Jainismus und die Tempel von Mount Abu und Ranakpur: Dharna Shah und die Erbauung des Tempels

Veröffentlicht: 30.11.2012
Aktualisiert: 28.12.2012

Der Stifter des Heiligtums, Dharna Shah, entstammte einer rajasthanischen Jaina-Familie, die den Titel sangha-pati (jemand, der anderen eine Pilgerreise bezahlt hat) trug. Sein Namenszusatz Shah oder Sah zeigt, dass er seinen Reichtum als Bankier oder Geschäftsmann erworben hat.

Jainistischer Überlieferung zufolge gewann er das Vertrauen des Königs und wurde dessen Minister. Im Alter von 32 Jahren aber zog er sich, beeinflusst durch die Lehren des Mönches Shri Somasundara Suriji, in das Zölibat zurück. In einem Traum sah er ein wundervolles himmlisches Fahrzeug, das nalini-gulm-vimana (Lotus-Schwarm), das ihn so beeindruckte, dass er seinem König vorschlug, einen Tempel in dieser Form zu erbauen. Der Rana stimmte zu und stiftete Land für den Tempel und eine dazugehörige Stadt.

Die Realisierung des Plans erwies sich als äußerst problematisch: 50 Architekten zeigten sich außerstande, die Wünsche Dharnas zu erfüllen, der den nalini-gulm-vimana mit einem chatur-mukha-Tempel (Tempel mit einem in vier Richtungen blickenden Kultbild) kombinieren wollte. Letzteres war ihm wichtig, um an den berühmten Raj Vihara-Tempel des Königs Kumarapala (s. Kapitel über die Geschichte der Jainas) anschließen zu können. Aber schließlich fand sich in Depaka, einem Architekten aus einem nahegelegenen Dorf, der Mann, der imstande war, das Projekt zu verwirklichen.

1377 oder 1387, je nach Quelle, wurde mit dem Tempel begonnen. 1441 konnte der Kernbau in Anwesenheit von Dharna Shah und seinem Lehrer Somasundara Suriji eingeweiht werden.

Soweit die Überlieferung. Einiges daran mutet seltsam an. So hätte Dharna Shah bei einer 54-oder 64-jährigen Bauzeit mindestens 86 Jahre alt sein müssen, um die Einweihung zu erleben, sein Guru wahrscheinlich noch um einiges mehr. Nun ist die einzige sicher aus der Einweihungszeit stammende Quelle eine 47-zeilige Inschrift in Sanskrit, die sich auf einem Pfeiler links vom Eingang befindet, während die jainistischen Quellen zumeist auf das 17. und 18. Jahrhundert zurückgehen.

In dieser Inschrift von 1439 werden Dharna Shah als Stifter und Depaka als Architekt genannt. Aber es handelt sich auch um eine klassische Königsinschrift der Zeit, die den Ruhm Kumbhas und seiner 40 Vorgänger im Amt gebührend herausstreicht; diese Form wäre höchst ungewöhnlich, wenn der König nichts mit dem Bau als Stifter oder Patron zu tun hätte. Und tatsächlich sagt er es gegen Ende des Textes noch einmal selbst: “.... (wurde geleitet) durch den König Rana Shri Kumbhakarna, begründet in seinem (Kumbhakarnas) eigenen Namen, (der Tempel) des ersten Herrn des Yuga-Shri Chatur-mukha, genannt Trailokya-di-paka, wurde auf seinen Befehl und durch seine Gnade erbaut in der Stadt Ranapura und wurde eingeweiht durch Shri Soma-sundarsuri...”.

In dieser Inschrift stellt sich also Rana Kumbha selbst als Hauptinitiator des Tempels dar; zwar hat der König, als die Inschrift erstellt wurde, erst knapp sieben Jahre regiert; aber wenn man sich vergegenwärtigt, dass zu diesem Zeitpunkt auch erst ein kleiner Teil des Riesenwerkes vollendet war, erscheint es gut möglich, dass der gesamte Tempel bis zu diesem Moment in die Regierungsjahre des Kumbha fällt. Vergleicht man das mit den übrigen Projekten des bauwütigen Herrschers, kommt einem die kurze Bauzeit nicht mehr ungewöhnlich vor.

Rätselhaft bleibt bei dieser Theorie die Angabe von 64 Jahren Bauzeit in späteren Quellen, aber vielleicht hat man dabei die lange Spanne berücksichtigt, die man anschließend für die Fertigstellung des Tempels benötigte.

Der Adinatha-Tempel von Ranakpur (s.Foto s.20) liegt in einem tiefen Tal der Westflanke der Aravalli-Berge zwischen Jodhpur und Udaipur. Seine gewaltige Grundfläche von ca. 60x62 Metern gemahnt fast an die Ausmasse einer gotischen Kathedrale. Für den Bau verwendete man einen hellen Marmor aus den Steinbrüchen von Sonana und Sewadi, der nicht ganz die gleißende Helligkeit des Marmors in Mount Abu erreicht. Charakteristisch für die Jaina-Architektur ist die hohe Umschließungsmauer, die auf einer erhobenen Plattform, adisthana genannt, aufsitzt; sie ist typisch für das 15. Jahrhundert. Da der Tempel an einem westlichen Hügelabhang liegt, wurde dieser Sockel am Haupteingang im Westen deutlich höher angelegt, besonders gut zu erkennen auf Tafel 27 unten, auf der linken Seite des Bildes). Unzählige Shikaratürme und -türmchen sowie Kuppeln und Pyramiden überragen das Ensemble und sollen die Erinnerung an das Lotus-Schwarm-Fahrzeug aus der Vision des Dharna Sah wachhalten. Einen reizvollen Gegensatz zur gewaltigen Größe der Architektur stellen die Glöckchen an den Spitzen der kleinen Türme dar, deren Klingeln bei jeder Windbewegung an den Frieden gemahnt, der beim Betreten des Tempels in die Seele einziehen soll.

Ranakpur 42b

Quellen

Englische Ausgabe:

  • Jainism And The Temples Of Mount Abu And Ranakpur
  • ISBN: 81-904045-0-4
  • Copyright: © Gyan Gaurav Publishers.
    C-34, Sir Pratap Colony, Airport Road, Jodhpur
    Tel.: 91 291 2515861, 9414127863
  • Herausgeber: Dilip Surana
  • Layout & Graphics: Antesh Choudhary
  • Text: © Lothar Clermont
  • Photos: © Thomas Dix
  • Erstausgabe: 1998
    Überarbeiteter Nachdruck: 2006, Thomson Press, New Delhi
  • Seiten: 96
    Format: 242 x 312 mm

  • 2012 Überarbeitete HereNow4U Online Edition

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  1. Adinatha-Tempel von Ranakpur
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