Zur verabredeten Zeit holte uns ein Fahrer ab, den wir schon kannten, denn er hatte uns wenige Tage zuvor bereits zum Delhi Mehrauli Dadabari Jain Tempel gefahren. Es war ein Sonntag, und wir stellten erleichtert fest, dass noch nicht allzu viel Verkehr auf den Straßen war. Selbst an den Staufallen vom Südwesten Delhis in Richtung Innenstadt floss der Verkehr. Um von unserem Hotel in Mehrauli im Südwesten nach Model Town im Nordwesten der Stadt zu gelangen, mussten wir erst am India Gate in der Innenstadt vorbei, ehe wir den folgenden Kreisverkehr in Richtung Nordwesten verlassen konnten. Unterwegs versuchten wir Ajit Benadi auf seinem Handy zu erreichen. Wenige Tage vor unserer Abreise nach Delhi hatte der Präsident der Jain Association International Germany e.V. uns per Email von einem Treffen von Digambara Acharyas und Munis in Model Town unter Angabe der genauen Adresse berichtet, an dem auch er teilnehmen wollte.
Weiteres wussten wir nicht, hatten aber Ajit Benadis Handynummer in Indien. Erfreut und auch ein wenig überrascht stellten wir fest, dass wir ihn tatsächlich erreichten, wenn auch die Verständigung wegen ohrenbetäubender Musik im Hintergrund etwas schwierig war für beide Seiten. Doch nun fuhren wir nicht mehr im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben ins Blaue, sondern steuerten ein konkretes Ziel an, das wir nur noch finden mussten. Was uns letztendlich nach mehreren Telefonaten und Modifizierungen von Straßennamen und Hausnummern auch tatsächlich gelang.
Von dieser Kreuzung aus war es nicht mehr weit, der immer lauter werdenden Musik nach zu urteilen
Nicht ohne einen Treffpunkt mit dem Fahrer vereinbart und dazu Handynummern mit ihm ausgetauscht zu haben, machten wir uns auf den Weg in Richtung Musik. Es war schon fast ein kleines Wunder, dass wir Ajit Benadi trotz Getümmels und Lärms wirklich trafen. Allerdings dauerte es ein wenig, bis wir, mit den Handys am Ohr, schließlich voreinander auf der Straße standen. Der zu einem Jain Center der Model Town Digambara Gemeinde gehörende kleine Park war aufwändig mit Tüchern, Blumen und Holztribünen in einen sehr angemessenen Ort für eine spirituelle Versammlung verwandelt worden. Wir hatten keine Ahnung, was uns erwartete und waren erst einmal von der Menge der Versammelten und der Dekoration beeindruckt.
Ajit Benadi erwartete uns am Eingang und führte uns hinein
Mönche, Nonnen und Laien waren auf der prächtig geschmückten Bühne zu sehen
Zahlreiche Menschen waren gekommen
Viele ehrenamtliche Helfer standen bereit
An ihnen vorbei wurden wir auf die Bühne geleitet
Dort saßen Digambara Asketen aus verschiedenen Gemeinschaften in einer Reihe nebeneinander
Es war ein unvergesslicher Moment, als wir die Bühne betraten. Ungefähr 20 Digambara Acharyas und Munis, der Bhattarak von Moodabiri, Karmayogi Ravindrakirti Swami aus Hastinapur, sowie ca. 18 Nonnen und das Auditorium schenkten uns ihre volle Aufmerksamkeit. Jemand stellte uns der Versammlung über Lautsprecher mit Namen vor und wir spürten, wie uns eine Woge der Zuneigung von allen Seiten erfasste und einen Moment lang emportrug, bis wir uns sanft wieder abgesetzt fühlten und man uns zu unseren Plätzen führte. Christian Geerdes saß auf der Bühne hinter Ajit Benadi und Nirmal Kumar Jain Sethi, dem Nationalen Präsidenten der Digamber Jain Mahasabha (Vollversammlung der Digambara Jain). Letzterer erzählte ihm von einem für uns sicherlich interessanten Buch über „Jain Archaeological Sites Outside India“ (in etwa: „Jain Tempel außerhalb Indiens“) von Dr. Jineshwar Das Jain, von dem er uns sogar einige Tage später persönlich zwei Exemplare ins Hotel brachte und schenkte. Was den Sitzplatz an diesem Sonntag betraf, hätte ihn Christian Geerdes eigentlich nicht gebraucht, denn er war die meiste Zeit unterwegs für Fotos und Videos.
Ajit Benadi(l), Nirmal Kumar Jain Sethi
Neben Sheila Jain (l) erhielt ich einen Platz in der ersten Reihe, von dem aus ich das Geschehen gut verfolgen konnte
Wir folgten dem Programm, das sehr interessant für uns war, obgleich wir die Worte nicht verstanden. Jedes Gesicht erzählte die Geschichte eines Lebens, und besonders die Gesichter der Mönche und Nonnen die eines Lebens in Wahrheit und Menschlichkeit. Das Besondere an diesem Treffen war, dass es das erste seiner Art war. Männliche und weibliche Asketen sowie männliche und weibliche Laien aus verschiedenen Sanghs kamen zum ersten Mal anlässlich des Versöhnungsfestes (Das Lakshan) hier zusammen und drückten damit ihre feste Entschlossenheit aus, alle bisherigen Kontroversen beizulegen und künftig zusammenarbeiten zu wollen. In der Vergangenheit, so erfuhren wir später, ging man sich bestenfalls aus dem Weg, um sich nicht wieder anzufeinden, wie es so oft geschehen war. Sogar erbitterte Streits soll es gegeben haben, doch Genaues konnten wir über die Gründe ebenso wenig in Erfahrung bringen, wie wir vorher wussten, dass wir an einem historisch bisher einmaligen Treffen teilnehmen würden. Das erklärt auch, dass alle Reden, die gehalten wurden, vom Auditorium mit so großem Interesse aufgenommen wurden. Zeitweise waren alle so konzentriert, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Bhattaraka Charukirti Moodabiris Rede fand große Beachtung, und man ehrte ihn und auch alle anderen Sprecher nach ihrer Rede
Die Musiker begleiteten eine Tanzdarbietung mit Gesang aus dem Leben Mahaviras
Die Kinder warten auf ihren Auftritt im Rahmen der Tanzgruppe, wo sie die verschiedenen Sanghs verkörperten
Die Tanzgruppe nach ihrem Auftritt, der im Video festgehalten ist
Lal Krishna Advani war der Ehrengast dieser Zusammenkunft
Die Rede dieser jungen Frau war sehr engagiert
Anschließend kamen viele aus dem Publikum auf die Bühne…
…und erbaten den Segen der Mönche und Nonnen
Mit einem Mal kam Bewegung in die auf der Bühne sitzenden Mönche. Fast gleichzeitig erhoben sich alle, traten nach vorn und fielen sich in die Arme! Sie lachten, umarmten sich, gaben sich lächelnd die Hände und winkten dem begeisterten Auditorium so schwungvoll und einladend zu, dass alle Anwesenden sich angesprochen und wie von einem magischen Kreis der Harmonie umschlossen fühlten. Stellvertretend für alle zeigten die Mönche, wie es ist, wenn man sich versteht und akzeptiert. Eine Botschaft, die alle Anwesenden nicht nur verstanden, sondern von ihnen auch voller Elan mit zustimmenden Gesten unterstützt wurde.
Große Freude überall
Alle sind sich einig
Jeder wollte diesen historischen Moment mit der Kamera festhalten
Das Auditorium jubelte, die Zuschauer sprangen von ihren Sitzen auf und gaben sich die Hände als Zeichen für auch ihre Bereitschaft, Kontroversen nicht weiter zu verfolgen, sondern beizulegen. Überall sah man strahlende Gesichter, und wie auf ein Zeichen fingen die Menschen an, miteinander zu sprechen und zu lachen. Wir genossen es sehr, mittendrin und dabei zu sein. Jeder war ganz offen für den Anderen, eine schöne und seltene Demonstration von Toleranz, die man leider nur selten erlebt, wenn so viele Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen zusammenkommen.
Die Mönche wissen genau, dass dies ein neuer Anfang ist…
…und freuen sich über die neue Qualität in ihrem und dem Leben der Laien
Dieser großen Geste konnte nichts mehr folgen, das Ziel der Zusammenkunft war erreicht. Alle strebten zufrieden in Richtung Ausgang, nachdem die Mönche und Nonnen die Bühne verlassen hatten. In Windeseile hatten die ehrenamtlichen Helfer die Tische entlang der Zeltwände in Buffets umgewandelt und trugen einladend duftende Warmhaltegefäße mit Speisen herein. Im Nu bildeten sich lange Schlangen, jeder wartete geduldig, bis er an der Reihe war. In der Mitte standen Menschen mit gefüllten Tellern in den Händen und unterhielten sich leise, während sie zusammen aßen. Jemand nahm sich unserer an und führte uns durch das Gewimmel zum Mittagessen in das nahegelegene Gemeindehaus. Es gab eine köstliche Mahlzeit, die wir sogar im Sitzen einnehmen konnten. Schließlich riefen wir den Fahrer an und saßen wenig später im Auto, das uns zurück ins Hotel brachte. Was für ein unvergesslicher Sonntag!