Entspannt sahen wir dem bunten Treiben auf dem zentralen Platz vor dem Palast der Königin im Jaisalmer Fort zu. Das Kommen und Gehen wich allmählich einem „status quo“, d.h., es kamen keine neuen Reisegruppen mehr an. Die Jaina Tempel sind nur bis 12:00h dem allgemeinen Publikum zugänglich und gehören nach 12:00h ausschließlich den Pilgern. Diese stehen nicht gern im Zentrum touristischer Aufmerksamkeit, sondern möchten lieber ungestört ihre Andacht verrichten. Verständlich.
Ehemaliger Palast der Königin, heute Museum, im Fort von Jaisalmer
Selbst die grauen Wolken schienen an Schwere zu verlieren und waren einer leichten Bewölkung gewichen. Gestärkt überlegten wir, was wir am Nachmittag anschauen wollten. Die Managerin des Restaurants „8th of July“, Jags Frau Rama, gesellte sich zu uns und freute sich über unser Lob für ihre Küche. Wie unser Blick so über die gegenüberliegenden Hausfassaden glitt, fielen uns die als „Havelis“ bezeichneten Häuser reicher Kaufleute ein, für die Jaisalmer fast ebenso berühmt ist wie für die Jaina Tempel. Auf dem Vorplatz war keine Motorrikscha zu sehen, doch ein energischer Pfiff von Rama schreckte einen der am Rande des Platzes stehenden Fahrer auf. Die Motorrikschas waren im Schatten des großen Baumes geparkt, bei Sonne eine umsichtige Maßnahme. Wir vereinbarten einen Preis für die Besichtigung von drei Havelis einschließlich Wartezeit, und ab ging es. Rumpelnd fuhren wir durch die verwinkelte Altstadt und staunten, dass an den mit Steinen oder Brettern überdeckten Abwasserkanälen Motorrikschas und Kühe oder Schafe oder Ziegen trotz gegenteiligen Augenmaßes aneinander vorbei kamen. Als der Fahrer anhielt, waren wir froh angelangt zu sein, ohne mit den Köpfen an das Dach gestoßen zu sein. Allerdings war es an manchen Kanalüberdeckungen ziemlich knapp gewesen. Der Fahrer lächelte unschuldig und wies auf ein Gebäude links von uns.
Eingang Salamsingh Haveli, erbaut 1815
Turmartiges Bogengewölbe auf dem Dach Salamsingh Haveli
'Ausguck' auf dem Bogenwölbe, Seitenansicht
Vorderansicht Bogengewölbe, darunter ein Sandsteinbalkon mit kunstvoller Brüstung
Detailansicht Bogengewölbe mit Ausguck
Salamsingh Haveli war im Auftrag eines Ministers der Herrscher von Jaisalmer vor fast 200 Jahren erbaut worden. Noch heute befindet sich das Anwesen im Besitz der Nachfahren des Ministers Salam Singh. Leider ist es nicht im besten Zustand und macht einen recht baufälligen Eindruck, was jedoch nicht auf die Statik zutrifft. Die luftigen Bogengewölbe auf dem Dach des eigentlichen Hauses wirken wie ein Sommerhaus auf dem Wohnsitz des ehemaligen Ministers. Vom Ausguck auf dem Bogengewölbe kann bis weit in die Wüste geschaut werden, was einem auf der Grundlage von Karawanen arbeitenden Handelsminister sehr zum Vorteil gereichte. Wer verlässliche Zeitangaben über die Ankunft der Karawanen zur Verfügung hatte, war gegenüber Konkurrenten im Vorteil.
Blick aus dem Salamsingh Haveli auf die verwinkelte Altstadt am Fuße des Hügels mit dem Fort
Blick von einem Balkon des Bogengewölbes auf dem Dach auf den Hügel mit Fort
In einem der historischen Räume werden Souvenirs verkauft
Besichtigt man Salamsingh Haveli mit seinen engen Treppenhäusern und den hohen steinernen Treppenstufen, weiß man oben angelangt, was man geleistet hat. Ein bisschen Kondition sollte man dafür noch zur Verfügung haben, denn man steigt immerhin vier Stockwerke hinauf. Wunderschöne Ausblicke auf Altstadt und Fort sozusagen vor der Tür lohnen die Mühe allemal. Bei uns langte es gerade noch für den Aufstieg und Fotos.
Eingang zum aus 5 Häusern bestehenden Komplex der Patwa Havelis
Fototermin der Touristenwerbung im Patwa Haveli
Fast wie im Prospekt
Begeisterung bei den Umstehenden
Gesamtkomplex der Gebäude
Frontalansicht auf den Museumseingang
Der schönste, größte und am besten erhaltene Gebäudekomplex ist die Patwa Haveli. Erbaut wurden die fünf Häuser von einem reichen Jaina Kaufmann namens Patwa für seine fünf Söhne zwischen 1800 und 1860. Die Familie Patwa gehörte zu den Finanzierern des Herrscherclans der Bhati Rajputen und stiftete viele Skulpturen in den Jaina Tempeln. Heute beherbergt der gewaltige Gebäudekomplex der Patwa Havelis außer einem Museum noch eine große Handelsniederlassung für folkloristische Rajasthani Souvenirs. Museum und Handelsniederlassung befinden sich in Privatbesitz und sind in gutem Zustand. Der aus Jaisalmer stammende Jaina Kothari kaufte der Familie Patwa gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Havelis aus Sentimentalität für seine Heimatstadt ab und investierte in die heutige Verwendung der Gebäude. Der verschlossene und der Öffentlichkeit nicht zugängliche Teil des Gebäudekomplexes sind im Besitz des Staates Rajasthan. Dieser Teil wird immer baufälliger und ist allem Anschein nach dem Verfall preisgegeben. Als wir ankamen, fand gerade eine Fotosession mit Komparsen in folkloristischen Gewändern im Museumsteil des Patwa Haveli statt. Der Tourismus ist hier mitsamt seiner Zuliefererbetriebe der einzige Arbeitgeber. Die meisten Jaina Clans haben Jaisalmer schon seit Jahrzehnten verlassen.
Nathmal Ki Haveli, erbaut Mitte des 19. Jahrhunderts
Nathmal Ki Haveli gehörte einem Minister und seinem Bruder, der Kaufmann war
Nathmal Ki Haveli wurde von miteinander konkurrierenden Brüdern zeitgleich gebaut. Die beiden Seiten des Gebäudes ähneln sich, sind aber nicht identisch. Der Eingang in der Mitte ist für die Öffentlichkeit bestimmt und führt in den von beiden Seiten aus zugänglichen Innenhof. Noch heute befinden sich beide Teile des Gebäudes im Besitz der Nachfahren. Der Besitzer des rechten Teils hat sein Haus für das Publikum geöffnet und verkauft dort auch Souvenirs. Der Eintritt ist frei. Teilweise ist das Gebäude recht baufällig.
Baufälliger Teil des Innenhofs
Zur Besichtigung freigegebener Teil des Innenhofs
Decken- und Wandverzierungen im heutigen Souvenirshop
Gut erhaltenes Wandbild
Wandbemalung statt Tapete
Luftiger Erker
Verzierter Türrahmen
Gute Freunde laut Nachfahr: König Ludwig II. von Bayern (l), König Albert von Sachsen
Der freundliche Besitzer des Souvenirshops entpuppte sich als Nachfahr des einen Besitzers. Nachdem er erfahren hatte, dass wir aus Deutschland kommen, führte er uns persönlich durch die Räume, gab detaillierte Erläuterungen zu den verwandten Maltechniken und Farbmischungen und stellte uns schließlich die guten Freunde seines Vorfahren vor: Zwei Könige aus Deutschland! Man unterhielt Handelsbeziehungen und korrespondierte auch privat.
Die im Nathmal Ki Haveli zum Verkauf angebotenen Bilder mit klassischen Rajasthani Motiven werden alle noch mit der Hand gemalt, und man kann dem Künstler dabei über die Schulter schauen.
Noch ein Haveli: Hotel Australia Blue International
Als wir vor unserem Hotel hielten, nahmen unsere nun geschulten Augen wahr, dass es sich bei dem Hotel, in dem wir wohnten, auch um ein Haveli handelt. Wir fragten Jag, den Besitzer, danach und er erzählte uns, dass er das alte Haus schon vor Jahren erworben habe und es in mühevoller und jahrelanger Kleinarbeit selbst mit ortsansässigen Handwerkern restauriert habe. Erst in diesem Jahr konnten die nötigen Arbeiten an den sanitären Anlagen und dem Mauerwerk soweit abgeschlossen werden, dass er zum ersten Mal einige seiner Zimmer auch vermieten konnte. Das Hotel verfügt über einen eigenen Generator, was wir während des Regens besonders zu schätzen wussten. Lagen doch alle umliegenden Hotels wegen eines wohl durch den starken Regen verursachten Stromausfalls zwei Stunden lang im Dunklen. Die sanitären Anlagen erfüllen westlichen Standard, und alles ist frisch gewaschen und sauber. Auch die Bettwäsche und die Handtücher. Als Jag noch ein Jugendlicher war, gab es nur noch 2500 Einwohner in Jaisalmer, und der Wüstensand lag manchmal bis zu 2,50m hoch in den Straßen und überdeckte wirklich alles. In Melbourne, Australien, hatte Jag ein indisches Spezialitätenrestaurant, kehrte aber wegen seiner pflegebedürftigen Eltern wieder nach Jaisalmer zurück. Seit Australien trägt er Basecap, Jeans, T-Shirts, Cowboystiefel, spricht Englisch mit australischem Einschlag und sagt oft bloody oder filthy.Er ist Vegetarier und hat das Herz auf dem rechten Fleck, abgesehen davon, dass er zuverlässig und ehrlich ist. Bloß ist er kein Fünf-Sterne-Hotel-Typ, dafür aber mit Herzblut und Liebe zum Detail bei der Sanierung seines Haveli. Sein Essen ist gut, seine Küche sauber, und er kocht nur marktfrisches Gemüse. Einfach zum Wohlfühlen, wenn man lieber abseits der Touristenpfade unterwegs ist.