Bevor wir uns auf den Rückweg machten, lenkten unsere Gastgeber unsere Aufmerksamkeit auf einen mit einer offenen Säulenreihe zum Platz vor dem Monolithen begrenzten Gang neben dem Ausgang des Tempels auf dem Vindhyagiri Hügel. In diesem Gang standen Statuen von oder Steinblöcke mit allen Tirthankaras. Den Anfang macht eine gesondert stehende Stele. Im oberen Teil über dem Text mit einer Darstellung Rishabhanathas, des 1. Tirthankara, in Meditationshaltung sitzend, umgeben von einem Nimbus zwischen zwei Fackeln neben seinem Symboltier, dem Stier. Über ihm sind ein Schirm mit 4 Volants, sowie rechts und links davon Sonne und Mond abgebildet. Im Sockel des Steins sind Darstellungen von 3 mythischen Wesen.
Stele mit Abbildung des 01. Tirthankara Rishabhanatha
Der Stele folgen Statuen von Tirthankaras und Heiligen, vor der Statue Bahubalis am Ende findet sich eine Darstellung Kushmandini Devis in Lalit Asana.
23. Tirthankara Parshvanatha, weitere Fotos der Statuen in der Fotogalerie:
Gestärkt und aufgeladen durch den Besuch auf dem Vindhyagiri Hügel machten wir uns auf den Rückweg. Das hieß für Christian Geerdes, sich wieder den vier Trägern anzuvertrauen. Diese starteten im Schweinsgalopp die Treppen hinab, und das, was wir nach der nächsten Biegung von ihrer Last sahen, war nur ein diffuses Schaukeln der Trage. Doch zu hören war einiges Rattern, Klappern und Stöhnen. Bequem war das nicht, aber mit einer heftigen Grippe immerhin kräfteschonend. Die zufriedenen Gesichter der Träger drückten hinterher aus, dass der doppelte Preis angesichts des doppelten Gewichtes der Last als vollkommen angemessen akzeptiert wurde. Am Fuß des Hügels trafen wir uns alle unversehrt wieder, und ich hatte den Eindruck, dass unsere Gebete nicht geschadet haben.
In flottem Galopp ging es mit dem Kopf nach unten wieder hinunter.
Blick aus dem Tragesessel auf zwei der Träger
In einem Gebäude neben dem Ausgang konnten wir uns vom Abstieg verschnaufen und nutzten die Gelegenheit zu einem Rundgang durch die Fotoausstellung in der geräumigen Halle. Die Fotos zeigten wichtige Ereignisse in der Entwicklung der Institutionen von Shravanabelagola und ihres Initiators, Bhattarak Charukeerthy. Ohne seine Impulse, die Pilgerstätte für die nationalen und internationalen Besucherströme zu öffnen und das Studium der Alten Schriften in der Originalsprache Prakrit zu ermöglichen, wären bestimmt auch keine Träger vor Ort gewesen, von der Treppe einmal ganz zu schweigen.
Bhattarak Charukeerthy bekleidete bereits in jungen Jahren den verantwortungsvollen Posten des Bhattarak von Shravanabelagola
NIPSAR Absolventen von 2008, darunter auch unser Freund Prof. Hampana Nagarajaiah, seine Frau Prof. Kamla Nagarajaiah (in der Mitte) und Dr. Shanti (2. von links)
Prof. Klaus Bruhn (2006) und Prof. Willem Bollée (2005) nehmen 2008 die Prakrit Jnanabharati International Awards in Berlin entgegen, zu deren Übergabe Prof. Hampa und Dr. Prem Suman Jain extra nach Berlin gereist waren.
Fotos aller Absolventen der NIPSAR Prakrit Studien von 2006 bis 2013 sind hier zu bewundern.
Nach einem frühen Mittagessen fuhren wir in Richtung Gästehaus, baten aber darum, vor einem Medikamentenladen anzuhalten. Die Grippe zeigte inzwischen so heftige Symptome, dass dringender Handlungsbedarf bestand. In Indien sind auch Antibiotika frei verkäuflich, also ohne ärztliches Rezept erhältlich. Der junge Ladengehilfe holte nach zeichensprachlicher Erklärung ein Antibiotikum, und als wir noch zögerten, erklang eine Stimme hinter uns. Auf Englisch stellte sich ein Arzt uns vor und bestätigte das Angebot des Verkäufers. Auch das mir empfohlene Mittel zur Stärkung der Abwehrkräfte hieß er gut. Wir sahen kaum eine andere Wahl und erstanden die Medikamente. Zur Nachahmung ist das zwar nicht zu empfehlen, doch bei uns stellte sich die gewünschte Wirkung ein. Vielleicht, weil sich in Shravanabelagola zu Füßen des Herrn des Hügels und in unmittelbarer Nähe des Bhattarak von Shravanabelagola die Dinge anders entwickeln als sonst.
Auf dem Weg ins Gästehaus sahen wir diesen Bauern mit seinem geschmückten Ochsen.
Nach einer erholsamen Mittagsruhe - den Chandragiri Hügels konnten wir aus zeitlichen Gründen nicht mehr besuchen - wurden wir zum Höhepunkt unseres Besuches abgeholt. An diesem Nachmittag hatten wir Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit Bhattarak Charukeerthy im Jain Mutt von Shravanabelagola. Mit Jain Mutt wird ein Ort bezeichnet, an dem ein spirituelles Oberhaupt der Jaina lebt und lehrt. Auch die Studenten leben hier, und als wir den Hof des Gebäudekomplexes betraten, hatten wir den Eindruck, dass alles hier voller vibrierender Lebenskraft ist. Die Atmosphäre war quirlig und ruhig zugleich, vielleicht vergleichbar mit einem Ameisenhaufen in der Mittagshitze. Sobald wir in der großen Versammlungshalle im ersten Stock des Gebäudes angelangt und zu unseren Plätzen geleitet worden waren, erhoben sich alle Anwesenden. Bhattarak Charukeerthy betrat den Raum und begab sich zu seinem Platz.
Mitarbeiter, Leiter und Studenten des NIPSAR sowie Vertreter der Karnataka Jain Assoziation auf dem Weg zur Versammlungshalle im ersten Stock.
Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.
Wir saßen in einiger Entfernung zur Rechten des Bhattarak.
Karmayogi Swasthishri Charukeerthy Bhattaraka Mahaswamiji
Blick auf die Zuhörer
Prof. Hampana Nagarajaiah stellt uns dem Pontifex offiziell vor
Bhattarak Charukeerthy
Der Bhattarak von Shravanabelagola
Nachdem Prof. Hampa uns offiziell vorgestellt hatte, ermunterte uns Bhattarak Charukeerthy sehr freundlich dazu, Fragen zur Sprache zu bringen, über die wir an diesem Ort sprechen möchten. Denn, so fuhr er fort, die Frage sei als Grundlage für alle Antworten so wichtig. In seiner Gegenwart ist es auch nicht schwer, Grundlagen für Antworten zu finden, denn seine offene Art und die unglaubliche Leichtigkeit seiner Präsenz sind wunderbar inspirierend. So ging es direkt zur Sache, wir fragten nach dem Konzept von Gott im Jainismus. Durch Purifikation, die Reinigung von karmischen Einflüssen, kann jede Seele rein und vollkommen werden und Moksha erlangen, d.h. Erlösung aus dem Kreis von Geburt und Tod. Als nächstes wollten wir etwas über die Agamas wissen, wozu Dr. Prem Suman Jain uns sagte, dass die Heiligen Mündlichen Überlieferungen vom Standpunkt der Digambara Tradition aus durch Hungersnöte verloren gegangen sind und man deshalb später angefangen habe, das noch vorhandene Wissen aufzuschreiben. Auf die Frage nach der Wahrnehmung der Realität sagte der Pontifex, dass wir immer nur das Äußere eines Dinges, abhängig von unserem Standpunkt sehen. Wie etwas an und für sich existiert (Kant), entzieht sich unserer Kenntnis, da wir das Innere von etwas Existierendem auf diese Weise weder schauen, noch wahrnehmen können. Unsere Wahrnehmung von etwas ist daher immer unvollständig und reflektiert nie die gesamte Realität.
Wir bekamen Bücher und Schals überreicht.
Im Anschluss an diesen ereignisreichen Nachmittag wurde Süßes zur Feier des Tages an alle Anwesenden verteilt. Besonders die Studenten waren darüber sehr zufrieden. Wir freuten uns über die Bücher und die schönen Schals. Unsere Freunde aus Bangalore erboten sich, die Geschenke für uns dorthin mitzunehmen und für uns zu verwahren, bis wir von der am nächsten Morgen beginnenden kleinen Rundreise wieder nach Bangalore kämen.
Wie alle jungen Menschen, freuten sich die Studenten nach dem Stillsitzen über die Möglichkeit zur Bewegung.
Schon war es wieder Zeit zum Abendessen, das wir immer hier einnahmen.
Danach ein Abschiedsfoto mit Dr. Shanti, dem Hausmeister der Anlage und dem Fahrer Prof. Hampas, der uns alle immer gefahren hatte. Am nächsten Morgen sollte es weitergehen.