Wie verabredet kam der Fahrer gegen 08:30h zum Oshwal Bhavan in Balotra, um uns von dort nach Jaisalmer zu bringen. Wir verabschiedeten uns ein wenig wehmütig von Swami Dharmanandji, der noch blieb und einige Tage später mit dem Zug nach Delhi zurückkehren würde. Wir hatten eine sehr schöne und ereignisreiche Woche miteinander verbracht und würden ihn vermissen. Am Ende unserer Fahrt würden wir noch einmal im Kendra in Delhi übernachten und uns treffen, bevor wir Indien verlassen. Nach kurzem und herzlichem Abschied ging es los.
Wüste Thar zwischen Balotra und Jaisalmer
Die Entfernung von Balotra nach Jaisalmer beträgt ca. 250km. Die Straße war größtenteils in sehr gutem Zustand, was das Vorankommen wesentlich erleichterte. Wir fuhren über Tilwara, einem Dorf mit Bahnstation an der Strecke Balotra-Barmer am Fluss Luni, und passierten Barmer, gegründet im 13. Jahrhundert, heute Kreisstadt und Endpunkt der Strecke Delhi-Jodhpur-Barmer und des Zuges #14659 Slip, mit dem wir von Delhi nach Balotra gefahren waren. Die Fahrt verlief angenehm und dauerte ungefähr 4 Stunden.
Willkommen in Jaisalmer!
Jaisalmer Fort
Jaisalmer Fort
Kurz nach dem Willkommensgruß an der Ausfallstraße nach Barmer erhaschten wir den ersten Blick auf das berühmte Fort von Jaisalmer. Majestätisch thronte es auf einem ca. 250m hohen Hügel hinter den Häusern der Hauptstraße. Diese führte in einem weitläufigen Bogen um den Hügel herum, so dass man schon bei der Einfahrt in die Stadt einen Eindruck von den Ausmaßen des Forts bekam. Es war nicht zu übersehen, dass es wie eine Krone als Stadt über der Stadt golden in der Sonne schimmerte. Wegen des in der Sonne aufblitzenden Sandsteins, aus dem das Fort gebaut wurde, wird Jaisalmer auch „die goldene Stadt“ genannt. Nahe der Hanuman Circle Road fanden wir in der Hauptstraße gleich ein Hotel, das uns zusagte. Dessen Besitzer war in Jaisalmer aufgewachsen, und wir konnten uns sehr gut in englischer Sprache mit ihm verständigen, weil er lange in Australien gearbeitet hatte. Doch davon später mehr. Nach Einchecken und Frischmachen begannen wir erst einmal mit der Erkundung der Stadt.
Standbild Mahatma Gandhis
Plakat zu Ehren Swami Vivekanandas, u.a. zu seinem 150. Geburtstag am 12. Januar 2013
Mandir Palace Jaisalmer, früher Palast der Herrscherfamilie, heute Hotel
Wir verließen das Hotel und gingen in Richtung eines um die nächste Ecke liegenden weitläufigen Platzes, an dem uns gleich zwei berühmte Inder des 19., bzw. 20. Jahrhunderts als Standbild und Transparent begegneten, Mahatma Gandhi und Swami Vivekananda. Dieser Platz erstreckt sich von einem Kreisverkehr, an dem sich zwei Hauptstraßen kreuzen, bis zu einem imposanten Gebäude, dem Mandir Palace, Sitz der früheren Herrscher, seit dem 16. Jahrhundert der Maharadschadynastie Singh. Der gesamte weitläufige Gebäudekomplex befindet sich noch heute im Besitz des Enkels des letzten Maharaja Hukum Singh. Raj Kumar Dr. Jitendra Singh ließ einen Teil davon zu einem sogenannten Heritage Hotel (in etwa: vom Palast zum Palasthotel) umbauen und hat es zu einer ersten Touristenadresse gemacht. Andere Teile fasste er zu einem der Öffentlichkeit gegen geringes Entgelt zugänglichen Museum zusammen.
Eingang zum ehemaligen Herrscherpalast Mandir Palace
Tauben und Raben umfliegen den Turm des Mandir Palace
In zwei Gebäuden neben dem Hotel sind Museen untergebracht. Eines für Waffen und Gebrauchsgegenstände aus dem Fundus des Fürstengeschlechtes und eines für Möbel und Dekorationen aus dem alten Palast. Gegenstände und Design für traumhafte Zeitreisen in eine vielleicht glorreichere, aber auch hierarchischere Vergangenheit der Stadt, in der die Reichen und Mächtigen sich herrliche Paläste bauen ließen, die man immer noch bewundern kann. Sie strahlen den Charme gewesener Pracht und real existierenden Verfalls aus, wobei gerade sie es den heutigen Einwohnern ermöglichen, sich ein mehr oder weniger bescheidenes Einkommen in dieser Wüstenstadt zu ertrotzen.
Erster Innenhof
Blick in den zweiten Innenhof
Betritt man den ehemaligen Palast, wird man durch geschlossene, bzw. geöffnete Tore zum Eingang eines Museums dirigiert. Mitarbeiter des Hotels kassieren das Eintrittsgeld und auch die Gebühr für das Fotografieren, beides moderat. Sie tun es mit bestimmt vergleichbarer Ernsthaftigkeit, jedoch sehr viel ausgeprägterer Freundlichkeit als die Palastwachen früher. Ziemlich sicher aber an derselben Stelle. Ist man an ihnen vorbei, öffnet sich der Blick auf zwei hintereinander angeordnete Innenhöfe, die mit schweren Toren verschlossen werden können. Die vom zweiten Innenhof aus erreichbaren Gebäudeflügel dienen heute als Museum. Zum Hotel gelangt man durch ein anderes Tor.
Bougainvilleas blühen entlang der Rückwand eines heute als Hotel genutzten Teils des Gebäudekomplexes…
…und entlang der Rückwand des heute als Museum genutzten Teils.
Die von rotblühenden Bougainvilleas überwucherten Wände der durch einen schmalen Gang getrennten Teile des Gebäudekomplexes zeugen davon, dass der Sinn für Schönheit sich in der Familie der ehemaligen Fürsten von Jaisalmer von Generation zu Generation erhalten hat. Die ganze Anlage machte einen überaus gepflegten Eindruck, und unwillkürlich fragt man sich, wie das heute ohne die verschwenderischen Personalressourcen eines Maharadschas möglich ist. Gibt es doch gerade in Rajasthan auch viele verfallene Ruinen, die nur noch bruchstückhaft für ihre einstige Schönheit stehen. Dieser über Jahrhunderte gewachsene und erhaltene Palast der Familie Singh am Fuße des Jaisalmer Forts ist vielleicht symptomatisch für den einstigen Glanz, den zwischenzeitlichen Verfall und die aktuelle Wiederbelebung der ehemals geschäftigen Handelsstadt am Rande der Wüste Thar, die schon bessere Tage gesehen hat, aber auch viel schlechtere.
Museumseingang zum ehemaligen Wohnsitz der Mutter des heutigen Besitzers
Unterschiedliche Größenverhältnisse
Freude an schönen Details
Bis ins Kleinste
Offensichtlich waren auch hier die Vorfahren viel kleiner an Gestalt als die Heutigen. Die Kacheln neben dem Türrahmen fallen ins Auge, nachdem man die Tür passiert hat. Die wenigen hier gezeigten Fotos sind nur eine kleine Auswahl. Eine Fülle weiterer interessanter Ansichten vom und Einblicke in den Mandir Palace Jaisalmer gibt es in dem Album bei Flickr.com [1]
Dach des Palastkomplexes
Blick vom Dach des Mandir Palace auf das Jaisalmer Fort
Häuser und Fort von Jaisalmer
Zeit für eine kleine Pause im Dachrestaurant
Spatzenhotel
Nach einer kleinen Teepause setzten wir unseren Gang durch die Stadt fort. Das Spatzenhotel entdeckten wir beim Verlassen des Dachrestaurants. Auch das erschien sinnbildlich für das Zusammenleben von Menschen und Tieren in der Stadt. Die Einwohner kümmerten sich nicht weiter um die Spatzen, ließen ihnen aber den dornigen, karg beblätterten Busch als Rückzugsgebiet. Die Spatzen turnten möglichst unauffällig zwischen den Menschen auf der Suche nach etwas Essbarem herum, bevor sie sich zur Ruhe in ihr Refugium zurückzogen.
Nachna Haveli Saffron Restaurant
Die Fassade des Hauses verbirgt das Innere vor dem Treiben auf der Straße:
Einen Innenhof mit viel Grün und roten Bougainvilleas…
…den Empfang eines Hotels...
…und Gerätschaften, die vielleicht vor gar nicht so langer Zeit noch in Gebrauch waren.
Trotz der einladenden Atmosphäre wollten wir weiter und traten wieder auf die Straße hinaus. Dort sahen wir einen großen, ziemlich leeren Platz mit einer Gruppe Kühe in der Mitte. Beinahe wirkte es, als würden alle einen Bogen um sie machen. Was vielleicht sogar stimmte.
Die Kühe mitten auf dem Platz,
zwei ausgewachsene Kühe, dahinter zwei Kälber.
Ein Bulle und ein Jungbulle nähern sich von der Seite.
Was liegt denn da auf dem Boden, von den Kühen behütet?
Immer mehr Kühe kommen und bilden so etwas wie einen lebenden Schutzwall
Mitten auf dem Platz versammelten sich immer mehr Kühe. Niemand störte sie, sie wurden kaum beachtet. Schützend hatte sich ein Kreis um zwei Kühe formiert, die mit den Hinterteilen aneinander gelehnt lagen. Was verbargen sie mit ihren mächtigen Leibern so gut vor aller Blicke, dass bestimmt nicht einmal der Fotograf links von den Kühen auf dem ersten Foto es beachtet hatte? Es war ein wenige Tage altes Kalb, das sie den Blicken entzogen und behüteten! Beinahe wirkte es, als wären sie auch gekommen, um ihren Familienzuwachs zu beschnuppern. Unbehelligt vom geschäftigen Treiben um sie herum. Mitten in der Stadt.