Am Tag vor der Konferenz machten wir nach einem kurzen Rundgang auf dem Gelände des Adhyatma Sadhana Kendra noch einen kurzen Abstecher in das Büro des Teams, das für die Organisation zuständig war und nun noch einmal alles gab, um die Vorbereitungen rechtzeitig zur Eröffnung der Konferenz abschließen zu können. Als wir uns leise nach draußen schleichen wollten, hielt uns jemand auf, um uns mit einem besonderen Menschen bekannt zu machen.
Übersichtsplan Adhyatma Sadhana Kendra 2014-09
Im ersten Stock dieses Gebäudes befindet sich das Bhikshu Auditorium, in dem die Vorträge während der Anuvrat Internationale Konferenz gehalten wurden
Im Haus der Mönche waren Zimmer in den oberen Stockwerken an Laien vermietet, u.a. auch an das Organisationskomitee der Konferenz
Christian Geerdes freut sich, Surendra Patawari persönlich kennenzulernen
Surendra Borad Patawari betrat gerade den Raum, den wir uns anschickten zu verlassen. Er war sofort nach seiner Ankunft in Delhi gekommen, um die Mitglieder seines Teams zu begrüßen und sich über den Stand der Dinge zu informieren. Wenn ich mir je hätte den Vorsitzenden eines zu den „Global Players“ gehörenden Unternehmens vorstellen wollen, wäre ich bestimmt nicht darauf gekommen, dass Surendra Borad Patawari einer von ihnen ist. Wir begegneten einem sehr freundlichen, entspannten und offenen Menschen, der sich Zeit nimmt für die Begegnungen mit den Menschen, die er trifft, und an den man sich gern erinnert. Stets ist er ausgezeichnet informiert, was sich darin zeigt, dass er sofort ein Thema findet, zu dem man etwas sagen kann. Eigentlich versteht sich nach dieser Beschreibung von selbst, dass er ein sehr guter Zuhörer ist, der sein Gegenüber respektiert. Unserer Bitte, ihn zu interviewen, stimmte Surendra Borad Patawari sofort zu. Gegen 14:30h schon waren wir mit ihm im Bhikshu Auditorium verabredet.
Das Bhikshu Auditorium ist direkt über der Versammlungshalle nimmt in etwa eine Fläche ein wie die zwischen den Betonsäulen
Der 9. und der amtierende 11. Acharya sind die spirituellen Inspiratoren der Konferenz
Shashi Bhansali im Gespräch mit Carla Geerdes im Entree des Bhikshu Auditoriums
Wir gingen die Treppe neben der Bühne der Versammlungshalle hinauf in den ersten Stock und sahen hinter der Glastür zum Treppenhaus das Entree des Bhikshu Auditoriums. Dort waren gerade die Stellwände für die Konferenz angeliefert worden, auf denen man Aussagen über Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit und Frieden und Wohlstand bringende Wirtschaftsformen lesen konnte. Einige Helfer, die uns freundlich zuwinkten, hatten sie gerade aufgestellt. Shashi Bhansali, der 22 Jahre lang für den Organisator der Konferenz, Surendra Borad Patawari, Vorsitzender der Gemini Corporation, gearbeitet hatte, kam lächelnd auf uns zu und führte uns ins Bhikshu Auditorium. Der wie ein Theatersaal gestaltete Raum wirkt sehr einladend, und die Sitze sind so bequem, wie sie aussehen. Ein wichtiges Detail, wenn man fast einen ganzen Tag auf ihnen verbringt. Der Raum wirkt trotz seiner Größe weder einschüchternd, noch ungemütlich, sondern durch die angenehm eingestellte AC sehr gastfreundlich. Mögen dort noch viele bedeutungsvolle Zusammenkünfte wie die Anuvrat Internationale Konferenz stattfinden und das Publikum sich so wohl dort fühlen, wie wir es taten. Wenig später traf dort Surendra Borad Patawari ein, und wir führten ein ausführliches Gespräch mit ihm.
Surendra Borad Patawari während des Interviews im Bhikshu Auditorium
Geboren wurde Surendra Borad Patawari in Momasar, einem kleinen Dorf in Rajasthan nahe Bikaner, wo er bis zu seinem 10. Lebensjahr lebte. Er studierte nach Beendigung seiner Schulzeit an der Universität Kolkata und legte dort das Staatsexamen als Wirtschaftsprüfer ab. 1989 gründete er in Antwerpen, Belgien, die Gemini Corporation, die Beschaffung, Weiterverarbeitung sowie Logistik von recycelbaren Rohstoffen wie Kunststoff sicherstellt und inzwischen der weltgrößte Anbieter im Recyceln von Kunststoffabfall ist. Mittlerweile verfügt der Konzern über ein Netzwerk von Lagerhallen, Produktionsstätten und Büros auf 3 Kontinenten, in Europa, Asien und Nordamerika. Seit einigen Jahren ist ihr Vorsitzender, Surendra Borad Patawari, Repräsentant der Kunststoffindustrie beim Europäischen Parlament. Für das vorbildliche und herausragende Wachstum des Unternehmens wurde es mit der Auszeichnung „Excellent Enterprise Award 2012“ von der Handelskammer Antwerpen geehrt, die diesen renommierten Preis traditionell alle 3 Jahre vergibt.
Der Vorsitzende der Gemini Corporation wurde in Momasar, Rajasthan, geboren
Wir wollten von Surendra Borad Patawari gern wissen, was ihn dazu motiviert, die I. Anuvrat Internationale Konferenz durch Einladung der Teilnehmer zu freier Anreise (Flugticket), Unterkunft und Mahlzeiten während der Konferenz so großzügig zu unterstützen. Aus vielerlei Gründen hielt er schon früh die Kreislaufwirtschaft für die Wirtschaftsform der Zukunft und machte sich deshalb in diesem Bereich selbständig. In diesem Zusammenhang erwähnte er lobend die große Bereitschaft der europäischen, insbesondere der belgischen und deutschen Öffentlichkeit zu einem ressourcenschonenden Umgang mit den Rohstoffen sowie deren Wiederverwertung durch Recyceln. Deshalb gründete er seine Firma in Antwerpen, wo er besonders günstige Voraussetzungen für ein solches Unternehmen vorfand. Bei einem Besuch in Indien erzählte er dem damaligen Acharya Mahapragya, in welcher Branche er tätig ist. Dieser fragte sich, wie man ein glückliches Leben führen kann, wenn man seinen Lebensunterhalt durch das Recyceln von Abfällen bestreitet, da die Kunden dieser Branche über den ganzen Planeten verstreut und nicht anwesend sind, wenn die Arbeit verrichtet wird. Er empfahl Surendra Borad Patawari, bei seiner Arbeit die folgenden 3 Aspekte immer zu beherzigen:
- Engagement
Identifikation mit der und voller Einsatz für die Arbeit - Integrität
Das Richtige tun, wenn niemand zusieht - Vertrauen
Wer betrügt, verliert
Diese Empfehlung war die Anwendung der charakterbildenden Strategie der Anuvratbewegung im Geschäftsleben. Auf diese Weise kann man als aufrichtiger Geschäftsmann im Haifischbecken der Abfallwirtschaft nicht nur überleben, sondern auch sich selbst treu bleiben, dachten wir, als wir das hörten. Surendra Borad Patawari befolgte die Empfehlung seines großen spirituellen Lehrers und hatte schon bald enormen Erfolg in der Branche. So passt für ihn die philosophische Lebensstrategie seiner Herkunft in das Geschäftsleben des 21. Jahrhunderts und führt beides zum Wohle aller zusammen. Eine typische, von allen Jains favorisierte Win-Win-Situation. Mahavira beschwor schon vor ca. 2500 Jahren, später aufgeschrieben und im Acarang Sutra überliefert, seine Anhänger, die Erde nicht zu zerstören oder zugrunde zu richten und alles Leben darauf wertzuschätzen.
Die selbst gewählten Gelübde, nach denen der Einzelne sein Leben ausrichten kann, sind auch nach Surendra Borad Patawaris Auffassung kleine Dinge. Doch kleine Dinge können die Welt verändern, meint er, wenn z.B. jemand beschließt, keine unehrenhaften Mittel einzusetzen oder keine Bäume zu fällen. Dazu erzählte er eine Geschichte von einem Fischer und seinem Sohn. Die beiden gingen am Strand entlang, als der Sohn sich bückte und einen gestrandeten kleinen Fisch zurück ins Meer brachte, wo dieser eilig davonschwamm. Der Vater fragte seinen Sohn, warum er das getan habe, schließlich gäbe es doch Millionen kleiner Fische, denen das gleiche widerfuhr und für die sich nichts ändere. Der Sohn gab seinem Vater recht, fügte jedoch hinzu: „Aber für diesen Fisch ändert das alles.“
Surendra Borad Patawari bleibt sich selbst auch im Geschäftsleben treu
Gefragt nach seinem bescheidenen Auftreten sagte uns Surendra Patawari, dass Bescheidenheit von großer Bedeutung in der Jain Philosophie sei und in seinem Konzern niemand bescheiden im Auftreten sein könne, wenn er es nicht vorlebe. Was sein Unternehmen erreicht habe, sei nicht allein sein Verdienst, er habe ein hervorragendes Team, dessen Arbeitseinstellung und Haltung der Firma gegenüber die Grundlage für den Erfolg gelegt haben. Er sei zudem kein Manager, dessen Aufgabe es sei, detaillierte Arbeitsaufträge und Anweisungen zu erteilen, fuhr er fort, stattdessen sehe sich als den Kopf, der die Strategien festlegt, nach denen man sich als Mitarbeiter des Konzerns in seinem Berufsleben dort richtet. Nötigenfalls sei es seine Aufgabe, die Einstellungen seiner Mitarbeiter zu beeinflussen, beispielsweise dadurch, dass seine Büros nicht mit Ledermöbeln ausgestattet werden. Zudem drückten sich seine Wertvorstellungen in der Gesamtheit seiner Handlungen aus, weshalb es keine Widersprüche zwischen seinem Geschäftsgebaren und seinem Aufwachsen in der Terapanth Gemeinschaft gibt. Acharya Mahapragya habe ihn zudem noch darin bestätigt, seine Identität auch im Geschäftsleben zu bewahren. Selbst wenn Menschen in einer den eigenen Wertvorstellungen entgegengesetzten Weise zu handeln scheinen, machte ihm dieser klar, gäbe es für das Handeln eines Menschen immer Gründe, die man nicht kenne und weshalb man niemanden aufgrund seines Aussehens beurteilen oder aufgrund einer momentanen Handlung ablehnen solle. Jedem Menschen sollte mit Respekt begegnet werden.
Video: Interview Surendra Borad Patawari
Diese Begegnung mit einem so bescheiden auftretenden und sympathisch wirkenden Vorsitzenden eines erfolgreichen Konzerns hatte uns sehr beeindruckt. Für uns blieb nur noch am späteren Nachmittag der Wechsel von einem Hotel zum anderen, ein gutes Abendessen und die Vorfreude auf die Konferenz, die am nächsten Morgen beginnen sollte. Für die kommenden 3-4 Tage würden wir mit allen anderen Konferenzteilnehmern zusammen im Delhi Grand Hotel wohnen, frühstücken und zu Abend essen, umsorgt von einem Team unseres Gastgebers, das jedem versuchte, die Wünsche von den Augen abzulesen und dabei von dem Mitarbeitern des Grand Hotels unterstützt wurde.