Gegen 15:00h verabschiedeten wir uns von unserem freundlichen Gastgeber in Ostra Parshvanath mit dem Gedanken, wie schön es wäre, noch einmal hierher zu kommen. Über Bhopalgarh fuhren wir nach Gangani und weiter bis Banar. Banar ist ca. 21km von Jodhpur entfernt. Wir sahen auf dieser Fahrt, wie sich die Landschaft wieder allmählich veränderte, die eher unwirtliche Steppe ging in grünere Bereiche über und umgekehrt, immer abwechselnd. Durch die Hitze des Tages wirkte die Landschaft wie in einen warmen Umschlag gehüllt und breitete sich wie ein natürliches Stillleben vor uns aus. Noch war nichts von der Kühle des späten Nachmittags zu merken. Ich dachte daran, wie wohl eine Fahrt im Sommer durch diese Landschaft sein musste, wenn das Thermometer bis zu 50°C anzeigen würde. Wahrscheinlich wäre alles Grüne schon längst verdorrt.
Wieder erblickten wir eine dieser bizarren Steinformationen, entstanden durch eine Kombination aus menschlicher und witterungsbedingter Einwirkung
Die Pflanzen zu beiden Seiten der Straße sollen den fortschreitenden Prozess der Versteppung, bzw. Verwüstung aufhalten.
Von weitem sah diese Unterkunft nicht wie von Menschenhand gemacht aus, so perfekt passt sie sich der Landschaft an.
Bäume gehören hier deshalb zu den besonders geschützten Arten.
Von Banar aus fuhren wir nicht weiter in Richtung Jodhpur, sondern bogen in die Gegenrichtung ein. Dem war ein Gespräch der Familie Surana vorangegangen, in dessen Verlauf wohl auch die Uhrzeit eine Rolle spielte, wie wir den Gesten entnahmen. Mittlerweile war es ca. 16:30h, aber wohl nicht so spät wie angenommen. Bevor die Route für die Tempeltour an diesem Tag geplant wurde, hatte uns Shri Surana angeboten, gemeinsam eine zwei- oder mehrtägige Tempeltour zu unternehmen. Die Dharmshalas der Tempel, an die er dabei gedacht hatte, seien vorzüglich und die Tempel wahre Kleinode, meinte er. Rein zeitlich hätte dieser Plan sehr gut gepasst, denn am Nachmittag unserer Ankunft hatten wir noch 4 Tage Aufenthalt in Jodhpur vor uns. Doch fühlten wir uns durch die teilweise sehr anstrengenden Stationen unserer Reise noch ziemlich erschöpft. Daher baten wir Shri Surana, die längeren Tempeltouren auf ein nächstes Mal zu verschieben. Um uns wenigstens einen in der Nähe liegenden außergewöhnlichen Tempel zeigen zu können, fuhr er kurzerhand weiter mit uns nach Kaparda.
Shri Kaparda Tirth
Der Blick zur Uhr war deshalb so wichtig, weil die Jaina Tempel in Rajasthan meistens von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang für Besucher geöffnet sind. Vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang kann der Tempel nur zur Teilnahme an religiösen Ritualen und in angemessener, von Kopf bis Fuß nagelneuer Kleidung betreten werden. Als wir in Kaparda aus dem Auto stiegen, versprach uns Shri Surana, dass wir etwas Besonderes zu sehen bekämen. Als sein Sohn Saurabh uns das übersetzte, lächelte er und meinte, dass dies schon etwas zu bedeuten habe, wenn sein Vater sich so äußere. Erwartungsvoll stiegen wir die Treppe zum Tempel hinauf.
Treppe zum Shri Kaparda Teerth
Östlicher Eingang des Shri Kaparda Teerth
Halle des Shri Kaparda Teerth, durch die man zum Garbhagriha gelangt
Garbhagriha des Shri Kaparda Teerth
Schon von außen war zu erkennen, dass dieser Jaina Tempel gerade restauriert wurde. Überall standen Gerüste, und auch im Inneren wurde gearbeitet. Dennoch konnte man den Tempel besichtigen. Er liegt auf einem Hügel und hat vier Eingänge. Seine Shikhara ist auch aus größerer Entfernung zu sehen. Shri Surana machte uns darauf aufmerksam, dass wir hier im Garbhagriha eine kunsthistorische Besonderheit sehen könnten, eine Jadeskulptur des 23. Tirthankara Parshvanath. Legenden und wundersame Ereignisse ranken sich um diese Skulptur und den Bau des Tempels.
Der Legende nach tauchte die Skulptur am Tage des feierlich zelebrierten Geburtstags des 23. Tirthankara Anfang des 17. Jahrhunderts plötzlich im Boden unter einem Schirmakazienbaum am Ortseingang von Kaparda auf. Daraufhin wurde auf Anregung eines Yati ein Tempel in Kaparda gebaut, und der vierte Dada Guru, Acharya Jinchandra Suri, entsprach den Bitten der Jainagemeinschaft und installierte die Skulptur im Tempel und weihte sie. Unter den 108 Namen des Parshvanath trägt sie den Namen Svayambhu Parshvanath.
Rundgang
Mulnayak:
Svayambhu Parshvanath
In Indien gab und gibt es ausweislich diverser Mineralienatlanten keine Jade-Fundstellen[1]
Die Skulptur wurde sorgsam aus einem großen Jadeblock gemeißelt.
Eine der 4 Türen des Garbhagriha war geöffnet, sodass der Blick direkt auf die Jadeskulptur fallen konnte. Eine sehr kunstfertige Arbeit aus der Zeit, als Jade gerade erst nach Indien gelangt war. Die Harmonie zwischen dem Dargestellten und dem edlen Material verleiht dieser Skulptur etwas Atemberaubend-Sakrales, etwas, das ganz klar nicht von dieser Welt scheint. Steht man davor, wundert einen keine wundersame Geschichte im Zusammenhang mit dieser Skulptur.
Die Decke hinter dem Garbhagriha wurde gerade, als wir vorbeikamen, in überlieferter Art kunstfertig restauriert.
Die Arbeit an diesem Stück ist so gut wie abgeschlossen.
Mosaikeinlegearbeiten im Fußboden und kunstvolle Steinmetzarbeiten an Säulenfüßen und Schäften.
Detailansicht der zur Hälfte ausgebesserten Decke
Familie Surana am Ende einer großartigen Tempeltour
Was hatten wir an diesem Tag alles für Schönheiten gezeigt bekommen! Nicht nur für die Augen, für den Schönheitssinn als solchen, den für Erhabenheit eingeschlossen, gab es viel aufzunehmen. Es war ein wunderschöner, unvergesslicher Tag. Vielen herzlichen Dank, liebe Jaina Freunde in Jodhpur, liebe Familie Surana.