Hätte ich doch bloß nicht gelacht, als mir eine Freundin erzählte, dass es geregnet habe, als sie in Jaisalmer war vor einigen Jahren. Das dachte ich am Vorabend, als sich die am späten Nachmittag aufziehenden grauen Wolken schließlich doch noch ganz ordentlich über Jaisalmer abregneten und von neuen verdrängt wurden. Die Freundin war auch im Februar dort gewesen und reiste nach 2 Regentagen weiter. Doch wir machten unverzagt Pläne für den nächsten Vormittag, an dem wir die Jaina Tempel im Fort besichtigen wollten. Jag, der in Jaisalmer geborene und aufgewachsene Besitzer des Hotels Australia Blue International, in dem wir während unseres Jaisalmer Aufenthaltes wohnten, bestärkte uns darin und prognostizierte sogar wieder Sonnenschein ab Mittag. Der Regen hielte sich nicht lange in Jaisalmer, und in manchen Jahren mache er sogar einen großen Bogen um die Stadt. Deshalb hielt er einen Aufenthalt in den Tempeln unter diesen Umständen für sehr angemessen. Auf seine Empfehlung hin stellten wir uns früh den Wecker, damit wir vor 08:30h mit der Motorrikscha bis zum zentralen Platz ins Fort hinauffahren konnten, an dem auch sein Restaurant „8th of July“ liegt. Der Fußweg von dort zu den Tempeln ist nicht weit und der Weg zu den Tempeln leicht zu finden.
Der Platz vor dem Rani Ka Mahal, Palast der Königin, war noch nicht sehr belebt an diesem frühen Morgen. Hier ist Anlaufstelle und Sammelpunkt für alle Reisegruppen, die das Fort und die Jaina Tempel besuchen wollen. Doch um 08:15h waren wir die frühen Vögel. Nach einem Wachmacher-Kaffee auf dem Dach eines Cafés mit Aussicht auf die trüben Wolken machten wir uns auf den Weg. Die meisten Läden waren noch geschlossen, doch vor dem Eingang in den Tempelkomplex näherte sich uns ein drahtiger Mann mittleren Alters, der sich uns als Vinod Jain vorstellte und seine Dienste als Führer durch den Tempelkomplex anbot. Unsere Schuhe konnten wir bei einem mit ihm befreundeten Ladenbesitzer abstellen, und auf die Information, dass wir Jaina sind, bedeutete er dem Ladenbesitzer mit einer verneinenden Geste, dass wir wohl nicht zu seinen Kunden gehören würden. Letzterer blieb dennoch sehr freundlich. Den kurzen Weg bis zum Eingang des Tempels gingen wir auf Strümpfen, und waren froh, dass unsere Schuhe in dem Laden trocken blieben.
Eingang zum Chandraprabha Tempel, dem ersten des Tempelkomplexes
Mit dem Anblick des Tempeleingangs, der die Besucher dazu ermahnt, die weltlichen Gedanken und Sorgen vor dem Tempeleingang zurückzulassen, geschah das auch uns. Wir konzentrierten uns auf das, was vor uns lag. Der Tempelkomplex im Jaisalmer Fort besteht aus 7 Tempeln, die verschiedenen Tirthankaras geweiht sind:
- Chandraprabha, 08. Tirthankara
- Adinatha, 01. Tirthankara
- Kunthunatha, 17. Tirthankara
- Parshvanatha, 23. Tirthankara
- Shitalanatha, 10. Tirthankara
- Shantinatha, 16. Tirthankara
- Sambhavanatha, 03. Tirthankara
Die Svetambara Jain Tempel sind zwischen dem 12. und 17. Jahrhundert entstanden und während dieser Zeit auch kontinuierlich ausgebaut worden. Jaisalmers Aufstieg zur Handelsmetropole am Rand der Wüste Thar wurde durch den Handel über den Landweg von allen Teilen des indischen Subkontinentes mit Persien, Arabien, Ägypten und Afrika begründet. Durch die Karawanen zu Reichtum gelangte Jaina Kaufleute finanzierten die Bhati Rajput Herrscher von Jaisalmer und konnten sozusagen im Gegenzug dafür ihre Religion ungehindert ausüben und im inneren Bereich des Forts ihre Tempel bauen. In den Tempeln waren und sind viele wertvolle Skulpturen aus poliertem Marmor und Sandstein, mit Gold, Silber und Edelsteinen geschmückt.
Blick vom Eingang auf Garbhagriha des Chandraprabha Tempels
Shvetambara Jain Nonne vor dem Garbhagriha des Chandraprabha Tempels
Wir betraten den Tempelkomplex durch den Eingang des Chandraprabha Tempels. Dank der frühen Stunde bevölkerten noch keine Reisegruppen die Eingangshalle, in der ein heimeliges Halbdunkel herrschte. Vor dem Garbhagriha verneigte sich gerade eine Svetambara Nonne vor dem 08. Tirthankara Chandraprabha, dem dieser Tempel geweiht ist. Die freundliche Nonne hatte die frühe Stunde für ihre Andacht in dem Tempel gewählt und entfernte sich rasch, nachdem sie mit uns gesprochen hatte.
Der 08. Tirthankara Chandraprabha
Gang hinter Garbhagriha
Der Chandraprabha Tempel ist der erste der 7 Tempel, die alle durch ein verwirrendes System von Kolonaden und Gängen miteinander verbunden sind. Durch Umrunden des Garbhagriha von links nach rechts entlang der umgebenden Gänge bezeugt man Verehrung und Respekt vor den Tirthankaras. Zudem soll es „Glück bringen“. Im Chandraprabha Tempel sind entlang des Ganges vergitterte Verliese eingelassen, in denen Skulpturen von Tirthankaras aufgestellt sind. Wir erfuhren von unserem Führer Vinod, dass in dem gesamten Tempelkomplex ca. 6666 Statuen und Statuetten aufgestellt sind. Außerdem seien in Jaisalmer früher 2200 Jaina Familien ansässig gewesen. Überhaupt überhäufte uns Vinod mit einer Vielzahl von „Touristeninformationen“, konnte uns jedoch auch nicht sagen, in welchem der 7 Tempel wir uns gerade befanden, „Later, later… Come on now“ (Später, später, jetzt kommt erst einmal weiter).
Blick auf einen mit feinsten Steinmetzarbeiten geschmückten Gang, dahinter eines der Verliese mit Statuen und Statuetten
Der 23. Tirthankara Parshvanath durch die Gitterstäbe fotografiert
Die Fülle der Darstellungen sowie das heimelige Halbdunkel waren einfach sehr beeindruckend und schufen ein Bewusstsein für die Besonderheit des Ortes. Allerdings sollte man darauf vorbereitet sein, dass man es hier mit einer Touristenattraktion zu tun hat und einem keine Zeit für eigene Beobachtungen oder Fragen bleibt. Ich stellte also meine Ohren unserem Führer Vinod zur Verfügung, während Christian Geerdes versuchte, die wunderbare Atmosphäre des Ortes mit der Kamera festzuhalten. Jaisalmer ist neben Ranakpur, Mount Abu und Palitana einer der 4 heiligen Orte der Jaina und angesagtes Ziel für Pilgerfahrten. Auch für den internationalen Tourismus ist Jaisalmer eine verlässliche Größe. Das führt zur Überschneidung zweier Ströme von Reisenden, was bei uns den Wunsch entstehen ließ, diesen wunderbaren Ort hoch über der Stadt noch einmal mit dem heutigen Wissenstand und den richtigen Referenzen zu besuchen. In der Foto-Slide-Show findet sich eine große Anzahl von herrlichen Tempelmotiven.
Ab 09:00h kommen die Reisegruppen, Blick vom Obergeschoss nach unten
Blick vom Obergeschoss in die Kuppel
Nahaufnahme Kuppel
Wir hatten gerade das Erdgeschoss verlassen, als die Halle des Chandraprabha Tempels sich mit Reisegruppen füllte. Unser Zeitvorteil für unverstellte Fotomotive betrug also fast 30 Minuten, ein gewichtiger Grund für zügiges Durchqueren dieses gewaltigen Gesamtkunstwerkes der Jaina Tempelarchtitektur. Atemberaubend schön, vollendet gestaltet, jede einzelne Ranke eines Bogens schon ein Meisterwerk der Steinmetzkunst.
14 der 108 Parshvanath Skulpturen im Obergeschoss
Im Obergeschoss des Chandraprabha Tempels sind entlang der Wände und in Nischen 108 Darstellungen des 23. Tirthankara Parshvanath aufgestellt. Sie alle sind aus feinst poliertem Marmor gefertigt und reflektieren jeden auf sie fallenden Lichtstrahl, als sei er ein blitzender Stern. Alle Statuetten sind katalogisiert, und auf dem Mauerwerk sind ihre Kennzeichnungen für Größe, Jahreszahl und Stifter vermerkt.
Darstellung des 01. Tirthankara Rishabnatha
Auch diese Darstellung des 01. Tirthankara Rishabnatha findet sich im Obergeschoss des ersten Tempels. Sie fällt nicht nur durch die Vergoldungen auf, sondern auch durch die fröhliche Farbgebung. Wie die Skulpturen insgesamt in dem Jaisalmer Jaina Tempelkomplex sind fast alle Skulpturen sehr gut erhalten und scheinen dem Zahn der Zeit zu trotzen. Nach dem Besuch des Unter- und Obergeschosses gingen wir wieder hinaus, um uns auch die anderen Tempel anzuschauen. Um diesen Teil des Tempelkomplexes zu betreten, mussten wir wieder auf die Straße. Hier eine Auswahl der Schönheiten, die wir bewundern durften.
Vermutlich der 22. Tirthankara Neminatha
Blick durch eine Steingirlande (torana) auf Tirthankara Darstellungen
Säulengang mit Tirthankara Darstellungen
Tirthankara Darstellungen
Garbhagriha mit Tirthankara Darstellungen
Unter dem Sambhavatempel befindet sich die Jin-Bhadra-Suri-Gyana-Bhandar-Bibliothek mit Schriftstücken auf Palmblättern, Miniaturen und Floralmotiven. Sie gehört nicht zum Standardprogramm, wird aber auf besonderen Wunsch auch gezeigt. Wir hatten Glück und konnten einige Blicke darauf werfen.
Miniaturen mit Szenen aus dem Leben der Tirthankaras und kommentierendem Text
Miniaturen mit Tirthankaradarstellungen und floralen Motiven
Auschnitt oben
Ausschnitt unten
06. Tirthankara Padmaprabha
23. Tirthankara Parshvanath (vorne links stehend, im Garbhagriha dahinter sitzend)
Inzwischen herrschte ansehnliches Gedränge
16. Tirthankara Shantinatha
23. Tirthankara Parshvanath (Shankat Haran Parshvanath), Symbol für Gelingen & Glück im Familienleben
Blick zurück vom Ausgang
Inzwischen war es Mittag geworden und nach dem aus Kaffee bestehenden Frühstück meldete sich schlicht der Hunger. Unseren Zeitvorteil von einer halben Stunde wollten wir nun auch bezüglich eines Restaurantplatzes nutzen und eilten schleunigst zum Restaurant „8th July“. Dort konnten wir nicht nur an einem Tisch auf der Terrasse mit schöner Aussicht Platz nehmen, sondern hatten auch die freundliche Bedienung und Auswahl, die man nach so einem ereignisreichen Vormittag als wohltuend empfindet. Wie angekündigt war die Sonne inzwischen hinter den Wolken hervorgekommen, und Jaisalmer zeigte sich wieder einmal als „Goldene Stadt“.