Geheimnisse des Geistes: Die Suche nach der Wahrheit (2)

Veröffentlicht: 21.09.2012

Sprechen, gezielte Bewegungen, Wahrnehmungen der Sinnesorgane, des Geistes und des Intellekts, all dies sind Funktionen der Vitalenergie. Sie ist Grundlage und Ursache für das Bewusstsein. Die Sinnesorgane selbst besitzen kein Bewusstsein. Erst in Verbindung mit dem Fluss der Vitalenergie werden sie uns bewusst. Der Geist allein ist eine unbewusste Einheit. Auch hier entsteht Bewusstsein erst unter dem Einfluss der Vitalenergie. Das gleiche gilt für den Körper.

Eine besonders starke Quelle der Vitalenergie ist der Atem. Durch ihn nehmen wir nicht nur chemisch wichtige Substanzen für die Verbrennungsvorgänge im Körper auf, sondern auch Vitalenergie. Das Einströmen der Vitalenergie wird verstärkt durch die feste Entschlossenheit des Praktizierenden sie aufzunehmen. Durch die konzentrierte Wahrnehmung des Atems wird das Potential der aufgenommenen Vitalenergie erhöht. Es gibt bemerkenswerte Demonstrationen von extremen Belastungen, denen ein mit Vitalkraft aufgeladener Körper in der Lage ist standzuhalten. Ein Körper im Normalzustand hingegen würde schweren Schaden nehmen.

Unter gewöhnlichen Umständen nehmen wir unseren Atem gar nicht wahr, weil sein automatischer Ablauf keinen Anlass dazu bietet. In unserer Alttagserfahrung findet also Erkennen und Wahrnehmen des Atems kaum statt. Wir denken vielleicht darüber nach, wenn wir außer Atem geraten sind und argumentieren über dieses Phänomenen - das ist dann unsere einzige intellektuelle Übung im täglichen Leben, der Welt der empirischen Erfahrung.

Das Niveau, auf dem wir normalerweise atmen, entspricht der untersten Schicht unseres Bewusstseins, dem Unbewussten. Seine Basis hingegen liegt weit davon entfernt. Die Seele ist eine unabhängige, freie Substanz und besitzt spezifische Charakteristika, die sie von anderen Substanzen unterscheidet. Substanzen können aufgrund ihrer Unterschiede klassifiziert und eingeordnet werden. Bewusstsein ist im Vergleich mit anderen Substanzen das Charakteristikum der Seele.  Eine unabhängige und freie Existenz der Seele hätte keinen Bestand, besäßen andere Substanzen ebenfalls ein Bewusstsein.

Erkennen und Wissen sind elementare Qualitäten des Bewusstseins. Gewahrwerdung und Gewahrsein gehören zur ursprünglichen Existenzform der Seele. Diese Fähigkeiten können getrennt voneinander verstanden oder als eine einzige Fähigkeit begriffen werden. Im Status ihrer reinen Existenz weiß die Seele und erkennt zugleich. Entfernt sie sich von ihrem Zentrum, wird sie von fremder Materie durchdrungen, und es wird schwierig sie wieder zu reinigen. Sobald die Seele mit Materiepartikeln in Berührung kommt, erkennt sie deren Natur und unterliegt in der Folge dem polaren Gesetz von Anhaftungen und Abneigungen, d.h.  das gleichzeitige Erkennen und Wissen geht dadurch verloren. Die Seele kann dafür nun Denken, Reflektieren und Kontemplieren. So halten die Menschen den für groß, der klug und klar denkt und klaren Rat geben kann.

Andererseits bleibt die Identität dessen, der erkennt und zugleich weiß, unerkannt. Wer sollte in der Lage sein den zu erkennen, der in seinem eigenen Selbst geborgen ruht? Denken, Argumentieren und Reflektion sind Instrumente, um einen Gegner zu widerlegen. Wir erfinden andauernd neue Argumente, um die Argumente des Andersdenkenden sinnlos erscheinen zu lassen. Dieser Vorgang dauert ad infinitum. Endlose Argumente, wobei ein Satz Argumente dem anderen folgt. Das gesamte intellektuelle Leben der Menschheit besteht nur aus Argumenten und Gegenargumenten, die zwangsläufig Rivalität und Feindschaft erzeugen.

Auf der anderen Seite zeigen jene, welche auf der Suche nach der Wahrheit sind, nichts als Freundlichkeit anderen gegenüber. Rivalität und Feindschaft entstehen, wenn wir nicht mit der Suche nach der Wahrheit beschäftigt sind, sondern damit, sie zu analysieren und zu klassifizieren. Denken und Argumentieren sind keine Methoden, um die Wahrheit zu finden, sondern eher sie zu verdrehen und zu verfälschen. Wer genügend dieser Waffen zur Verfügung hat, kann die ganze Welt erobern, und wer keine hat, wird besiegt.

In den philosophischen Werken des Mittelalters wimmelt es vor Metaphern über Siege und Niederlagen, nur selten wird die Suche nach der Wahrheit erwähnt. Die Suche nach der Wahrheit ist inkompatibel zu Sieg und Niederlage. Siege und Niederlagen sind für das Erwerben materieller Reichtümer relevant. Wer die Wahrheit sucht, kennt weder Sieg, noch Niederlage.

Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes ‘Darshana’ ist erkennen oder wahrnehmen. Im Laufe der Zeit wurde die Kunst des Erkennens und Wahrnehmens durch trockene Logik ersetzt. Direkte Wahrnehmung wurde von deduktivem Folgern verdrängt, direktes Wissen durch indirektes. Dieser Vorgang endete in der Entstehung verschiedener, einander diametral entgegengesetzter philosophischer Schulen. Intellektuelle Schlachten enden erst, wenn die Philosophie auf Einsicht aus direkter Wahrnehmung basiert und das ursprüngliche Bewusstsein wiedererwacht ist.

Wahrnehmung des Atems ist der erste Schritt in die Richtung zur Erlangung spiritueller Kenntnisse. Diesem ersten, wichtigen Schritt folgen eine Fülle weiterer. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass es nicht darauf ankommt, wie viele Schritte, sondern in welche Richtung wir gehen. Jeder muss selbst zwischen der richtigen und der falschen Richtung unterscheiden. Wählt er die falsche Richtung, wird er scheitern und sein Ziel niemals erreichen. Andererseits dient selbst der kleinste Schritt in die richtige Richtung dazu, in kürzerer Zeit ans Ziel zu gelangen. Wahrnehmung des Atems macht dem Denken und Argumentieren ein Ende und trainiert einen in der Kunst der Wahrnehmung. Richtige Wahrnehmung ist das Gegenteil von Denken und Argumentieren, durch sie erreicht man einen geistigen Zustand ohne Gedanken.

Die Wahrnehmung des Körpers ist der zweite Schritt in Richtung zur Realisierung des Selbst. Man mag sich fragen, welchen Sinn die Wahrnehmung des Körpers macht.

Quellen
Englischer Titel:
The Mysteries Of Mind Redaktion:
Muni Mahendra Kumar Herausgeber:
Jain Vishva Bharati Ladnun, India 2. Edition: 2002 Übertragung ins Deutsche:
2006 Carla Geerdes
2012 Überarbeitete Fassung
Carla Geerdes

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  1. Darshana
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