Gegen 10:30h holte unser Freund Prof. Dr. Nagarajaiah Hampana uns mit seinem Fahrer und seinem geräumigen Auto ab, und bald darauf ging es los. Der Fahrer kannte sich gut aus und fuhr uns zügig und sicher durch die engen Straßen der Stadt zur Fernstraße NH48 nach Mangalore, über die Shravanabelagola von Bangalore aus am besten zu erreichen ist. Die Fahrt durch die Stadt führte sogar teilweise durch Altstadtviertel, die von den großen Bauprojekten noch nicht betroffen waren, wodurch wir einen Eindruck vom ursprünglichen Aussehen der Stadt bekamen. Es war erstaunlich wenig Verkehr an diesem Dienstag, und wir erreichten unser Ziel gegen 13:30h. Kurz vor Shravanabelagola stieg Dr. Shantinath Shirahatti vom National Institute of Prakrit Studies And Research (NIPSAR) ins Auto, den wir kurz Dr. Shanti nannten. Er war damit betraut worden, sich um uns zu kümmern und uns während der Tage unseres Aufenthaltes in Shravanabelagola zu begleiten. Nachdem wir dort angekommen waren, führte er uns zu unserer Unterkunft im ersten Stock eines Gästehauses und bat uns darum, unsere Sachen nur abzustellen und sogleich bereit zu sein für ein bevorstehendes außergewöhnliches Ereignis. Im Erdgeschoß unserer Herberge trafen wir dann alle wieder zusammen, und es hieß, und wir würden sehr bald Seiner Heiligkeit Karmayogi Swasthishri Charukeerthy Bhattaraka Mahaswamiji begegnen.
Eingang des Bhanadara Basadi Tempels
Kurz danach fuhren wir schon los. Unser Ziel war der Bhanadara Basadi Tempel, erbaut im Auftrag eines Jaina Herrschers, fertiggestellt im Jahre 1157 u.Z. Wir näherten uns einer weiträumigen Anlage von der Seite, wo sie durch die rückwärtigen Mauern angegliederter Gebäude nicht sofort als Tempel zu erkennen ist. Erst als wir vor dem Eingang standen, erkannten wir, dass es sich um einen Tempel handelt. Frisch mit Kreide gemalte Yantras vor dem Eingangstor ließen uns bereits ahnen, dass hier etwas ganz Besonderes stattfinden würde. Unser Freund Prof. Hampa eilte voraus, nachdem er uns bedeutet hatte, in der Vorhalle zu warten. Schon während der Fahrt war uns aufgefallen, dass er öfter erleichtert auf die Uhr schaute und sich freute, dass wir gut in der Zeit waren. Wir hatten keine Ahnung, warum.
...während wir die Rangolis bewunderten...
...und dann die Vorhalle betraten.
Doch als unser Freund wiederkam, erklärte er uns, welch besondere Ehre uns zuteil würde. Seine Heiligkeit Karmayogi Swasthishri Charukeerthy Bhattaraka Mahaswamiji (kurz: Bhattarak) zelebrierte zu Ehren unserer Ankunft ein Ritual, das höchstens zweimal jährlich in dem alten Tempel vollzogen wird. Es ist die Abhisheka aller 24 Tirthankaras. Die eindrucksvoll aufgereihten 24 Tirthankaras werden nacheinander geehrt, indem für jeden von ihnen das ihm zugeordnete traditionelle Heilige Mantra rezitiert und ein jeweils vor ihm platzierter goldener Teller von einem Pujari rituell bewegt wird.
Hinter den Säulen erblickten wir Seine Heiligkeit Karmayogi Swasthishri Charukeerthy Bhattaraka Mahaswamiji, der konzentriert einen Text studierte...
...und direkt auf die Statuen der Tirthankaras mit den vor ihnen platzierten goldenen Tellern und rituellen Gegenständen schaute, wenn er aus dem Text aufblickte.
Ein Pujari überprüfte die Anordnung der Devotionalien.
Der Bhattarak sprach Mantras, und wir sahen, dass vor allen Tirthankarastatuen Teller mit Früchten und devotionalen Gegenständen aufgestellt waren und silberne Glocken an einer Blumengirlande hingen. Als wir kamen, ging der Pujari die Reihe der Tirthankaras ab und schaute, ob die ihnen geweihten Gegenstände und Gaben in der richtigen Anordnung vorhanden waren. Auf dem Weg ins Innere des Tempels hatte uns Prof. Hampa noch zugeflüstert, dass diese Abhisheka besonders aufwändig sei wegen der Edelsteine, die jedem Tirthankara präsentiert würden, und wegen der devotionalen Gegenstände, die aus Gold gefertigt und zudem mit Juwelen besetzt seien.
Prof. Hampa zeigt uns einen der goldenen Teller mit Früchten und Devotionalien aus der Nähe.
Hinter den Tellern silbernen Krüge
Prof. Hampa während der Abhisheka
Auf den Tellern aus purem Gold liegen neben den lampenförmigen Devotionalien mit Edelsteinen jeweils eine Kokosnuss und Orange, Bananen, Äpfel und kleine weiße Blütenzweige. Zudem steht jeweils ein silberner Krug, an dessen oberem Rand eine mit einer Rosenblüte geschmückte und von einem Palmblatt umwickelte Kokosnuss zu sehen ist. Prof. Hampa war kurz verschwunden, kehrte aber nach kurzer Zeit zu unserer Überraschung in das safrangelbe Gewand eines Pujari gehüllt zurück und führte selbst die Puja durch. Dazu rezitierte der Bhattarak nach einem abstimmenden Blick mit Prof. Hampa die Heiligen Texte in atemberaubender Geschwindigkeit, aber dennoch sehr klar verständlich, selbst wenn man die Worte nicht versteht. Prof. Hampa hatte uns vorher gebeten, den Bhattarak nicht anzusprechen, während er die Mantras rezitiert, da diese Rezitation ein Höchstmaß an Konzentration verlangt. Das erklärte und verstand sich von selbst während der Zeremonie.
Prof. Hampa und Seine Heiligkeit nach der Abhisheka
Nachdem allen Tirthankaras die Verehrung bezeugt worden war, bedeutete man uns, den Tempel zu verlassen. Die Puja dauerte zwar noch an, doch wir wurden schon ungeduldig zum Mittagessen erwartet. Vor dem Gebäude trafen wir Prof. Hampa wieder und hatten Mühe, unseren Eindruck in Worte zu fassen. Das Gesehene hatte uns mitgenommen und tief berührt, und die Abhisheka aller 24 Tirthankaras kommt uns noch sehr oft in den Sinn als das besondere Ereignis, als das sie sich schon im Moment des Erlebens zeigte.
Prof. Hampa im Pujagewand nach der Abhisheka vor einem Bildnis der Padmavati im Tempel
Beim Hinausgehen bemerkten wir erst, dass auch der Boden des Tempels mit Rangolis verziert worden war.
Unsere kleine Gruppe beim Verlassen des Tempels, Dr. Shantinath Shirahatti im Vordergrund.