Die Statue des Bahubali auf dem Vindhyagiri Hügel in Shravanabelagola ist mit 17 Metern weltweit der höchste zu einem Kunstwerk gestaltete Steinblock, ein Monolith. Im 10. Jahrhundert u.Z. wurde dieses Kunstwerk in Karnataka von einem Jaina Herrscher in Auftrag gegeben und auch fertiggestellt. Im August 2007 wurde der Monolith des Gommateshvara, des Herrn des Hügels, wie Bahubali auch bezeichnet wird, an die erste Stelle von 7 Wundern in Indien von den Lesern der Zeitung „Times Of India“ gewählt. Für viele ist die Statue des Bahubali, Sohn des 1. Tirthankara Rishabha, inzwischen zum Inbegriff für die Lehre von der Abkehr von der Gewalt geworden. Bahubali beging keinen Brudermord, verzichtete auf die ihm zustehende weltliche Macht und wählte stattdessen das Leben eines Mönches. Ein Jahr lang stand er in tiefer Meditation unerschütterlich in einem Ameisenhaufen, und sogar Pflanzen rankten sich an ihm empor, so ausdauernd meditierte er.
Schon sehr viel ist über den „Herrn des Hügels“ geschrieben worden, und unbestritten ist es etwas ganz Besonderes, eine so berühmte Pilgerstätte zu besuchen. Natürlich erlebt jeder hier auch seine eigene Geschichte, bzw. stellt einen Bezug zu sich her. Schon bei unserer Ankunft hatten wir die langen Schlangen der Besucher sich den Hügel hinaufwinden sehen, und am Morgen des 15. Januar wollten wir uns selbst dort einreihen. Christian Geerdes hatte eine sehr unruhige Nacht verbracht, hohes Fieber und krampfartige Hustenanfälle hatten ihm die Nachtruhe geraubt. Eigentlich sollte es kurz vor Sonnenaufgang losgehen, doch es kam etwas dazwischen, sodass wir später als geplant in das Auto stiegen, das uns zum Fuß des Vindhyagiri Hügels bringen sollte. Besser, wir sparen uns die Kräfte für den Aufstieg, hatten unsere erfahrenen Gastgeber gesagt. Auf der Fahrt zum Fuß der Treppe, die den Aufstieg doch erheblich erleichterte, hatte Christian Geerdes wieder einen heftigen Hustenanfall. Als wir am Ausgangspunkt für den Aufstieg angelangt waren, erwähnten unsere Gastgeber die Möglichkeit, sich hinauftragen zu lassen. Besser so, als gar nicht, immerhin eine Möglichkeit, trotz englischer Grippe aus Jaipur auf den Hügel zu kommen. Vier (!) kräftige Männer kamen mit einem Tragesessel, der offensichtlich für kleinere Personen vorgesehen war und sonst von zwei Männern geschultert wurde. Die Vier eilten im Laufschritt mit ihrer Last los, und wir konnten sie erst bei ihrer ersten Rast einholen.
Zwei schlanke Träger sind zu wenig, …
…vier kräftige Männer mussten gefunden werden.
So weit waren die Träger schon vor uns!
Bis hierher ist zwar alles gut gegangen, doch mit dem Kopf nach unten einen Berg hinauf getragen zu werden, war eine neue Erfahrung!
Zu viert stiegen wir auf den Hügel: Prof. Hampana Nagarajaiah, Dr. M.A. Jayacandra, verantwortlich für das NIPSAR Übersetzungsprojekt, Dr. Shanti und ich. Auch wir rasteten am ersten Torbogen und schauten uns um. Es bot sich ein atemberaubender Blick auf die Landschaft und den Chandragiri Hügel gegenüber.
Blick auf den Chandragiri Hügel
Tyagada Kamba heißt dieser offene, einstöckige Pavillon, in dessen Mitte eine Säule mit kunstvollen Steinmetzarbeiten steht.
Von hier aus soll ein Minister des Königs im 10. Jahrhundert u.Z. zuerst Almosen und später seinen gesamten weltlichen Besitz verteilt haben. In seiner ursprünglichen Form bestand der Pavillon nur aus den vier Säulen und der fünften in der Mitte. Die Inschriften auf der Mittelsäule wurden 200 Jahre später erneuert. Das Obergeschoß wurde erst 500 Jahre später hinzugefügt, die Steinmetzarbeiten des Unter- und Obergeschosses stammen also aus verschiedenen Zeiten.
Fast geschafft! Dr. Shanti und Prof. Hampa haben nur noch wenige Stufen vor sich bis zum Eingang des Tempels.
Die Göttin Gulab Kai Ajit soll an dieser Stelle gestanden und die Barmherzigkeit ihrer Anhänger geprüft haben. Scheinbar bat sie um Almosen, wurde jedoch von vielen abgewiesen und verhöhnt.
Aus Beschämung darüber, die Göttin nicht erkannt zu haben, wurde diese Statue von ihren Anhängern errichtet. Nicht nur, um die gekränkte Göttin zu versöhnen, sondern auch als Mahnung, Menschen ungeachtet ihrer sozialen Stellung mit Respekt und Toleranz zu begegnen.
Inzwischen hatten wir alle Stufen erklommen und waren in dem Tempel angekommen, wo Christian Geerdes schon auf uns wartete. Zuerst sahen wir Säulengänge, die den quadratisch angelegten Platz vor dem berühmten Monolithen einfassen. Von ihnen gingen Kammern oder Nischen ab, in denen Statuen von Göttern und Tirthankaras standen.
Statue des 08. Tirthankara Chandranatha oder Chandraprabha
Statue des 16. Tirthankara Shantinatha
Göttin Ambika
Die Göttin Ambika, Schutzpatronin der Mangobäume, sitzt in Lalit Asana (das linke Bein angewinkelt, das rechte ist lose ausgestreckt, typische Haltung für die Darstellung von Göttinnen) mit einem Gebinde aus Mangozweigen in ihrer Rechten und einer Frucht in ihrer Linken. Neben ihrem rechten Fuß sitzt ein Löwe, neben ihrem linken sind ihre beiden Söhne. In der Mitte ihrer Krone sieht man einen Tirthankara. Ambika ist hier mit zwei Armen dargestellt, es gibt auch Darstellungen von ihr mit mehreren Armen.
Gegenüber dem Monolithen betritt man den Platz davor.
Yakshini, Begleitfigur zu Füßen des Gommateshvara
Sich einem weltbekannten Kunstwerk persönlich zu nähern, ist etwas Besonderes und hat auch immer etwas Erhabenes. Zu Füßen der Statue des Bahubali war das nicht anders. Besonders ist uns die von der Darstellung ausgehende Ruhe und Zeitlosigkeit in Erinnerung, das war gleichsam ein Blick in die Ewigkeit. Der mit Sitzgelegenheiten ausgestattete Platz vor der Statue war noch ziemlich leer, nur einige safrangelb gewandete Pujaris waren zu ihren Füßen sichtbar.
Die Statue des Bahubali gegenüber dem Tempeleingang, der weltberühmte Monolith
Allmählich versammelten sich mehr Menschen vor der Statue,…
…und einige Pujaris schienen eine Zeremonie vorzubereiten.
Seit mehr als 1000 Jahren schaut Bahubali von der Spitze des Hügels ins Land.
Blick vom Obergeschoß auf den Monolithen
Zu unserem Glück konnten unsere Gastgeber dafür sorgen, dass die Tür zum Dach des Tempels für uns geöffnet wurde. Von dort war nicht nur der Blick auf den Monolithen besonders schön, sondern es ergab sich für uns auch noch eine besondere Begegnung. Von einer Menschengruppe umringt, saßen zwei Mönche nebeneinander und unterhielten sich wie alte Bekannte. Was sie wohl auch waren, wie mir später der eine von ihnen erzählte. Der eine war ein Svetambara Mönch, der andere ein Digambara Mönch. Die Begegnung der beiden Heiligen wurde durch aufmerksam Fragende zu einer Art Vorlesung im Freien. Nachdem die Mönche sich ausgetauscht hatten, löste sich die Gruppe auf.
Die Mönche wandten sich zu uns um und gaben uns ihren Segen.
Nach ihrem Gespräch erhoben sie sich für ein gemeinsames Foto.
Wenig später hatte ich noch Gelegenheit zu einem Gespräch mit einem der Mönche.
Beim Pujari vor dem Monolithen
Als wir wieder unten waren, war die Puja bereits in vollem Gang. Der Pujari beträufelte alle, die sich näherten und eine kleine Geldspende überreicht hatten, mit geweihtem Wasser und gab jedem eine Kokosnuss, die er mit einem roten Punkt aus Safranpaste versehen hatte. Dazu erklangen fröhliche Musik und auch Gesang. Viele klatschten den Rhythmus mit. Es war eine Zeremonie der Freude, dem Erhabenen so nahe sein zu dürfen.