An diesem Morgen freuten wir uns seit dem Aufstehen auf die Interviews. Am Vormittag hatten wir zwischen 09:00 und 11:00 h Zusagen von Muni Mahendra Kumar, Muni Kishan Lal und Muni Kumar Shraman, jeweils zur vollen Stunde Zeit für uns zu erübrigen. Wir waren sehr froh, dass die vielbeschäftigten Mönche bereit waren, unser Treffen in ihren Zeitplan zu integrieren. Ebenso hatten Sadhvi Chaitanya Prabha, Sadhvi Pramukha Kanakprabha und Sadhvi Niyojika Vishrut Vibha zugestimmt, sich für den Nachmittag zwischen 13:00 und 15:00h, wieder zur vollen Stunde, Zeit für uns zu nehmen. Das empfanden wir als gutes Omen, denn für den nächsten Tag war bereits ein Treffen mit unserem Gastgeber, dem Veranstalter der Anuvrat Internationale Konferenz Delhi vereinbart. In 2 Tagen sollte die Konferenz beginnen und es war abzusehen, dass wir dann keine Gelegenheit mehr zu den Interviews hätten.
Muni Mahendra Kumar
Pünktlich um 09:00h erwartete uns Muni Mahendra Kumar an seinem Arbeitsplatz inmitten von Büchern und Texten
Muni Mahendra Kumar fragten wir natürlich nach seiner Arbeit. Er betrachtet es als seine wichtigste Aufgabe, die Bearbeitung der Schriften des Jaina Kanon fortzusetzen. Damit führt er fort, was Acharya Tulsi seit 1954 als dringlich angesehen und begonnen hatte. 1986 stellte das von diesem beauftragte Team aus Mönchen und Nonnen, unter ihnen auch Muni Nathmal, später Acharya Mahapragya, der interessierten Öffentlichkeit eine Auswahl von Werken vor, die von der Originalsprache Prakrit nun in Hindi und Sanskrit Übersetzungen erhältlich und mit erläuternden Anmerkungen versehen waren. Diese Arbeit begleitete Acharya Mahapragya seitdem bis zum Ende seines Lebens. Allerdings hatte er, wenige Monate bevor er Anfang Mai 2010 seinen letzten Atemzug tat, Muni Mahendra Kumar die Leitung der Arbeitsgruppe übertragen. Dieser fragte und fragt sich, weshalb der damalige Acharya ihm diese Aufgabe anvertraut hatte, obwohl er sich noch bester Gesundheit erfreute. Vielleicht hatte er eine Intuition. Acharya Mahashraman, der Nachfolger Acharya Mahapragyas, hatte Muni Mahendra Kumar darin bestätigt, diese Arbeit weiterhin zu leiten und an der Fertigstellung der Übersetzung aller Werke in Hindi und Sanskrit, sowie den erläuternden Kommentaren mitzuwirken. Eine englische Übersetzung der insgesamt 7 Bände des Werkes ist ebenso geplant. Damit sollen diese bedeutenden Beiträge der Jain Heiligen und Philosophen als Bestandteil der indischen Kultur und Tradition erst der zeitgenössischen indischen, später auch der internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, damit die Erkenntnisse der Jain Heiligen und Gelehrten nicht in Vergessenheit geraten. Das Interview wurde in englischer Sprache geführt:
Video: Muni Mahendra Kumar
Nachdem wir uns von Muni Mahendra Kumar verabschiedet und uns bei ihm bedankt hatten für seine detaillierten Ausführungen, schwirrte uns ein bisschen der Kopf. Eine so komplexe Arbeit über mehr als 60 Jahre fortzuführen und angesichts ihrer Komplexität weder zu resignieren, noch aufzugeben, kann einem nur Bewunderung und Hochachtung abverlangen. Muni Mahendra Kumar sagte noch zum Abschied, dass die ökologischen und nachhaltigen Lehren dieser uralten Tradition es verdienen, der Menschheit erhalten zu werden in einer Form, die Menschen des 21. Jahrhunderts auch verstehen können.
Muni Kishan Lal
Muni Kishan Lal war noch im Gespräch mit Besuchern
Als wir zur vereinbarten Zeit bei Muni Kishan Lal ankamen, trafen wir ihn im angeregten Gespräch mit 3 Laien, die mit ihm die Neuauflage der Informationsbroschüre über Jivan Vigyan besprachen, von der bereits ein Probedruck vorlag, der wohl aber noch fehlerhaft war. „Seit 35 Jahren ist Muni Kishan Lal für Jivan Vigyan tätig,“ meinte einer von ihnen anerkennend. Wir waren mit Muni Kishan Lal zur Demonstration zweier Meditationsverfahren verabredet. Mit mir führte er die Arham Meditation durch, die den Klang des Arham Mantras mit einer im Video gezeigten Haltung der Hände, bzw. Finger kombiniert. Diese Meditation stimuliert den Strom der Lebensenergie und wirkt erfrischend und belebend, besonders wenn man nach kurzer Zeit den Herzschlag in den miteinander verschlungenen Fingern spürt. Dazu kombiniert man das Mantra mit dem Atem: Einatmen „Ar“, ausatmen „ham“. Im Video wird das genau gezeigt, eigentlich braucht man zum Verständnis des Verfahrens die Erklärungen in englischer Sprache nicht. Arham ist die Kurzform der ersten Zeile des Namokar Mantra: Namo Arihantanam. Anschließend demonstrierte Muni Kishan Lal mit Christian Geerdes die Mudras für Arihant, Siddha und Acharya, die eine anregende und belebende Wirkung auf Körper und Geist haben.
Video: Muni Kishan Lal
Muni Kumar Shraman
Es war wirklich ein sehr besonderer Vormittag, an dem wir die Mönche trafen. Es schien wie aufeinander abgestimmt, was sie uns erzählten und zeigten. Alles passte zusammen wie Theorie und Praxis, und so war es auch bei unserem nächsten Gespräch mit Muni Kumar Shraman. Ihn kennen wir seit unserem ersten Besuch bei den Terapanthi. Er ist immer in der Nähe Acharya Mahashramans und gehört zu der Gruppe der Mönche, die ihn überallhin begleiten. Er kennt sich mit den inneren Strukturen des Ordens bestens aus und erzählte uns einiges darüber.
Muni Kumar Shraman
Seine Arbeit besteht u.a. in der Organisation der Unterkünfte und des Essens für die Mönche. Jedem Mönch steht der gleiche Platz zum Schlafen und für seine wenigen Habseligkeiten wie Kleidung zum Wechseln und Bücher zu. Das muss bei der Vergabe der Unterkünfte berücksichtigt werden. Dazu erhält Muni Kumar Shraman eine Liste aller Häuser, die für die Unterkünfte der Mönche geeignet sind. Getrennt davon werden die Nonnen in anderen Häusern untergebracht, deren Unterkunft zu den Aufgaben Sadhvi Niyojika Vishrut Vibha gehört. Die Plätze der Mönche werden im Losverfahren vergeben, so gibt es keine Bevorzugung oder Benachteiligung. Natürlich sind manche Plätze beliebter als andere, doch wird immer eine einvernehmliche Lösung angestrebt und auch erreicht. Ebenso wird eine Liste erstellt von den Häusern, in denen die Mönche ihr Essen holen. Wer wann in welchen Haushalten Essen holt, wird nach dem Losverfahren und gemäß dem Rotationsprinzip geregelt, damit niemand übergangen wird. Alle 4 Tage findet eine neue Ziehung statt, so dass alle Mönche mindestens einmal innerhalb dieser Zeit von allen am Losverfahren beteiligten Haushalten mit Essen versorgt werden. Die Mönche in der Umgebung Acharya Mahashramans sind zudem für alle seine Gesundheit betreffenden Aufgaben zuständig. Wenn nötig, sorgen sie dafür, dass ein Arzt kommt und besorgen auch gegebenenfalls die verordnete Medizin. Diese Verantwortung übernehmen sie zusätzlich zu ihren anderen Aufgaben. Muni Kumar Shraman beispielsweise ist der Koordinator für die Internationalen Preksha Meditationscamps, zusammen mit Muni Jay Kumar.
Am Ende des Gesprächs kam Muni Kumar Shraman auf seine Deutschkenntnisse zu sprechen. Als er gerade in den Orden eingetreten war, brachte ihm jemand einige deutsche Floskeln wie „Guten Tag, wie geht es Ihnen? Woher kommen Sie?“ etc. bei. Bis heute erinnert er sich gern daran, wovon man sich im Video überzeugen kann. Am Ende unseres Gespräches äußerte er den Wunsch, dass möglichst viele Menschen aus Deutschland den Sangh besuchen, um sich in Spiritualität, Preksha Meditation und Gewaltlosigkeit von den Mönchen unterrichten zu lassen.
Video: Muni Kumar Shraman
Sadhvi Chaitanya Prabha
Nach einer kurzen Mittagspause eilten wir zu unserem 13.00-Uhr-Termin mit Sadhvi Chaitanya Prabha.
Sadhvi Prafulla Prabha (l) und Sadhvi Himanshu Prabha (m) hatten sie bis zu unserem Treffpunkt begleitet
Wir ließen uns im Hof nieder, wo ein angenehmes Lüftchen die Mittagshitze erträglich machte. Sadhvi Chaitanya Prabha erzählte uns, wie sich durch ihre Sadhvi Diksha ihr Leben verändert hat. 10 Jahre lang beschäftigte sie sich als Samani mit Anekantvad und Jain Yoga, was sie als Lern- und Lehrerfahrung bezeichnet. Sie war an der JVBU Assistenzprofessorin in den Fachbereichen Philosophie sowie Jainologie und Vergleichende Religionswissenschaft. Ihre Arbeit bestand hauptsächlich im wissenschaftlichen Studium der Schriften und der Ausarbeitung von Studientexten für ihre Vorträge auf Konferenzen und vor ihren Studentinnen und Studenten, sowie der praktischen Anwendung im Jain Yoga. Doch fühlte sie sich während ihrer Zeit als Samani von der Praxis der Lehren im Alltag - Bassa Samhiti - weiter entfernt als in ihrem jetzigen Leben als Sadhvi Novizin. Nun wird die Theorie für sie zur Praxis, und das empfindet sie als beglückend. Es erscheint ihr wie eine Befreiung von irdischen Bindungen, sie fühlt sich zunehmend leichter und nimmt wahr, wie sich ihre Wahrnehmung so verändert, dass sie ihr spirituelles Ziel sehr klar vor Augen hat. Sie übt sich darin, ihre Aufmerksamkeit ohne Nebengedanken auf das zu konzentrieren, was sie gerade tut. Als Sadhvi Novizin muss sie noch nicht so viel Verantwortung übernehmen, sondern kann sich vorerst hauptsächlich auf die spirituellen Aspekte des Lebens konzentrieren. Zudem können sich die Novizinnen in einer Gruppe über ihre Erfahrungen austauschen. All das zusammen führt zu einem erweiterten Verständnis dessen, was ihr Leben bestimmt. Sie ist froh darüber, als Samani die Chance bekommen zu haben, sich durch die Beschäftigung mit den philosophischen Texten sozusagen auf ihre Praxis als Sadhvi vorzubereiten. Besonders die Nähe zu Sadhvi Pramukha Kanakprabha, in deren Gruppe sie ist, inspiriert sie immer wieder zur Vertiefung ihrer spirituellen Erfahrungen und ihres Gewahrseins.
Video: Sadhvi Chaitanya Prabha
Sadhvi Pramukha Mahashramani Kanakprabha
Seit mehr als 40 Jahren ist Sadhvi Kanakprabha das Oberhaupt der Sadhvis und Samanis. Sie ist nun unter dem dritten Acharya während ihrer Lebenszeit das Oberhaupt der weiblichen Ordensmitglieder und verkörpert neben Beständigkeit und Zuverlässigkeit auch die spirituellen Einflüsse der drei Oberhäupter des Ordens. Zudem ist sie ein sehr liebenswürdiger und offener Mensch und machte auf mich den Eindruck, so gut wie allen Herausforderungen des Lebens gewachsen zu sein. In ihr vereinen sich Herzensbildung, ein guter Charakter und Weisheit mit hoher Kompetenz und einer akademischen Ausbildung zu Führungsqualitäten, die leider immer seltener werden. Sie ist sprachlich zuhause in den alten und neuen indischen Sprachen, aber nicht in Englisch. Sie ist einer von den Menschen, in deren Gegenwart man sich sofort entspannt und sich wohl fühlt. Zur Erleichterung der sprachlichen Kommunikation übernahm eine junge Nonne aus ihrer Gruppe das Übersetzen.
Sadhvi Pramukha Mahashramani Kanakprabha
Bis vor zwei Jahren leitete Sadhvi Kanakprabha ein Team von Nonnen und Samanis, die an Texten der Agamas arbeiteten. Diese Arbeit hatte sie ihrer Stellvertreterin, Sadhvi Vishrut Vibha, übergeben, um selbst das Team zu leiten, das an Büchern über und von Acharya Tulsi arbeitet, die alle rechtzeitig zu seinem hundertsten Geburtstag fertig sein sollten und auch waren.
Eine Auswahl der Autobiografie Acharya Tulsis, die Sadhvi Kanakprabha auf der Grundlage seiner Tagebücher zusammengestellt hat
Dazu gehören eine Biografie und eine Autobiografie auf der Grundlage seiner 15 Tagebücher, insgesamt 25 Bücher. Daneben ist sie das Oberhaupt von zurzeit ca. 550 Nonnen, 78 Samanis und 50 Mumukshus. Auf meine Frage, wie sie denn ihr immenses Arbeitspensum schaffe angesichts der vielen Menschen, die sie ständig umgeben, lächelte sie und sagte, dass sie ihre Energie von Acharya Tulsi erhalte und darin geübt sei, sich inmitten vieler Menschen konzentrieren zu können und sich glücklicherweise ausgezeichneter Gesundheit erfreue. Zudem brauche sie nicht viel Schlaf. Noch immer ist sie zwischen 03:00 und 03:30h die erste und rezitiert mit 3 Sadhvis ihre Mantras. Bis 22:00h ist sie auf den Beinen, erst dann zieht sie sich zurück. „Jede Seele ist mit unbegrenzten Fähigkeiten ausgestattet, lehrt Mahavira, und er macht dabei keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Egal, ob Mann oder Frau, jeder oder jede kann erreichen, was er oder sie sich vornimmt.“ Zum Abschluss gab sie mir noch schmunzelnd mit auf den Weg: „Das Leben ist wie Eiscreme, genieß‘ es, bevor es schmilzt.“
Video: Sadhvi Pramukha Mahashramani Kanakprabha
Wir machten eine kleine Pause, tranken Wasser und schauten uns in dem Hof um. Da entdeckte mich eine alte Bekannte, die ich anlässlich des Preksha Meditationscamps 2008 in Jaipur getroffen hatte.
Verwandte zu Besuch
Frisches Trinkwasser steht immer bereit
Carla Geerdes und Sarbi Dhardhia aus Cuddalore (Tamil Nadu) tauschen Adressen
Sadhvi Mukhya Niyojika Vishrut Vibha
Sadhvi Vishrut Vibha kam kurz danach von ihrem täglichen Treffen mit Acharya Mahashraman zurück. Obwohl sie nicht viel Zeit hatte, weil überraschend Verwandte, darunter ihre Nichte, zu Besuch gekommen waren, sagte sie das Gespräch mit uns nicht ab. Natürlich versprachen wir, uns kurz zu fassen.
Sie besuchte überraschend mit anderen Verwandten ihre in weltlichen Beziehungen Tante, Sadhvi Vishrut Vibha, und hatte Verständnis für die Unterbrechung durch uns
Sadhvi Vishrut Vibha
Auch Sadhvi Niyojika Vishrut Vibha arbeitet mit in dem Team, das die Agamas aus dem Prakrit in zeitgenössisches Hindi übersetzt, bzw. in klassisches Sanskrit überträgt. Vor kurzem hatte sie die Arbeit am 7. Anga der Agamas (Upāsakadaśāh) abgeschlossen, der sich mit den Aufgaben der Laien befasst. Kurz bevor wir sie trafen, hatte sie damit begonnen, den von Acharya Mahapragya geschriebenen erläuternden Kommentar mit dem Hindi Titel „Phahajan Jain Shravakki“ ins Englische zu übersetzen. Ebenso möchte sie sich Acharya Mahapragyas Sanskrit Literatur vornehmen. Auch sie schafft ihr enormes Arbeitspensum einerseits mithilfe der Energie, die sie von Acharya Mahapragya erhält, wie sie sagte. In seinen letzten Lebensjahren war sie wie eine Tochter mit ihm verbunden und immer in seiner Nähe. „Manchmal,“ erzählte sie, „habe ich den Eindruck, dass er in meiner Nähe ist.“ Andererseits setzt sie ihre Managementfähigkeiten auch für sich selbst ein und meditiert regelmäßig. In ihrer Zeit als Samani hatte sie auch Frankfurt, Idar-Oberstein und Berlin in den 1990er Jahren besucht und dort Preksha Meditation unterrichtet. Leider kannten wir uns zu dieser Zeit noch nicht.