Der Adinatha-Tempel von Ranakpur (s. Foto S. 20), nach dem Bauherrn auch Dharna Vihara genannt, erweckt beim Betrachter einen ganz anderen Eindruck als die Dilwara-Tempel. Verspürt man dort eine stille, fast intime Atmosphäre, die durch die Kleinheit und ein Gefühl des Verstecktseins und des Verborgenen hervorgerufen wird, so ragt hier ein gewaltiger und majestätischer Bau mit weithin sichtbaren Shikhara-Türmen und Kuppeln auf.
Das findet seine Erklärung in der viel späteren Erbauungszeit. Im 14. Jahrhundert begannen die muslimischen Stürme, die so lange das Land verheert hatten, allmählich abzuflauen. Als der Schock überwunden war und man sich von der Katastrophe erholt hatte, ließ man allgemein die alten Werte hinter sich und begann, in völlig neuen Dimensionen zu denken und zu planen.
Zugleich erreichte das Königtum Mewar in dieser Zeit einen Höhepunkt seiner Macht. Unter Rana Kumbha (1433-1468) wuchs das Reich zu fast imperialem Zuschnitt heran. Der neuen Größe entsprachen die Bauwerke, insbesondere in der Hauptstadt Chittorgarh. Aber auch in Ranakpur hat sich der König in einer Inschrift verewigt, die zeigt, dass er den Glanz der Dynastie mit diesem mächtigen Tempel verbinden wollte. Im Gegensatz zu Mount Abu muss man in Ranakpur auch ein Königsdenkmal sehen, was sicherlich zur Monumentalität entscheidend beigetragen hat.