Gerne wären wir noch geblieben, aber die Zeit drängte. Wir machten uns auf den Weg zum nächsten Tempel. Die Staus auf dem Weg hatte unser Fahrer souverän gemeistert. Wir hielten vor Delhis wohl bekanntestem Jain Tempel, dem Shri Digambar Jain Lal Mandir, gegenüber dem Roten Fort. Wir sprinteten aus dem Auto, der Fahrer gab Gas und verschwand. Wir standen vor dem Tempel und ließen den Gebäudekomplex erst einmal auf uns einwirken.
Gegenüber liegt das Rote Fort.
Erstaunlich viele Menschen drängten sich auf der Straße, von den Verkehrsteilnehmern auf der Fahrbahn ganz zu schweigen, Busse, Lkws, Pkws, Fahrradrikschas. Inmitten dieses bunten Gewimmels erhebt sich majestätisch einer der ältesten Jain Tempel Delhis und zeigt sich trotz der vielen Besucher aus aller Welt als Oase der Ruhe und Einkehr.
Das Foto zeigt den Vorplatz mit Frontalansicht des Tempels.
Eine hauptsächlich aus japanischen jungen Mädchen bestehende Touristengruppe drängte sich an uns vorbei. Allerdings hatten viele vergessen, ihre Schuhe auszuziehen und die Kameras auszuschalten. Alles zurück auf Anfang, soviel Zeit muss sein. Gesehen haben wir die Gruppe dann nicht mehr, was vielleicht daran lag, dass wir einige Zeit am Eingang zubrachten in Erwartung der Erlaubnis zum Fotografieren. Das kam so: Swami Dharmanandji versuchte jemand Verantwortliches zu finden, was ihm aber nicht auf Anhieb gelang. Erst nach einigem Hin und Her kam jemand, der berechtigt war, uns Aufnahmen zu gestatten. Wir waren froh, dass Swami Dharmanandji uns begleitete und sich so für uns einsetzte, denn niemand im Tempel schien englisch zu verstehen.
Durch ein sehr schmales, gewundenes Treppenhaus gelangt man in das Innere des Tempels. Die gewölbeartigen Innenräume sind nicht sehr groß, aber durchaus hoch. Die Wände sind mit Darstellungen spiritueller Lehrer, Orte und Symbole in Farben bemalt, die den Höhlencharakter der Räume unterstreichen. Obwohl viele Lichtquellen unterschiedlicher Art vorhanden sind, wirkt die Beleuchtung eher gedämpft. Man fragt sich unwillkürlich, was für ein Licht vor den Zeiten der Elektrifizierung in den Räumen herrschte und wie viel von den geschmückten Wanden und Skulpturen wohl zu erkennen gewesen waren.
Junge Männer zeigen ihre tiefe Verehrung und verharren in stiller Andacht.
Swami Dharmanandji (r) bewundert die farbenfrohe Skulptur eines Tirthankara und unterhält sich mit anderen Besuchern darüber.
Man spürt, dass die Besucher gern hierher kommen und sich mit der spirituellen Energie des Ortes aufladen, auch wenn sie nicht der Glaubensgemeinschaft dieses Tempels angehören. Nicht allein aus diesem Grund ist der Tempel immer gut besucht. Die Nähe zu der Touristenattraktion „Rotes Fort“ gegenüber zieht auch Durchreisende aller Nationalitäten an.
Das ist es nicht allein. Die anwesenden Gläubigen zeigten eine spirituelle Inbrunst, die im Gegensatz zu der hektischen Umgebung außerhalb des Tempels stand. Doch wie bereits beschrieben, herrschte im Tempel selbst eine wunderbare Atmosphäre, die einen den Alltag vergessen ließ. Die Lichter spiegelten sich in der teilweise versilberten und vergoldeten Dekoration, was sehr heimelig wirkte und den Höhlencharakter des Tempels noch mehr betonte.
Hebt man den Blick, sieht man ein kleines Wunder irdischer Handwerkskunst, das einem die himmlischen Sphären atemberaubend nahe bringt.
Zu Atem kommt man erst wieder richtig, wenn man ins Freie tritt und der Straßenlärm auf einen einstürmt. Atemlosigkeit kann man sich da nicht mehr leisten, hier tobt das Leben in all seinen Facetten. Die Welt holt sich die Aufmerksamkeit zurück, die man ihr im Tempel versagt hat.
Die Ankündigung auf dem Plakat zeugt von dem regen Gemeindeleben dieses Tempels.
Erfreut ruht der Blick noch ein Weilchen auf den Männern und Frauen, die einmal unwiderruflich aus eigenem Antrieb beschlossen haben, ein Leben zu führen, das der Einhaltung des Grundsatzes der Ahimsa geweiht ist. Unwillkürlich wendet man sich nach rechts, um wieder ein Teil der Welt wie alle anderen Menschen auch zu werden. Einige Schritte und eine kleine Drehung weiter in diese Richtung befindet sich ein anderes berühmtes Gebäude.
Delhi Charity Birds Hospital
Die berühmte Vogelklinik, ein Ort der Barmherzigkeit für verletzte oder kranke Vögel.
Fast jeder, der anfängt sich mit Jainismus zu beschäftigen und im Internet dazu recherchiert, findet früher oder später den Hinweis auf diese 1956 gegründete Institution direkt neben dem Digambara Tempel gegenüber vom Roten Fort. Täglich werden hier bis zu 60 neue Patienten aufgenommen, insgesamt können hier bis zu 10 000 Vögel aller Arten kuriert werden. Nach der Behandlung werden die Vögel wieder frei gelassen.