehlentwicklungen und misst der Welt der Sinne zuviel Bedeutung bei. Aus dieser Situation heraus entwickelten die spirituellen Meister das Konzept von der Purifikation der Sinne und ihrer Kontrolle. Dabei stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, Purifikation und Kontrolle der Sinne zu erreichen. Unsere Welt wird von Gesetzen beherrscht. Die Materie hat ihre eigenen Gesetze, so auch die spirituelle Wissenschaft. Die Entdeckung der Gesetze, welche das subtile Wesen und den Aufbau der Materie bestimmen, veränderte die Welt. Ohne Kenntnis dieser Gesetze wären selbst die einfachsten Dinge unseres gegenwärtigen Alltags ein Rätsel.
Wenn ich eine Rede halte, können mir Hunderte von Menschen zuhören, auch wenn sie so weit von mir entfernt sitzen, dass ich sie kaum noch erkennen kann. Dennoch ist das Zuhören nicht schwierig. Vor hundert Jahren wäre das unmöglich erschienen. Doch nun ist es nicht mehr unmöglich. Sowenig unmöglich, wie man überall auf der Welt hören kann, was jemand am anderen Ende der Welt sagt. Entdeckung und Anwendung der den Klang regierenden elektroakustischen Gesetze ermöglicht jetzt, was früher unmöglich erschien.
Die spirituelle Wissenschaft befasst sich mit Erforschung und Entdeckung subtiler Gesetze. Sie ist nicht nur die Wissenschaft von der Religion, sondern beschäftigt sich auch wissenschaftlich mit den tiefen Mysterien der Natur. Neben einem tiefgehenden Studium der Naturgesetze fordert sie deren Verinnerlichung und Umsetzung.
Am Anfang dieses Kapitels haben wir darüber gesprochen, dass Spiritualität der Jugend fade vorkommt. Es ist wahr, dass einem zu Beginn der spirituellen Suche auferlegt wird, sich der sinnlichen Freuden zu enthalten, wobei die Enthaltsamkeit des Gaumens und die Kontrolle der Sinnesorgane besonders betont werden. Man fragt sich, warum. Sexuelles Begehren ist eine große Triebkraft, die uns Nachkommen sichert. Darüber hinaus wirkt sie ständig als der fundamentale Instinkt des Menschen, wie Freud den Sex zurecht bezeichnet hat. Folgen wir diesem Instinkt, geraten wir in Konflikt mit unserer Lebensplanung. Physiologen und Psychologen bestätigen, dass alle anderen Spannungen zeitlich begrenzt auftreten, während die sexuelle Spannung gegenwärtig bleibt. Die Gefahr ist, dass sie unser Bewusstsein erobert und dominiert.
Die spirituelle Wissenschaft legt dar, dass die Frage mentaler Unzufriedenheit solange nicht beantwortet werden kann, wie das sexuelle Begehren nicht besänftigt wird. Kennt man den Zusammenhang zwischen Gaumen und sexuellen Impulsen, weiß man, dass über ihn die sexuelle Begierde beeinflusst werden kann. In einem Vers des Uttaradhyayan Sutra heißt es:
Hüte dich vor saftigen Früchten, die zuviel Lebenskraft enthalten. Sie produzieren Aufregung, und Aufregung steigert die sexuelle Begierde. Lust macht sich in libidinösen Personen breit wie Vögel in einem mit Früchten beladenen Baum.
Dieser Zusammenhang entstammt dem Tantra-Shasta, das eine vollständige Analyse der fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther [Akasha, Äther: das fünfte Element aus indischer Weltsicht, in dem der Informationsaustausch zwischen Geist und Materie stattfindet] enthält. Diesen fünf Elementen entsprechen die fünf Sinne mit ihren fünf handlungsorientierten Organen wie folgt:
Elemente | Sinnesorgane | Handlungsorgane |
Erde | Nase | Bewusstsein |
Wasser | Zunge | Genitalien |
Feuer | Auge | Fuß |
Luft | Haut | Hand |
Äther | Ohr | Zunge |
Das Wasserelement enthält alle Geschmacksrichtungen für die Zunge. Seine Handlungsorgane sind die Genitalien. Genitalien und Zunge sind durch das Wasserelement in enger Beziehung miteinander verbunden. Das Wasserelement verstärkt beides und gibt ihnen Energie.
Dem Feuerelement wird das Auge als Sinnesorgan zugeordnet, Handlungsorgane sind die Füße. Das erste Zeichen aufflammenden Zorns ist die Rötung des Augapfels und des Sehfeldes. Die Augenbrauen ziehen sich zusammen, man trampelt mit den Füßen. In diesen Zusammenhang passt eine Geschichte aus der Ramayana.
Rama fragte Sita: „Welche Farbe hatten die Blumen im Garten von Lanka?“ Sita antwortete: „Weiß.“ Hanuman wurde dieselbe Frage gestellt, er antwortete: „Rot.“ Obwohl beide Augenzeugen waren, gaben sie widersprüchliche Antworten. Rama löste die Kontroverse, indem er beiden Recht gab.
Wie das? Sita war zu der Zeit in einem ausgeglichenen Gemütszustand. Sie badete geradezu in Ausgeglichenheit. Ihre Augen waren voller Liebe und Frieden. Daher erschienen ihr alle Blumen weiß. Als Hanuman nach Lanka ging und den kleinen Garten erreicht hatte, war er über alle Maße zornig, er zitterte sogar vor Wut. Seine Augen waren vor Empörung blutunterlaufen, deshalb sah für ihn alles rot aus.
Es ist eine Tatsache, dass die sexuelle Begierde nicht zurückgehalten werden kann, ohne gleichzeitig Kontrolle über den Drang nach materieller Belohnung von Zunge und Gaumen auszuüben. Diese Beispiele aus der spirituellen Wissenschaft können leicht anhand dieser offensichtlichen Tatsachen nachvollzogen werden.
In "Disziplinierung des Geistes" folgt auf die Reinigung der Nahrung die Reinigung der Sinne. Es werden zwei Wege beschrieben, die sich auf zwei wesentliche Gesetze gründen: Sich der eigenen Neigungen bewusst sein und nicht Anhaften. Alle Sinnesorgane haben ihre entsprechenden Sinnesobjekte, zB Nase - Geruch, Zunge - Geschmack, Haut - Empfinden. Jedes Sinnesorgan muss zu seinem Objekt direkt und unbeeinflusst in Beziehung stehen. Der spirituelle Mensch hält sich daran.
Er stellt sich die Frage nach dem Gesetz. Er findet im Sehen und Erkennen Objekte des Bewusstseins. Das also ist sein Wesen - zu sehen und zu erkennen. Das ist die grundlegende Charakteristik des Bewusstseins. Er wird sehen und erkennen, unabhängig von Lob oder Tadel, Zuneigung oder Abneigung. Lob oder Tadel sind wie morsche Stege, die mit dem Strom des Bewusstseins in Kontakt kommen, sie werden davongeschwemmt.
Kommt der reine Strom des Bewusstseins mit den Leidenschaften in Kontakt, geben diese ihm eine Tendenz. Danach ist das Sinnesobjekt kein reines Objekt mehr, sondern erhält das Merkmal ‚erwünscht’ oder ‚unerwünscht’. Geschmack ist dann nicht mehr rein, sondern köstlich oder fade. Aus dieser Begegnung des Stromes reinen Bewusstseins mit den Leidenschaften wird eine Liebe / Hass Beziehung, das Objekt gilt nun als erwünscht oder unerwünscht. Zustimmung und Missbilligung gehören zusammen, wo Lob ist, ist auch Tadel, weder Liebe, noch Hass können aus sich selbst heraus existieren, sie gehören zusammen, sie sind nicht zu trennen, das eine gibt es nicht ohne das andere.
Um die richtige Beziehung zu den Objekten wiederherzustellen, müssen wir sie von den zuvor angenommenen Tendenzen reinigen und uns künftig aller Bewertungen enthalten. Dies erfordert permanente Achtsamkeit. Freiheit von Zustimmung oder Missbilligung resultiert aus dieser Veränderung der Einstellung, die nicht mit Gleichgültigkeit oder Unachtsamkeit zu verwechseln ist. Im Gegenteil, wer in sich die in ihm wohnende Glückseligkeit entdeckt hat, wird seine Interessen und Anhaftungen gerne verändern.
Preksha Meditation ermöglicht die Erfahrung dieser bis dahin ungekannten Freude. Sobald man den Körper, den Atem oder die feinen inneren Schwingungen wahrnimmt, löst man sich ganz von selbst von der Beschäftigung mit den äußeren Objekten, Raum- und Zeitgefühl verändern sich. Man meditiert ungefähr eine Stunde lang und meint, es seien gerade einmal zehn Minuten gewesen. Mit dem Erwachen des reinen Bewusstseins verändert sich die ganze Welt.
Die spirituelle Wissenschaft ist keine monotone Unternehmung, sondern eher ein Prozess, der große Energien in einem freisetzt. Nur wer die Schwingungen der Lebenskraft im Inneren noch nicht erlebt hat, lässt sich von äußeren Phänomenen in den Bann ziehen und beachtet die subtilen Vorkommnisse im Inneren nicht. Doch sobald der Tag gekommen ist, an dem man die Bewegungen des inneren Meeres wahrnimmt, wird die Einstellung zum Leben grundlegend transformiert, und die Urquelle der Glückseligkeit beginnt zu sprudeln.
Es geht also um die richtige Beziehung zu den Sinnesobjekten und die Transformation der eigenen Interessen, Transformation durch Realisierung der innewohnenden Glückseligkeit. Wer dies ohne Anstoß von außen vollbringen kann, dessen Sinne reinigen sich von selbst. Das ist ein großes Ereignis im spirituellen Leben.