Ladnun, 03.10.2007
Ein bisschen aufgeregt war ich schon, als ich mich in der Mittagshitze gegen 13:40 vom Sumit Gästehaus der Universität in Richtung JVBI Campus auf den Weg machte. Unterwegs traf ich einige Studentinnen, die mich erschreckt fragten, was ich denn schon wolle, der Kurs fange doch erst um 14:00 an, und sie seien gerade auf dem Weg zum Mittagessen. Ich konnte sie beruhigen und nahm in aller Ruhe den Unterrichtsraum in Augenschein. Die Tafel sah aus wie die, die kurz nach meiner Einschulung 1954 in Berlin wegen Überalterung ausrangiert worden war. Als ich das später im Kurs erzählte, lachten alle schallend.
Wie optimierbar auch die materiellen Rahmenbedingungen für diesen ersten Kurs seiner Art sein mögen, Motivation, Interesse, Aufnahmebereitschaft, Lernfreude und Lernwillen der Teilnehmer sind wohl kaum zu übertreffen. Eine so anhaltend fröhliche, alle Beteiligten inspirierende Lernatmosphäre habe ich bisher noch nicht erlebt.
Der Raum begann sich zu füllen, der Strom der Universitätsangehörigen, Studentinnen und Studenten schien kein Ende zu nehmen, ein ständiges Kommen und Gehen. Jeder wollte die Deutschlehrerin aus Berlin erleben, mein Unterhaltungswert war riesig, ca. 50 Teilnehmer bevölkerten schließlich den Raum. Ich konnte nur hoffen, dass sich das ändern würde und erinnerte mich an Prof. Bruhns Worte: „Bestimmt kommen einige am Anfang aus Neugierde, aber das nimmt dann ab, und es bleiben die wirklich Interessierten.“ Das stimmt auch hier, so dass man nun von insgesamt ca. 45 Teilnehmern in den beiden Gruppen, eine morgens von 08:30 bis 10:30, eine nachmittags von 14:00 bis 16:00, ausgehen kann.
Dr. Dhar, der Koordinator des Kurses, hatte an alles gedacht und die Materialien bereits ausgedruckt, aber weder in ausreichender Anzahl (die konnte auch niemand ahnen), noch Lektion 1 überhaupt. Er war mit mir einer Meinung, dass ein Kurs von 12 Lektionen mit Lektion 1 anfangen sollte und eilte sofort zum Kopierer. Weder ihm, noch mir war vorher aufgefallen, dass die Ausdrucke mit Lektion 2 begannen. Also, die ersten 15 Minuten mündliche Einführung für die bis auf mittlerweile ca. 40 geschrumpfte Zahl von Studentinnen und Studenten. Im Nachhinein kann ich mir kaum mehr vorstellen, dass man bei dieser Fluktuation überhaupt etwas mitkriegen konnte, doch täglich schallen mir viele fröhliche: „Guten Tag!“ von überall entgegen.
Bei den unerwartet vielen Teilnehmern in einem Raum mit Steinboden und ständig laufenden Ventilatoren (die Hitze!) brauchte meine Stimme Verstärkung. Dr. Dhar besorgte eilends ein Mikrofon, und die Akustik stimmte wieder. Er war ganz bekümmert über das Fehlen von Lektion 1, doch ich konnte ihn damit beruhigen, dass es ein gutes Zeichen für die Premiere sei, wenn bei der Generalprobe etwas schief laufe. An diesem Nachmittag war ich erst einmal sehr erleichtert. Die Stimmung war ausgezeichnet und alles lief gut.
Das gab mir Schwung für die Abendveranstaltung. Die Samanijis (Nonnen) hatten mich anfangs gebeten, den Kurs für sie und die Novizinnen auf den Abend von 19:00 bis 21:00 in einen Unterrichtsraum des Goutam Gyanshala zu verlegen. Goutam war der bekannteste und zugleich wissensdurstigste Schüler Mahaviras, der ihm laut Bhagwati Sutra ungefähr 36 000 Fragen über alle Bereiche der Realität gestellt hatte. Sinngemäß bedeutet Goutam Gyanshala: Schule (Haus) für die Wissensdurstigen. Goutam Gyanshala auf dem Campus von Jain Vishva Bharati ist ein großes, von einer Mauer umfriedetes Haus für die Samanis, in dem sie wohnen und zusammen mit den Novizinnen auch Unterricht erteilt bekommen. Die Samanis bewohnen einen Raum in Fünfergruppen, eine von ihnen ist die Leiterin der Gruppe.
Kurz vor 19:00 traf ich in dem Gebäude ein, es war schon fast dunkel, ungefähr 16 Samanis und 8 Mumukshus (Novizinnen) erwarteten mich, und auch hier lief alles bestens. Nach einer Woche kamen wir überein, den Kurs auf morgens in den gleichen Raum wie den Nachmittagskurs zu verlegen, da es in dem Unterrichtsraum im Goutam Gyanshala keine Mikrofonanlage gibt, und der Morgentermin auch den Mumukshus besser passte. Einige Samanis konnten den Kurs ohnehin nicht weiter besuchen, da sie andere Verpflichtungen hatten.
Inzwischen haben sich die 45 Teilnehmer fast gleichmäßig auf die beiden Kurse verteilt. Wer den Vormittagskurs verpasst, kommt nachmittags und umgekehrt. Am 12. und 13. Oktober folgten ein Hindu- und ein Muslim-Feiertag aufeinander, weshalb nur am Vormittag ein Kurs stattfinden konnte. Darüber war ich dennoch sehr froh, denn sonst hätte wegen des darauffolgenden Sonntag der Kurs 3 Tage hintereinander ausfallen müssen.