Lebenszeit
Geboren: 1922Gestorben: 11.01.2001
Über
Ein Portrait
Nachruf:Es war am Fließband einer australischen Autofabrik Anfang der fünfziger Jahre, als sich Kurt Titze, geboren 1922 in einem niederschlesischen Dorf, der allen Menschen angeborenen Fähigkeit bewußt wurde, zwei grundverschiedene Tätigkeiten gleichzeitig verrichten zu können. Als seine Hände nach wenigen Wochen gelernt hatten, einen ständig wiederkehrenden Arbeitsgang zur Zufriedenheit der Inspektoren auszuführen, fühlte sich sein Denkhirn frei, zeitgleich über das nachzusinnen, was er am Abend zuvor über Sokrates gelesen hatte oder was wohl mit diesem und jenem in einer philosophischen Radiosendung gemeint war.
Ein neuer Lebensabschnitt begann: Was getan werden mußte – nämlich Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen -, ließ sich ohne Abstriche mit dem verbinden, was sein Kopf am liebsten tat: denken. Fruchtbare Jahre folgten.
Die weit verbreitete These, daß monotone Handarbeit stumpfsinnig mache, war offenbar ein Vorurteil. Eigentlich keine neue Erkenntnis, hatte doch der in Holland lebende Philosoph Spinoza, gestorben 1677, das Angebot einer Professur der Universität Heidelberg abgelehnt und vorgezogen, seinen Lebensunterhalt mit dem Schleifen von Glaslinsen zu verdienen.
Als Kurt Titze anfing, am Fließband komponierte Briefe über am Morgen gelesene Zeitungsberichte nach der Fabrikarbeit abzutippen und in den Briefkasten der lokalen Zeitung zu werfen, fand er in der Person des zuständigen Editors einen aufgeschlossenen Menschen, der die ersten englischen Schreibversuche eines Einwanderers abdruckte.
Nicht nur von anderen über 'Gott und die Welt' Gedachtes, auch Selbstgedachtes muß sich an der Wirklichkeit messen lassen. Diese Erkenntnis hieß für unseren Autor, seine Ansprüche an die Welt und die Mitmenschen auf ein erträgliches Minimum herabzusetzen und auf billigste Art in andere Länder und zu anderen Religionen und Menschen zu reisen (seit 1961 mit einem australischen Paß).
Für ihn waren das hauptsächlich die süd- und südostasiatischen Länder. 1968 erschien in einem Münchener Verlag sein Bericht in Wort und Bild über seine erste lange Reise durch die Inselwelt Südostasiens unter dem Titel Bali, Timor, Philippinen (zweite Auflage 1978, jetzt vergriffen).
Nach einem Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster in Nordthailand waren es die Reden Buddhas, die ihm neue Einsichten vermittelten. Als eine Art Kritik an dem sich damals anbahnenden Sextourismus erschien 1977 in einem thailändischen Verlag ein schmales Buch von ihm mit dem Titel BUDDHA – Wie er lebte, was er lehrte, was er nicht lehrte sowie, im selben Jahr, sein Buch Christen in Asien – Bericht über eine Pilgerreise (Spee Verlag Trier),in dem er seine Begegnungen mit Christen in Japan, Südkorea, Macau, den Philippinen, Malakka und Indien in Wort und Bild schilderte.
Auf diesen monatelangen Reisen lernte unser Autor unter anderem, daß er als Fremder überall willkommen war. Fremdenhaß entsteht in der Regel dort – nicht immer –, wo Fremde in größerer Zahl zu 'Nächsten' werden (bedenkenswerterweise heißt es bei Jesus nicht "liebe den Fremden", sondern "liebe deinen Nächsten wie dich selbst". Offenbar war das schon immer das dringlichere Gebot).
Als dann, 1988, unser ehemalige Fließbandarbeiter mit seiner inzwischen angetrauten Reisegefährtin im südindischen Shravanabelagola zu Füßen eines nackten Jaina-Mönches saß und zuschaute, wie dieser sich mit unbewegter Miene den Bart und die Kopfhaare auszupfte (was diese Mönche etwa dreimal im Jahr tun), wußte er, daß er sich mit dieser zu Unrecht vernachlässigten Religion der Gewaltlosigkeit – Jainismus (sprich Dschainismus) genannt –, würde beschäftigen müssen.
Schon deswegen, weil sich die Notwendigkeit abzeichnete, etwas gegen die in den Medien propagierte und zur Gewohnheit werdende aktuelle Gewalt zu tun.
Das erste Ergebnis seiner neuen Studien war ein Taschenbuch mit dem Titel Keine Gewalt gegen Mensch, Tier, Pflanze – Worte des Furtbereiters Mahavira, das 1993 im Berliner Verlag Clemens Zerling erschien und aus dem ein paar Jahre später drei Kapitel in einem Lehrbuch für den Ethikunterricht an höheren Schulen abgedruckt wurden, herausgegeben von Dr. Georg Bubolz und Ursula Tietz im Patmos Verlag, Düsseldorf.
Kürzlich – Ende 1998 – legte der indische Verlag Motilal Banarsidass ein großformatiges Buch von Kurt Titze vor, dem er den Titel JAINISM – A Pictorial Guide to the Religion of Non-Violence gegeben hat. Ein rechtzeitiger Beitrag zu den Feiern der gewaltlosen Jaina im Jahre 2001, wenn sich die Geburt Mahaviras, ihres letzten Propheten des gegenwärtigen Zeitalters, zum 2600sten Male jährt.
Bis zum Sommer 2000 lebte Kurt Titze zusammen mit seiner Frau in dem oberschwäbischen Dorf Bellamont.
Martha und Kurt Titze hatten sich schon seit längerem dazu entschlossen, in Kurt Titzes Wahlheimat Australien zurückzukehren. Doch kurz nach der Ankunft in Australien offenbarte sich eine unheilbare Krankheit bei Kurt Titze.
Unser Freund trat am 11. Januar 2001 nach einem reichen Wanderleben seine letzte Reise an und ging in eine Welt ein, die wir noch nicht kennen, doch oft ein Gesprächsthema für ihn war, wie seine tapfere Frau, die bis zuletzt an seiner Seite war, uns schrieb.
Wir sind sehr traurig über den Verlust unseres Freundes, der ein sehr lebensfroher und höchst angenehmer und bescheidener Mensch war. Er verstand sich als Vermittler zwischen den Kulturen und fühlte sich in der ganzen Welt heimisch. Er verband die Fähigkeiten des Menschen, sowohl mit den Händen als auch mit dem Kopf arbeiten zu können. Durch seine positive Lebenseinstellung war er überall, wo er hinkam, ein gern gesehener Gast.
Wir werden ihn nicht vergessen.
Carla & Christian Geerdes