Das Neue Jahr hatte gerade erst begonnen und fühlte sich noch fremd an beim Schreiben der Jahreszahl, da packten wir schon unsere Koffer für vier Wochen Indien. Vor dem ersten Wochenende des Neuen Jahres landeten wir am Freitag, dem 03. Januar morgens gegen 07:30 in Delhi. Bei der Ankunft fehlte der übliche „Delhi-Geruch“, das fiel uns auf, aber es war trotz des um diese Jahreszeit üblichen Morgennebels hell mit Aussicht auf einen sonnigen Tag. Nachdem wir das Flughafengebäude verlassen hatten, schauten wir uns suchend nach jemandem um, der uns vielleicht abholen würde. Ein junger Mann namens Navrathan, den wir vier Jahre zuvor schon einmal in Sri Dungargarh getroffen hatten, tauchte aus der Menge der Wartenden auf und hieß uns lächelnd willkommen. Unser Freund Swami Dharmananda hatte ihn gebeten, uns mit einem Mietwagen plus Fahrer am Flughafen zu erwarten, weil unsere Ankunftszeit genau in seine morgendliche Meditationsstunde fiel. Immer noch führt er jeden Morgen gegen 05:30h und jeden Abend gegen 20:30h für alle Interessierten kostenlose Meditationsstunden durch, egal, welchem Glauben oder Nicht-Glauben sie anhängen. In diesem Jahr wird er in sein 80. Lebensjahr eintreten, wie er in einem Telefongespräch kurz vor dem Jahreswechsel sagte. Seit seinem 21. Lebensjahr praktiziert er Yoga, was die indische Regierung vor 6 Jahren mit der Verleihung des Titels „Von der Regierung der Indischen Union anerkannter, zertifizierter Yogameister“ honorierte. Seit 1975 folgte er ohne Zögern der Empfehlung seines Acharya, der 9. Terapanth Acharya Gurudev Tulsi, fortan ein spirituelles Leben zu führen und sich für die Verbreitung der Preksha Meditation einzusetzen. Auch wir kamen mit ihm durch die Preksha Meditation in Kontakt. Doch Menschen wie Swami Dharmananda gibt es kaum noch im Indien des 21. Jahrhundert. Nicht nur das, sie scheinen auch nicht mehr die Wertschätzung zu erfahren, die sie verdienen, können doch ihre Erfolge nicht im Anhäufen von Rupien oder Ruhm beziffert werden.
Auf dem vertrauten Weg vom Flughafen zum Kendra registrierten wir Veränderungen in Form fertiggestellter Bauvorhaben und neu angelegter Grünstreifen. Die Straßen waren sauber und noch leer so früh am Morgen, daher erreichten wir schnell unser Ziel. Der Wagen hielt vor einem Tor, das üblicherweise von Hochzeitsgesellschaften benutzt wird und, ohne das übrige Gelände betreten zu müssen, direkt zu den Neubauten im hinteren Teil des Grundstücks führt. Diese Neubauten waren vor einigen Jahren zur besseren kommerziellen Nutzung des Geländes errichtet worden und dienen ausschließlich sozialen Zwecken. Das Hupen des Fahrers war wie das Sesam-öffne-dich, das Tor ging auf, der Wagen fuhr auf das Gelände. Die Auffahrt ist gesäumt von Bäumen, die alle mit bunten Tüchern behängt waren, die in der fahlen Sonne sogar glitzerten. Wir stiegen aus und schauten uns um. Was wir sahen, erinnerte mich an meine Kindheit im Nachkriegs-Berlin. Überall lagen Schuttberge, große Krater waren in der Erde, wo früher Gebäude gestanden hatten. Bis auf die Grundmauern war alles weg! Die historischen Unterkünfte für die „Saints“ (Jaina Mönche / Nonnen) gibt es nicht mehr. Wo die Acharyas Tulsi und Mahapragya einst lehrten und die Grundlagen des Preksha Meditationssystems zusammen mit ehrenamtlichen Helfern aus allen Schichten der Gesellschaft entwickelt, erprobt und gemäß der gewonnenen Erkenntnisse überarbeitet hatten in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, waren nun Berge von Schutt. Wahrlich, es ist noch viel Arbeit zu leisten bis zum Sommer, wenn Acharya Mahashraman hier seinen Chaturmas verbringen wird. Der vierstöckige Neubau, der die „Saints“ beherbergen soll, sieht noch ziemlich unfertig aus. Das bedeutet, dass das ganze Gelände immer noch den Charakter einer Baustelle hat, was auch Auswirkungen auf die verbliebenen zwei Gebäude hat. Sie sind nicht nur voller Staub, sondern auch nicht sehr gepflegt, zudem ist tagsüber ständig Baulärm zu hören. Wohnen sollte man dort besser zur Zeit nicht, doch ein Besuch bei Swami Dharmananda lohnt immer. Es bleibt zu hoffen, dass im Sommer wieder etwas von dem Geist eines Jaina Ashram auf dem Gelände zu spüren ist.
Das einzige, was aus der Glanzzeit der Vorgänger Acharya Mahashramans auch noch steht, sind der sogenannte Tulsi Turm, dessen Fertigstellung zehn Jahre gedauert hatte, und die achteckige Meditationshalle. Diese allerdings ist auch in einem der Umgebung entsprechenden Zustand, verstaubt und marode, also kaum für die Meditation zu empfehlen. So auch die beiden noch stehenden Gebäudekomplexe aus der ersten Bebauungsphase. Denn ursprünglich war das Gelände eine Farm, auf der Gemüse und Obst angebaut wurden als Beitrag zur Versorgung des Sangh mit unverfälschten und preiswerten Lebensmitteln. So sollte ein Teil des Geländes nach den Vorstellungen von Acharya Tulsi auch als Panjrapol genutzt werden. Doch bereits in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts war das ursprünglich sehr preisgünstig erworbene, außerhalb der Stadt gelegene Stück Land so sehr im Wert gestiegen, dass ein großer Teil gewinnbringend verkauft und der Rest „nachhaltig“ bebaut werden sollte. Doch die Grundstückspreise sind ins Exorbitante gestiegen und bebautes Gelände in dieser Lage heißbegehrt wegen der bereits vorliegenden Baugenehmigung. Von Unterhalt und Erhalt einer Bausubstanz scheint man in Indien nicht viel zu verstehen. Selten habe ich Gebäude gesehen, die so heruntergekommen waren wie die Siezigerjahrebauten des ASK. Die verzweifelten Bemühungen der Bewohner und Gäste um Sauberkeit waren ebenso wenig zu übersehen wie die vielen lecken Wasserleitungen und Toilettenspülungen in den an die Zimmer grenzenden Bädern. Die Bettwäsche war sauber, die Betten jedoch so steinhart, dass man bei jeder Drehung aus dem Schlaf hochschreckt, weil einem Rippen und Hüfte wehtun, von den Schultern einmal ganz abgesehen. Die das Adhyatma Sadhana Kendra als Jain Ashram betreffenden Kommentare im Internet sprechen leider eine deutliche Sprache. Wir wünschen dieser traditionsreichen Institution mit der Ankunft der Heiligen im Sommer einen erfolgreichen spirituellen Neustart.
Nichts destotrotz waren wir nach einer Nacht in Flugzeugsitzen einfach froh, uns nach dem Frühstück bis zum Mittagessen ausstrecken zu können und freuten uns sehr über das Wiedersehen mit Swami Dharmananda. Denn er hatte uns gebeten, auf dem Weg nach Jaipur in Delhi Station zu machen, weil Mr. Shatish Kumar Sharma, Direktor einer Fernsehstation, ein Videointerview über Preksha Meditation mit uns führen wollte. So geschah es auch. Am Nachmittag führte uns Mr. Shatish nacheinander in das Untergeschoss der achteckigen Meditationshalle. Dort waren Matten an den Wänden angebracht, um die Tonqualität der Aufnahme zu gewährleisten. Zudem wurden wir professionell ausgeleuchtet und dann über unsere Erfahrungen zu Preksha Meditation befragt. Das war eine sehr angenehme Situation, weil Mr. Shatish ein sehr humorvoller und lebenskluger Mensch ist, der es versteht, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Wir sehen dem Erscheinungstermin des Interviews, den Mr. Shatish mit Mitte März angab, interessiert entgegen.